Zivilrecht
Deliktsrecht
§ 823 Abs. 1 BGB
Samenzellen-Fall (Körperverletzung und Schmerzensgeld), kein Kinderwunsch mehr
Samenzellen-Fall (Körperverletzung und Schmerzensgeld), kein Kinderwunsch mehr
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Patient P unterzieht sich einer Operation, durch die er zeugungsunfähig werden wird. Um dennoch später Kinder haben zu können, lässt er vorher Samenzellen einfrieren. P gibt jedoch den Kinderwunsch endgültig auf. Ein Mitarbeiter des Krankenhauses K vernichtet die Samenzellen versehentlich, aber schuldhaft.
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Einordnung des Falls
Samenzellen-Fall (Körperverletzung und Schmerzensgeld), kein Kinderwunsch mehr
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. K hat eine Pflicht aus dem Verwahrungsvertrag verletzt (§ 280 Abs. 1 BGB).
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Das Deliktsrecht ist nicht anwendbar, wenn ein Vertrag zwischen den Parteien besteht.
Nein!
3. Indem K die Samenzellen vernichtet hat, hat er den P in seinem Rechtsgut Körper verletzt (§ 823 Abs. 1 BGB).
Nein, das ist nicht der Fall!
4. P ist ein materieller Schaden (§§ 249ff. BGB) dadurch entstanden, dass er keine Kinder mehr bekommen kann.
Nein, das trifft nicht zu!
5. P kann Schmerzensgeld (§ 253 Abs. 2 BGB) verlangen.
Nein!
6. P hat gegen K nur einen vertraglichen Schadensersatzanspruch.
Nein, das ist nicht der Fall!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Trude
24.11.2020, 09:58:13
Sind die Samenzellen dann aber nicht sein Eigentum, das zerstört wird, was wiederum dazu führt dass der Wert zu ersetzen ist? Ich verstehe schon dass es in diesem Fall darum geht den Unterschied zum vorherigen Fall zu sehen, aber trotzdem würde mich das interessieren.
iustus
1.2.2021, 18:47:24
Jurianne
12.3.2021, 07:53:52
Aber geht es hier nicht vielmehr um die Rechtsfolgenseite und darum dass er hier gerade keinen bezifferten materiellen Schaden erlitten hat? Wenn das so wäre, würde er ja durchaus einen Anspruch haben neben 253 II BGB, der hier halt nicht gegeben wäre
Lukas_Mengestu
25.5.2021, 12:51:05
Hallo zusammen, ihr habt natürlich grundsätzlich recht, dass es sich bei der Zerstörung des Eigentums grundsätzlich Schadensersatzansprüche in Betracht kommen. Julianne bringt es indes schon richtig auf den Punkt, dass mögliche Ansprüche hier mangels bezifferbaren Schadens letztlich leerlaufen. Naturalrestitution (§ 249 Abs. 1 BGB) ist hier naturgemäß nicht möglich, also käme insoweit allein eine Kompensation durch Geld in Betracht (§ 251 Abs. 1 BGB). Die Geldentschädigung nach § 251 Abs. 1 BGB bestimmt sich nach dem sog. Summeninteresse. Zu ersetzen ist die Differenz zwischen dem Wert des Vermögens, wie es sich ohne das schädigende Ereignis darstellen würde und dem durch das schädigende Ereignis vermindertene Wert. Bei Zerstörung bemisst sich der Ersatzanspruch bei nicht wieder zu beschaffenden Sachen nach dem durch Verkauf erzielbaren Wert (vgl. Palandt/Grüneberg, § 251 Rn. 10). Wie bereits in der Fall-Antwort aufgezeigt, stellt die fehlende Möglichkeit Kinder zu bekommen, für sich genommen keinen bezifferbaren Schaden dar. Man könnte also allein auf den "Wert" des Samens an sich abstellen. Fraglich ist, ob diesem ein eigenständiger Wert beigemessen werden kann. Die Samenspende stellt in Deutschland - ebenso wie die Blutspende - eine soziale, freiwillige Leistung dar. Insofern wird in der Regel keine "Vergütung", sondern eine "Aufwandsentschädigung" (vgl. § 10 TFG) für die aufgewendete Zeit bezahlt. Vor diesem Hintergrund ist der Wert des Samens mit 0 Euro zu bemessen, weswegen der grundsätzlich bestehende Schadensersatzanspruch mangels Schaden leer läuft (aA gut vertretbar, insbesondere vor dem Hintergrund, dass im Anschluss an die "Spende" die entsprechenden Körperteile durchaus einen Verkehrswert haben. So liegt der Verkaufswert einer Blutkonserve nach der Spende zB bei etwa 80-100€ und hat insofern durchaus einen Wert. Bei der Spermienspende käme es dann aber noch zusätzlich noch auf die Qualität an (zB Vorerkrankungen des Spenders), um ermitteln zu können, ob die Spermien einen Verkehrswert haben). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Carl
15.12.2020, 00:21:50
Samenzellen können doch gehandelt werden? (Bspw. Samenbank)
Lukas_Mengestu
25.5.2021, 12:53:35
Hallo Carl, da hast Du natürlich recht. Die Spender selbst erhalten indes in der Regel kein Geld für ihre Spermien, sondern lediglich eine Aufwandsentschädigung für ihre Zeit. Insofern lässt sich argumentieren, dass der Verlust der Spermien für P hier keinen bezifferbaren Schaden darstellt, da diese keinen eigenen Wert haben (aA gut vertretbar, siehe hierzu auch den parallelen Thread). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
🦊LEXDEROGANS
23.5.2021, 12:45:50
Wie wäre es wenn P plötzlich wieder Kinder bekommen möchte? Kann man dann davon sprechen, dass eine Sache zum Körper wird?
Lukas_Mengestu
25.5.2021, 13:03:06
Hallo LEXDEROGANS, da hast Du Dir eine der vielen offenen Flanken ausgesucht, die der BGH mit dieser Entscheidung geöffnet hat. Die Fokussierung auf die subjektive Seite des Spenders zur Differenzierung, ob es sich bei den Spermien um eine Sache und damit Eigentum oder einen Teil des Körpers handelt, führt zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit. Man könnte das Beispiel von Dir noch weiterspinnen und einen besonders wankelmütigen P ersinnen, der quasi täglich seine Meinung ändert, ob er denn nun Kinder will. Je nachdem, wie sein Meinungsstand zum Zeitpunkt der Zerstörung war, würde er dann entweder Schmerzensgeld erhalten oder gänzlich leer ausgehen. Wie sich der BGH in einem solchen Fall entscheiden würde, kann natürlich nur prognostiziert werden. Schon aus Gründen der Rechtssicherheit ist eine neuerliche Umwandlung des Körpers zur Sache im Grunde eher abzulehnen, sodass es hier wohl bei einer Sachbeschädigung bleiben dürfte. Ein entsprechender Fall wurde bislang aber in der Rechtsprechung nicht entschieden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Diaa
17.7.2023, 14:25:37
Wieso ist der Schaden immateriell, wenn 1. P sowieso keine Kinder mehr haben möchte und 2. den Samenzellen die Sacheigenschaft zugeschrieben und somit zum Eigentum wurde? Eine
Eigentumsverletzungstellt jedoch einen materiellen Schaden dar.
Skywalker
31.7.2023, 21:39:44
Der Schaden liegt ja darin, dass der Geschädigte keine Kinder mehr bekommen kann. Das er dies im Moment nicht will schließt den Schaden nicht aus, weil ihm damit auch die Möglichkeit verloren geht später einen Kinderwunsch zu verwirklichen. Darin liegt der unfreiwillige Nachteil des Geschädigten. Da dieser Nachteil kein Vermögensschaden ist, unterliegt der Geschädigte einem immateriellen Schaden. Das der Geschädigten gleichzeitig einer
Eigentumsverletzungunterliegt, schließt nicht aus, dass die Möglichkeit keine Kinder mehr zu bekommen ein immaterieller Schaden ist. Der Geschädigte könnte sogar gleichzeitig einen materieller Schaden haben. Das eine
Eigentumsverletzungeinen solchen materiellen Schaden in jedem Fall begründet, würde ich nicht sagen, da eine
Eigentumsverletzungnicht zwangsläufig eine nachteilige finanzielle Auswirkung (Vermögensschaden) darstellen muss. Sofern das Eigentum keinen finanziellen Wert hat, liegt insofern auch kein materieller Schaden vor. So wahrscheinlich auch in diesem Fall, wo in den Samenzellen des Geschädigten an sich scheinbar kein Vermögenswerter Gegenstand gesehen wurde und dem Geschädigten somit kein ersatzfähiger Schaden vorliegt.
wolfsophia99@gmail.com
14.8.2024, 17:13:25
Kann man die Vernichtung der Samenzellen nicht als Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung sehen weil dadurch die Entscheidungsfreiheit genommen wird später ein Kind zu zeugen?
judith
15.8.2024, 11:58:05
Ich glaube dass das generelle Zeugen von Nachkommen eher Teil der persönlichen Lebensgestaltung zuzuordnen wäre, jedoch nicht der sexuellen Selbstbestimmung, zu der die Geschlechtsidentität oder die Freiheit zur Vornahme oder Unterlassung von sexuellen Handlung zählt. So eine künstliche Befruchtung hat ja im Zweifel wenig mit einer sexuellen Handlung zu tun, sondern ist ja eher eine medizinische Indikation.