Einwilligungsfähigkeit
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
S schenkt sich zu ihrem 15-jährigen Geburtstag eine großflächige Tätowierung, deren Entfernung eine aufwendige und teure Behandlung erfordern würde. Tätowierer T hat S vor ihrer Zustimmung aufgeklärt. T weiß, dass die Eltern der S nicht zugestimmt haben.
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Einordnung des Falls
Einwilligungsfähigkeit
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. T erfüllt den Tatbestand der Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB). Er könnte hier aufgrund einer Einwilligung der S gerechtfertigt sein.
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Die körperliche Unversehrtheit ist als Individual-Rechtsgut disponibel.
Ja, in der Tat!
3. S besitzt hinreichende Einwilligungsfähigkeit und ist als Inhaberin des Rechtsguts verfügungsbefugt.
Nein!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Dominik
29.1.2023, 23:11:06
Wonach bestimmt sich denn, was ein gravierender Eingriff ist? Das ist wohl wieder mal eine nicht kodifizierte Begrifflichkeit und die Bewertung einzelfallbezogen? Wie ließe sich beispielsweise ein ,Tunnel‘ bewerten?
Rick-energie🦦
29.6.2023, 07:16:54
Ich kenne es aus der Uni so, dass die Urteilsfähigkeit entweder auf die Einsichtsfähigkeit, die analog auf den Schuldausschließungsgründe beruht, abstellt, oder man die Regelungen zur rechtsgeschäftlichen Einwilligung aus dem BGB heranzieht. Beide ist nicht unumstritten
Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat
17.6.2024, 14:40:14
In der Klausur geht es darum, das Problem so nah am Sachverhalt wie möglich zu diskutieren und damit zu einer gut begründeten Konklusion zu kommen. Das Ergebnis ist dabei zweitrangig und oftmals ist auch viel vertretbar.
Sebastian Schmitt
28.9.2024, 09:24:28
Hallo @Dominik, was ein "schwer wiegender" Eingriff ist, lässt sich in der Tat nur anhand einer umfassenden Abwägung der Umstände des konkreten Falls beurteilen. Der BGH behält sich mit dieser und ähnlichen Formulierungen (s zB BGH NStZ 2021, 494, 497) ein hohes Maß an Entscheidungsspielraum vor und sorgt tendenziell für hohe Einzelfallgerechtigkeit, natürlich zu Lasten der Vorhersehbarkeit. In unserem Fall ist die Sachverhaltsdarstellung eher dünn, man hätte aber darauf abstellen können, dass es sich um eine recht großflächige Tätowierung handelt (nicht nur um eine kleine), die nicht ohne Weiteres wieder zu entfernen ist, nämlich nur mit einer teuren und aufwändigen Behandlung. S ist zudem "erst" 15 und damit zwar nicht mehr all zu weit von der Volljährigkeit entfernt, aber auch nicht sehr nahe dran. Insgesamt sprechen diese Punkte tendenziell dagegen, dass S selbst einwilligungsfähig ist. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team