Einführungsfall
2. April 2025
48 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A will O ausrauben. Um O kampfunfähig zu machen, nimmt A seinen Gürtel, legt ihn um Os Hals und zieht ihn zu. O stirbt.
Diesen Fall lösen 88,0 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Einführungsfall
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Ein zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch setzt immer einen Vertrag voraus.
Nein, das trifft nicht zu!
Jurastudium und Referendariat.
2. Ein zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass ein besonders geschütztes Rechtsgut bzw. Recht verletzt wurde.
Ja!
3. A hat das Rechtsgut Leben des O verletzt (§ 823 Abs. 1 BGB), indem er ihn zu Tode gewürgt hat.
Genau, so ist das!
4. A hat die Rechtsgüter Körper und Gesundheit des O verletzt (§ 823 Abs. 1 BGB), indem er ihn gewürgt hat.
Ja, in der Tat!
5. Sind die Rechtsgutsverletzungen kausal auf eine Verletzungshandlung des A zurückzuführen?
Ja, in der Tat!
6. Hat A gerechtfertigt gehandelt?
Nein!
7. Hat A die Rechtsgutsverletzung zu verschulden?
Genau, so ist das!
8. O hat durch seinen Tod (grds.) einen kausalen Schaden erlitten
Nein, das trifft nicht zu!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
kleinerPadawan
26.4.2023, 22:26:19
Kann man hier für die Definitionen der Köperverletzung und
Gesundheitsschädigung, um diese nur ein Mal zu lernen, auch die Definitionen aus dem StrafR heranziehen? Oder sollte man die hier verwendeten für das ZivilR vorziehen? Danke und viele Grüße

Nora Mommsen
27.4.2023, 12:37:03
Hallo kleiner Padawan, danke für deine Frage. Es lohnt sich durchaus - nicht nur die Definition - jeweils einzeln zu lernen, sondern sich auch bei den unterschiedlichen Normen mit unterschiedlichen Fallgruppen und Konstellationen auseinanderzusetzen. Die Strafbarkeit und der Zivilrechtliche Schutz sind nicht immer deckungsgleich. Beispielsweise die Frage abgetrennter Organe oder anderer Körperteile: Der BGH hat auch vom menschlichen Organismus abgetrennte Körperteile noch in den Schutzbereich des „Körpers“ einbezogen, wenn sie nach dem Willen des Rechtsträgers wieder in diesen eingegliedert werden sollen, wie im Fall der Eigentransplantation, oder wenn sie dafür bestimmt bleiben, „eine körpertypische Funktion“ des Rechtsträgers zu erfüllen. Auch die Verletzung eines Embyros im Bauch der Mutter mit anschließendem Versterben im oder außerhalb des Mutterleibs ist beispielsweise eine vertiefte Betrachtung in vergleichender Weise wert. Hier nur eins für alle zu lernen wäre sozusagen am falschen Ende gespart. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
kleinerPadawan
27.4.2023, 12:39:58
Danke für die schnelle Antwort! :) Ich meinte vielmehr den genauen Wortlaut der Definitionen. Der weicht hier ja doch deutlich von den gängigen im StrafR ab. Ist das bedeutend oder Zufall?
TubaTheo
10.11.2024, 18:44:59
Inwiefern kommt dann ein
Schadensersatzbei Verletzung des Rechtsguts "Leben" in Betracht, wenn man mit dem Tod das Recht auf
Schadensersatzverliert? Kann der Verletzte dann nur
Schadensersatzverlangen, sofern er beispielsweise eine versuchte Tötung überlebt hat?
Leo Lee
16.11.2024, 06:53:29
Hallo TubaTheo, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! Genauso ist es! Der Anspruch steht nur dem Opfer zu, das allerdings den Anspruch verliert. Deshalb könnte er insofern nur einen SE geltend machen, wenn er den Tötungsversuch überlebt. Achte jedoch darauf, dass auch bei einem Todesfall die Hinterbliebenen einen Anspruch nach 844 haben können. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Wagner § 844 Rn. 3 f. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
benjaminmeister
14.1.2025, 19:26:38
Wenn eine versuchte Tötung überlebt wird, liegt doch gerade keine Verletzung des Lebens (Verletzung des Lebens wird als Tötung definitiert) vor, da das Opfer ja noch lebt. Einschlägig kann eigentlich nur eine Körper-/Gesundheitsverletzung sein.

Sege
5.3.2025, 19:29:16
@[Leo Lee](213375) Wird der Anspruch des Opfers gem. 823 I nicht auch vererbt? Der Erbe müsste den Anspruch doch über die
Universalsukzessionerwerben oder irre ich mich?

Charliefux
6.3.2025, 12:29:36
Hi @[Sege](241995), Der § 823 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass eine geschützte Rechtsposition verletzt wurde (hier: das Leben des O) und dass dem Verletzten dadurch ein
ersatzfähiger Schadenentstanden ist. Ein
Schadensetzt voraus, dass die verletzte Person noch Nachteile erleidet. Mit dem Tod enden aber alle persönlichen Nachteile – der Verstorbene kann selbst keinen
Schadenmehr erleiden. Da der
Schadeneine Anspruchsvoraussetzung ist, fehlt es hier an einem
Schadendes Verstorbenen nach seinem Tod. Ohne
Schadengibt es keinen Anspruch – und ohne Anspruch gibt es auch nichts zu vererben. (Dazu BGH, Urteil vom 13.10.1992 – VI ZR 201/91 und MüKo-BGB/ Wagner, § 823 Rn. 36 f.) Ein Sonderfall stellt hier das Schmerzens
gelddar. Falls zwischen der Verletzung und dem Tod eine Zeitspanne liegt, in der der Geschädigte Schmerzen hatte, entsteht ein Schmerzens
geldanspruch nach § 253 Abs. 2 BGB. Dieser Anspruch ist nach § 1922 BG vererblich, weil der
Schaden(der Schmerz des O) noch zu Lebzeiten entstanden ist. (siehe BeckOK BGB/Spindler, § 823 Rn. 43)

Sege
6.3.2025, 14:09:13
@[Charliefux](56873) Dann stellt sich ja doch wieder das Problem, dass das Rechtsgut „Leben“ faktisch in die Leere läuft, oder? Bei Schmerzen vor dem Tod wären ja auch Körper/(evtl.) Gesundheit betroffen.

Charliefux
6.3.2025, 14:52:30
@[Sege](241995) Auf den ersten Blick mag es so erscheinen. Dass die Aufnahme des Lebensschutzes im § 823 nicht ins Leere läuft, lässt sich beim "Hinwegdenken" des Rechtsguts "Leben" verdeutlichen. Würde die Rechtsgutsverletzung nicht mehr als unerlaubte Handlung nach § 823 Abs. 1 BGB gelten hätte das zur Konsequenz dass eine Tötung nach § 823 Abs. 1 BGB keine TATBESTANDLICHE Rechtsgutsverletzung mehr darstellt. Jedoch setzen § 844 und §
845 BGBeine „durch unerlaubte Handlung“ verursachte Tötung voraus. Mangels unerlaubter Handlung nach § 823 müsste sich die Haftung immer auf andere deliktische Normen stützen (z. B. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einem
Schutzgesetz). Die Anspruchsgrundlage für Hinterbliebene würde erschwert – es wäre schwieriger, § 844 und §
845 BGBdurchzusetzen, weil man einen Verstoß gegen eine andere Norm nachweisen müsste. Das Deliktsrecht schützt primäre Individualrechtsgüter: Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum. Wenn „Leben“ fehlt, würde der Eindruck entstehen, dass die schwerste denkbare Rechtsgutsverletzung zivilrechtlich weniger bedeutend ist als andere Schäden. Dies würde folgenden Bruch in der Systematik bedeuten. Deshalb macht es Sinn, dass „Leben“ in § 823 Abs. 1 BGB steht – auch wenn daraus kein eigener
Schadensersatzanspruch des Verstorbenen entsteht! :)

Sege
6.3.2025, 15:39:03
Aaaah das macht Sinn, stimmt! Danke dir! :)

Dua
30.11.2024, 23:48:27
s. o.
benjaminmeister
14.1.2025, 19:33:37
In einem der ersten Erlärungstexte steht "sonstige Rechte (sog. Rahmenrechte)". Jedes Rahmenrecht ist zwar ein sonstiges Recht, aber nicht jedes sonstiges Recht ist ein Rahmenrecht (z.B. Pfandrecht, Hypothek die eigentumsähnliche Rechte sind). Looschelders, SchuldR BT, § 60 Schema am Ende des Kapitels: Rechtsgutsverletzung a) Verletzung eines der in § 823 I ausdrücklich genannten Rechte b) Verletzung eines sonstigen (absoluten) Rechts (zB dingliche Rechte) c) Verletzung eines Rahmenrechts (zB allg. Persönlichkeitsrecht) Auch an anderer Stelle nennt Looschelders bei den Rahmenrechten immer nur das
Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebund das allgemeine Persönlichkeitsrecht.
benjaminmeister
14.1.2025, 19:40:52
In einem anderen Erklärungstext der Aufgabe steht außerdem sinngemäß, dass das Verschulden vorliegt, weil der Schädiger
vorsätzlichdas Opfer gewürgt hat. Das dürfte mMn zu ungenau sein: Das Verschulden hat sich auch auf die Rechtsgutverletzung zu beziehen. Besser wäre: "Der Schädiger hat schuldhaft gehandelt, weil er das Opfer
vorsätzlichzu Tode gewürgt hat". Außerdem wird hier der
Vorsatzviel zu schnell bejaht: Der Schädiger wollte das Opfer laut Sachverhalt nicht töten sondern primär nur kampfunfähig machen. In den Strafrechtsfällen wird genau bei diesem Fall ausführlich mit Argumenten erörtert, dass richtigerweise
Vorsatzvorliegt, aber offensichtlich ist das genaugenommen nicht, weil der Tod nicht das Ziel des Handelns war (keine Absicht/
dolus directus 1. Grades)
Niro95
28.1.2025, 22:10:42
Die Antwort auf die letzte Frage ist falsch. Zwar ist es richtig, dass durch den Tod an sich kein Anspruch aus 253 II entsteht, sehr wohl aber durch die Schmerzen, die er durch den todbringenden Akt erlitten hat. Gerade in der vorliegenden Konstellation ist das sehr eindeutig der Fall. Die Erben haben diesen Anspruch dann aus übergegangenem Recht (1922) neben ihrem eigenen Anspruch.