Einführungsfall

2. April 2025

48 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A will O ausrauben. Um O kampfunfähig zu machen, nimmt A seinen Gürtel, legt ihn um Os Hals und zieht ihn zu. O stirbt.

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Einordnung des Falls

Einführungsfall

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ein zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch setzt immer einen Vertrag voraus.

Nein, das trifft nicht zu!

Für einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB ist (1) eine Rechtsgutsverletzung beim Anspruchssteller erforderlich, (2) die durch ein Verhalten des Anspruchsgegners, (3) kausal, (4) rechtswidrig und (5) schuldhaft verursacht wurde, wodurch (6) ein kausaler Schaden entstanden ist. Eine vertragliche Beziehung ist nicht erforderlich. Deliktische Ansprüche aus § 823ff. BGB sind neben gegebenenfalls bestehenden vertraglichen Schadensersatzansprüchen weiterhin anwendbar.
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2. Ein zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass ein besonders geschütztes Rechtsgut bzw. Recht verletzt wurde.

Ja!

Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass ein absolut geschütztes Rechtsgut bzw. Recht eines anderen verletzt wurde. Absolute Rechtsgüter und Rechte sind solche, die gegenüber jedermann gelten, also nicht nur relativ zwischen den Parteien (lat. inter partes). Geschützt werden das Leben, der Körper, die Gesundheit, die Freiheit (Rechtsgüter) oder das Eigentum (Recht) eines anderen sowie sonstige absolute Rechte (auch sog. Rahmenrechte wie das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebtrieb oder das Persönlichkeitsrecht). Nicht geschützt ist insbesondere das bloße Vermögen oder Gewinnchancen. Hier unterscheidet sich das Deliktsrecht vom vertraglichen Schadensersatzrecht.

3. A hat das Rechtsgut Leben des O verletzt (§ 823 Abs. 1 BGB), indem er ihn zu Tode gewürgt hat.

Genau, so ist das!

Die Verletzung des Rechtsguts Leben bedeutet die Verursachung des Todes. Das Leben ist zivilrechtlich von der embryonalen Phase (vor der Geburt) bis zum Hirntod geschützt. O ist durch die Strangulation des A gestorben und damit in seinem Rechtsgut Leben verletzt. Im Strafrecht beginnt der Lebensschutz erst später (mit den Eröffnungswehen), da das ungeborene Leben strafrechtlich durch die Regeln zum Schwangerschaftsabbruch (§§ 218ff. StGB) geschützt ist.

4. A hat die Rechtsgüter Körper und Gesundheit des O verletzt (§ 823 Abs. 1 BGB), indem er ihn gewürgt hat.

Ja, in der Tat!

Die Rechtsgüter Körper und Gesundheit gehen regelmäßig miteinander einher. Körperverletzung bedeutet Eingriff in die körperliche Unversehrtheit oder Befindlichkeit. Eine Gesundheitsschädigung liegt bei einer Störung der inneren Lebensvorgänge vor. Merke: Die Körperverletzung wirkt rein äußerlich, während die Gesundheit bei Störung der inneren Funktionen verletzt ist. Indem A den O gewürgt hat, hat er erheblich in die körperliche Unversehrtheit des O eingegriffen und eine Störung der inneren Lebensvorgänge verursacht.

5. Sind die Rechtsgutsverletzungen kausal auf eine Verletzungshandlung des A zurückzuführen?

Ja, in der Tat!

Eine Verletzungshandlung kann jedes Tun oder (pflichtwidrige) Unterlassen sein, das durch beherrschbares menschliches Verhalten gesteuert werden kann. Nach der Äquivalenztheorie ist jede Tatsache ursächlich für einen Schadenseintritt, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die Rechtsgutsverletzung in ihrer konkreten Gestalt entfiele.A hat O gewürgt, also aktiv und willentlich gehandelt. Diese Handlung kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass Os Rechtsgutsverletzungen ausgeblieben wären.

6. Hat A gerechtfertigt gehandelt?

Nein!

Nach der herrschenden Lehre vom Erfolgsunrecht indiziert die Rechtsgutsverletzung die Rechtswidrigkeit. Das bedeutet, dass die Rechtswidrigkeit nur dann entfällt, wenn zugunsten des Handelnden Rechtfertigungsgründe eingreifen.Es liegen keine Anhaltspunkte für Rechtfertigungsgründe vor.In der Klausur kannst Du in solch einfach gelagerten Fällen schlicht in einem Satz feststellen, dass rechtswidrig gehandelt wurde.

7. Hat A die Rechtsgutsverletzung zu verschulden?

Genau, so ist das!

Ein Verschulden im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB liegt vor, wenn der Handelnde deliktsfähig ist und vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat. Anders als die Geschäftsfähigkeit beginnt die Deliktsfähigkeit grundsätzlich bereits mit der Vollendung des siebten Lebensjahres (§ 828 BGB).A ist volljährig und er hat O vorsätzlich gewürgt. Somit liegt auch Verschulden vor.Auch eine genauere Prüfung des Verschuldens ist in der Klausur nur bei entsprechenden Anhaltspunkten (z.B. Minderjährigkeit) notwendig.

8. O hat durch seinen Tod (grds.) einen kausalen Schaden erlitten

Nein, das trifft nicht zu!

Grundsätzlich werden über §§ 249ff. BGB zunächst materielle Schäden ersetzt. Bei Verletzung bestimmter Rechtsgüter erhält der Verletzte darüber hinaus auch Schadensersatz für immaterielle Schäden. Grundsätzlich hat der Betroffene durch seinen Tod keinen ersatzfähigen Schaden erlitten. Mit dem Tod endet die Rechtsfähigkeit, so dass insbesondere Schmerzensgeldansprüche der getöteten Person wegen des Verlusts des eigenen Lebens nicht entstehen können (§ 253 Abs. 2 BGB). Mit dem Tod des O endet auch seine Rechtsfähigkeit.Sofern O Angehörige hat, kann diesen aber ein eigenständiger Schadensersatzanspruch zustehen (§§ 844, 845 BGB). Mehr dazu später!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

KLE

kleinerPadawan

26.4.2023, 22:26:19

Kann man hier für die Definitionen der Köperverletzung und

Gesundheitsschädigung

, um diese nur ein Mal zu lernen, auch die Definitionen aus dem StrafR heranziehen? Oder sollte man die hier verwendeten für das ZivilR vorziehen? Danke und viele Grüße

Nora Mommsen

Nora Mommsen

27.4.2023, 12:37:03

Hallo kleiner Padawan, danke für deine Frage. Es lohnt sich durchaus - nicht nur die Definition - jeweils einzeln zu lernen, sondern sich auch bei den unterschiedlichen Normen mit unterschiedlichen Fallgruppen und Konstellationen auseinanderzusetzen. Die Strafbarkeit und der Zivilrechtliche Schutz sind nicht immer deckungsgleich. Beispielsweise die Frage abgetrennter Organe oder anderer Körperteile: Der BGH hat auch vom menschlichen Organismus abgetrennte Körperteile noch in den Schutzbereich des „Körpers“ einbezogen, wenn sie nach dem Willen des Rechtsträgers wieder in diesen eingegliedert werden sollen, wie im Fall der Eigentransplantation, oder wenn sie dafür bestimmt bleiben, „eine körpertypische Funktion“ des Rechtsträgers zu erfüllen. Auch die Verletzung eines Embyros im Bauch der Mutter mit anschließendem Versterben im oder außerhalb des Mutterleibs ist beispielsweise eine vertiefte Betrachtung in vergleichender Weise wert. Hier nur eins für alle zu lernen wäre sozusagen am falschen Ende gespart. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

KLE

kleinerPadawan

27.4.2023, 12:39:58

Danke für die schnelle Antwort! :) Ich meinte vielmehr den genauen Wortlaut der Definitionen. Der weicht hier ja doch deutlich von den gängigen im StrafR ab. Ist das bedeutend oder Zufall?

TUBAT

TubaTheo

10.11.2024, 18:44:59

Inwiefern kommt dann ein

Schadensersatz

bei Verletzung des Rechtsguts "Leben" in Betracht, wenn man mit dem Tod das Recht auf

Schadensersatz

verliert? Kann der Verletzte dann nur

Schadensersatz

verlangen, sofern er beispielsweise eine versuchte Tötung überlebt hat?

LELEE

Leo Lee

16.11.2024, 06:53:29

Hallo TubaTheo, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! Genauso ist es! Der Anspruch steht nur dem Opfer zu, das allerdings den Anspruch verliert. Deshalb könnte er insofern nur einen SE geltend machen, wenn er den Tötungsversuch überlebt. Achte jedoch darauf, dass auch bei einem Todesfall die Hinterbliebenen einen Anspruch nach 844 haben können. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Wagner § 844 Rn. 3 f. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

BEN

benjaminmeister

14.1.2025, 19:26:38

Wenn eine versuchte Tötung überlebt wird, liegt doch gerade keine Verletzung des Lebens (Verletzung des Lebens wird als Tötung definitiert) vor, da das Opfer ja noch lebt. Einschlägig kann eigentlich nur eine Körper-/Gesundheitsverletzung sein.

Sege

Sege

5.3.2025, 19:29:16

@[Leo Lee](213375) Wird der Anspruch des Opfers gem. 823 I nicht auch vererbt? Der Erbe müsste den Anspruch doch über die

Universalsukzession

erwerben oder irre ich mich?

Charliefux

Charliefux

6.3.2025, 12:29:36

Hi @[Sege](241995), Der § 823 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass eine geschützte Rechtsposition verletzt wurde (hier: das Leben des O) und dass dem Verletzten dadurch ein

ersatzfähiger Schaden

entstanden ist. Ein

Schaden

setzt voraus, dass die verletzte Person noch Nachteile erleidet. Mit dem Tod enden aber alle persönlichen Nachteile – der Verstorbene kann selbst keinen

Schaden

mehr erleiden. Da der

Schaden

eine Anspruchsvoraussetzung ist, fehlt es hier an einem

Schaden

des Verstorbenen nach seinem Tod. Ohne

Schaden

gibt es keinen Anspruch – und ohne Anspruch gibt es auch nichts zu vererben. (Dazu BGH, Urteil vom 13.10.1992 – VI ZR 201/91 und MüKo-BGB/ Wagner, § 823 Rn. 36 f.) Ein Sonderfall stellt hier das Schmerzens

geld

dar. Falls zwischen der Verletzung und dem Tod eine Zeitspanne liegt, in der der Geschädigte Schmerzen hatte, entsteht ein Schmerzens

geld

anspruch nach § 253 Abs. 2 BGB. Dieser Anspruch ist nach § 1922 BG vererblich, weil der

Schaden

(der Schmerz des O) noch zu Lebzeiten entstanden ist. (siehe BeckOK BGB/Spindler, § 823 Rn. 43)

Sege

Sege

6.3.2025, 14:09:13

@[Charliefux](56873) Dann stellt sich ja doch wieder das Problem, dass das Rechtsgut „Leben“ faktisch in die Leere läuft, oder? Bei Schmerzen vor dem Tod wären ja auch Körper/(evtl.) Gesundheit betroffen.

Charliefux

Charliefux

6.3.2025, 14:52:30

@[Sege](241995) Auf den ersten Blick mag es so erscheinen. Dass die Aufnahme des Lebensschutzes im § 823 nicht ins Leere läuft, lässt sich beim "Hinwegdenken" des Rechtsguts "Leben" verdeutlichen. Würde die Rechtsgutsverletzung nicht mehr als unerlaubte Handlung nach § 823 Abs. 1 BGB gelten hätte das zur Konsequenz dass eine Tötung nach § 823 Abs. 1 BGB keine TATBESTANDLICHE Rechtsgutsverletzung mehr darstellt. Jedoch setzen § 844 und §

845 BGB

eine „durch unerlaubte Handlung“ verursachte Tötung voraus. Mangels unerlaubter Handlung nach § 823 müsste sich die Haftung immer auf andere deliktische Normen stützen (z. B. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einem

Schutzgesetz

). Die Anspruchsgrundlage für Hinterbliebene würde erschwert – es wäre schwieriger, § 844 und §

845 BGB

durchzusetzen, weil man einen Verstoß gegen eine andere Norm nachweisen müsste. Das Deliktsrecht schützt primäre Individualrechtsgüter: Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum. Wenn „Leben“ fehlt, würde der Eindruck entstehen, dass die schwerste denkbare Rechtsgutsverletzung zivilrechtlich weniger bedeutend ist als andere Schäden. Dies würde folgenden Bruch in der Systematik bedeuten. Deshalb macht es Sinn, dass „Leben“ in § 823 Abs. 1 BGB steht – auch wenn daraus kein eigener

Schadensersatz

anspruch des Verstorbenen entsteht! :)

Sege

Sege

6.3.2025, 15:39:03

Aaaah das macht Sinn, stimmt! Danke dir! :)

Dua

Dua

30.11.2024, 23:48:27

s. o.

BEN

benjaminmeister

14.1.2025, 19:33:37

In einem der ersten Erlärungstexte steht "sonstige Rechte (sog. Rahmenrechte)". Jedes Rahmenrecht ist zwar ein sonstiges Recht, aber nicht jedes sonstiges Recht ist ein Rahmenrecht (z.B. Pfandrecht, Hypothek die eigentumsähnliche Rechte sind). Looschelders, SchuldR BT, § 60 Schema am Ende des Kapitels: Rechtsgutsverletzung a) Verletzung eines der in § 823 I ausdrücklich genannten Rechte b) Verletzung eines sonstigen (absoluten) Rechts (zB dingliche Rechte) c) Verletzung eines Rahmenrechts (zB allg. Persönlichkeitsrecht) Auch an anderer Stelle nennt Looschelders bei den Rahmenrechten immer nur das

Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb

und das allgemeine Persönlichkeitsrecht.

BEN

benjaminmeister

14.1.2025, 19:40:52

In einem anderen Erklärungstext der Aufgabe steht außerdem sinngemäß, dass das Verschulden vorliegt, weil der Schädiger

vorsätzlich

das Opfer gewürgt hat. Das dürfte mMn zu ungenau sein: Das Verschulden hat sich auch auf die Rechtsgutverletzung zu beziehen. Besser wäre: "Der Schädiger hat schuldhaft gehandelt, weil er das Opfer

vorsätzlich

zu Tode gewürgt hat". Außerdem wird hier der

Vorsatz

viel zu schnell bejaht: Der Schädiger wollte das Opfer laut Sachverhalt nicht töten sondern primär nur kampfunfähig machen. In den Strafrechtsfällen wird genau bei diesem Fall ausführlich mit Argumenten erörtert, dass richtigerweise

Vorsatz

vorliegt, aber offensichtlich ist das genaugenommen nicht, weil der Tod nicht das Ziel des Handelns war (keine Absicht/

dolus directus 1. Grades

)

NI

Niro95

28.1.2025, 22:10:42

Die Antwort auf die letzte Frage ist falsch. Zwar ist es richtig, dass durch den Tod an sich kein Anspruch aus 253 II entsteht, sehr wohl aber durch die Schmerzen, die er durch den todbringenden Akt erlitten hat. Gerade in der vorliegenden Konstellation ist das sehr eindeutig der Fall. Die Erben haben diesen Anspruch dann aus übergegangenem Recht (1922) neben ihrem eigenen Anspruch.


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