Öffentliches Recht

Grundrechte

Unionsgrundrechte (EU-Grundrechte-Charta)

Grundfall Anwendungsbereich Mitgliedstaaten => nicht anwendbar

Grundfall Anwendungsbereich Mitgliedstaaten => nicht anwendbar

24. Januar 2025

3 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der Bundestag erlässt ein Gesetz, das inländische Unternehmen zum Pflanzen von Bäumen verpflichtet. Auf diesen Sachbereich anwendbares Unionsrecht existiert nicht. Unternehmer U ist empört und sieht seine Grundrechte aus der GRCh verletzt.

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Einordnung des Falls

Grundfall Anwendungsbereich Mitgliedstaaten => nicht anwendbar

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Neben den Grundrechten des Grundgesetzes findet stets auch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) Anwendung.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Grundrechte des GG binden alle deutsche Hoheitsgewalt (Art. 1 Abs. 3 GG). Die EU-GRCh hingegen ist in ihrem Anwendungsbereich auf Mitgliedstaaten beschränkt. Das innerstaatliche Recht der Mitgliedstaaten und dessen Anwendung sind nur dann am Maßstab der GrCh zu messen, wenn die „Durchführung von Unionsrecht“ (Art. 51 Abs. 1 S. 1 GrCh) in Frage steht. Die GrCh errichtet somit gerade keinen umfassenden Grundrechtsschutz für die gesamte EU. Wenn aber der Anwendungsbereich der GRCh eröffnet ist, kann es im Einzelfall zu einer gleichzeitigen Anwendbarkeit der Unionsgrundrechte neben den Grundrechten des GG kommen (BVerfG, Recht auf Vergessen I, RdNr. 43f.). Anders als die Mitgliedstaaten sind die Organe, Einrichtungen und Stellen der EU immer an die Grundrechte der GRCh gebunden.
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2. Im vorliegenden Fall handelt EU-Mitgliedstaat Deutschland in „Durchführung von Unionsrecht“ (Art. 51 Abs. 1 S. 1 GrCh) und ist deshalb an die GRCh gebunden.

Nein, das trifft nicht zu!

Die GRCh bindet die Mitgliedstaaten gemäß ihrem Art. 51 Abs. 1 S. 1 Var. 2 „ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union“. Wann ein Mitgliedstaat tätig wird zur „Durchführung von Unionsrecht“, ist umstritten. Unstrittig liegt jedoch keine Durchführung von Unionsrecht vor, wenn Mitgliedstaaten in Sachbereichen tätig werden, in denen kein anwendbares Unionsrecht existiert. Im vorliegenden Fall existiert kein Unionsrecht, das auf den streitgegenständlichen Sachbereich anwendbar wäre. Mitgliedstaat Deutschland erlässt das streitgegenständliche Gesetz somit nicht bei der Durchführung von Unionsrecht i.S.d. Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh. Die GRCh ist nicht anwendbar. Die Grundrechte des GG - hier die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) - sind hier dagegen offenkundig anwendbar.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

FW

FW

26.11.2024, 19:40:07

Hi, könntet ihr den Streit hierzu etwas genauer erläutern? Ich hatte das heute in einer Klausur und leider nicht ganz verstanden, wie das Merkmal auszulegen ist. Aus dem Wortlaut ergibt sich für mich zunächst nur eine restriktive Auslegung. Es wäre trotzdem schön, wenn ihr dieses wichtige Thema und die unterschiedlichen Ansichten dazu kurz darstellt.

erikxxx

erikxxx

16.1.2025, 14:47:17

Hi, der Streit um die „Durchführung des Unionsrechts“ aus Art. 51 Abs. 1 GRCh ist wirklich wichtig, aber nicht ganz einfach. Die Charta bindet die Mitgliedstaaten nur, wenn sie tatsächlich Unionsrecht durchführen. Wenn es sich um rein nationales Handeln ohne Bezug zum Unionsrecht handelt, greift sie nicht – das ist unstrittig. Umstritten ist aber, wie eng oder weit der Begriff „Durchführung“ auszulegen ist. Nach einer engen Auslegung greift die Charta nur, wenn ein Mitgliedstaat unmittelbar Unionsrecht umsetzt oder anwendet, wie etwa bei der Umsetzung von Richtlinien oder der Anwendung von Verordnungen. Diese Sichtweise passt gut zum Wortlaut von Art. 51 Abs. 1. Eine weite Auslegung sieht die Charta dagegen auch dann als anwendbar an, wenn nationales Handeln mit Unionsrecht in einem Zusammenhang steht, beispielsweise wenn nationale Regelungen durch EU-Recht beeinflusst sind. Dadurch würde die Charta in deutlich mehr Fällen greifen, was den Schutz von Grundrechten auf EU-Ebene erweitert, aber auch zu Überschneidungen mit nationalem Recht führen kann. In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass bei der Durchführung von Unionsrecht sowohl die Grundrechte des Grundgesetzes als auch die der Charta zu berücksichtigen sind. Entscheidend ist dabei, wie weit der Sachverhalt durch Unionsrecht determiniert ist (

Recht auf Vergessen I und II

). Ich hoffe das hilft.

FW

FW

16.1.2025, 14:51:40

Sehr korrekt von Dir und ja hat geholfen!


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