§ 105a Geschäfte des täglichen Lebens


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der 30jährige dauerhaft Geisteskranke K kauft im Bioladen der V Erdnussbutter für €4. In Vorfreude auf ein leckeres Erdnussbuttersandwich läuft er glücklich nach Hause.

Einordnung des Falls

§ 105a Geschäfte des täglichen Lebens

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K ist geschäftsunfähig (§ 104 Nr. 2 BGB). Die Willenserklärung eines Geschäftsunfähigen ist nichtig (§ 105 Abs. 1 BGB).

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Genau, so ist das!

Die Willenserklärung eines Geschäftsunfähigen ist nichtig (§ 105 Abs. 1 BGB). Geschäftsunfähig ist, wer nicht das siebte Lebensjahr vollendet hat (§ 104 Nr. 1 BGB) oder wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist (§ 104 Nr. 2 BGB). Ks Willenserklärungen sind nichtig (§ 105 Abs. 1 BGB). Damit ist grundsätzlich auch der Kaufvertrag mit V unwirksam.

2. § 105a BGB fingiert bei kleineren und ungefährlichen Geschäften des täglichen Lebens im Hinblick auf den Leistungsaustausch eine Wirksamkeit, und zwar ex nunc ab der wechselseitigen Leistungserbringung.

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Ja, in der Tat!

§ 105a BGB zielt darauf ab, die Rechtsstellung und soziale Integration volljähriger geistig behinderter Menschen dadurch zu verbessern, dass ihnen unter Beibehaltung des von § 105 Abs. 1 BGB gewährten Schutzes eine begrenzte Teilnahme am Rechtsverkehr ermöglicht wird. Voraussetzungen sind: (1) ein Geschäft des täglichen Lebens, dessen Erfüllung mit geringwertigen Mitteln möglich ist, (2) Leistung und Gegenleistung müssen bewirkt sein und (3) es darf keine Gefahr für den Geschäftsunfähigen entstehen. § 105a BGB ist eine mit Blick auf den sozialen Teilhabeanspruch geistig behinderter erwachsener Menschen enorm wichtige Vorschrift.

3. Bei dem Kauf der Erdnussbutter handelt es sich um ein ungefährliches Geschäft des täglichen Lebens. Leistung und Gegenleistung sind bewirkt.

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Ja!

Geschäfte des täglichen Lebens sind Geschäfte, die zur Deckung des menschlichen Grundbedarfs notwendig sind (z.B. Kauf von Lebensmitteln, Kleidung, Kosmetika). Entscheidend ist die Verkehrsanschauung. Das Geschäft muss mit geringwertigen Mitteln bewirkt werden können, d.h. es muss sich in einem (gemessen am üblichen Preis- und Einkommensniveau) überschaubaren Rahmen halten. Ausgeschlossen sind nach S. 2 solche Geschäfte, die für Person oder Vermögen des Geschäftsunfähigen eine erhebliche Gefahr bergen (wie u.U. der Verkauf von Alkohol). Leistung und Gegenleistung müssen bewirkt sein. K hat V den Kaufpreis gezahlt, V hat K die Butter ausgehändigt. Gehört zur Leistungshandlung ein Rechtsgeschäft (z.B. Einigung über den Eigentumsübergang, § 929 S. 1 BGB), wird dessen Wirksamkeit fingiert.

4. § 105a BGB begründet keine Teil-Geschäftsfähigkeit für Geschäfte des täglichen Lebens. Sie fingiert einen wirksamen Vertragsschluss in Ansehung von Leistung und Gegenleistung und schafft damit einen Rechtsgrund.

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Genau, so ist das!

Ist bei Geschäften des täglichen Lebens der Leistungsaustausch erfolgt, so wird „in Ansehung“ von Leistung und Gegenleistung die Wirksamkeit des Vertrages fingiert, d.h eine Rückforderung aus § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Fall BGB ist ausgeschlossen. Folgeansprüche werden nur begründet, soweit sie den Geschäftsunfähigen begünstigen (z.B. §§ 437 Nr. 2, 323, 346 BGB). Im Übrigen bleibt der Vertrag unwirksam (§ 105 Abs. 1 BGB). Die Fiktion erstreckt sich nach h.M. auch auf das jeweilige dingliche Erfüllungsgeschäft.

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AN

ANY

1.3.2021, 21:56:36

Anstelle von geistig Behindert müsste es geistig oder seelisch Behindert heißen. Wobei auch das unpräzise ist, schließlich führt eine geistige oder seelische Behinderung nicht stets zur Geschäftsunfähigkeit.

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

1.3.2021, 23:15:21

Hallo ANY, danke für deinen Kommentar. Wir beziehen uns hier auf den Gesetzestext in § 104 Nr. 2 BGB. Die Formulierung dort stimmt wohl nicht mehr mit der heutigen psychologischen Fachliteratur überein, ist aber die Formulierung, die in der juristischen Literatur und Rechtsprechung breit verwendet wird. Vgl. BGH NJW 2021, 63


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