Strafrecht
BT 1: Totschlag, Mord, Körperverletzung u.a.
Vorsätzliche Körperverletzung, § 223 StGB
Ärztlicher Heileingriff - mutmaßliche Einwilligung
Ärztlicher Heileingriff - mutmaßliche Einwilligung
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
B wird nach einem Herzinfarkt ins Krankenhaus eingeliefert. Er ist nicht bei Bewusstsein. Arzt A unternimmt alle erforderlichen medizinischen Maßnahmen, um Bs Leben zu retten, darunter eine fehlerfrei durchgeführte Operation.
Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Ärztlicher Heileingriff - mutmaßliche Einwilligung
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Indem A den bewusstlosen B medizinisch behandelte und operierte, hat er nach h.M. den Tatbestand der Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) erfüllt.
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. B war bewusstlos, sodass eine rechtfertigende Einwilligung ausscheidet.
Nein!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Taylaw
27.2.2022, 18:23:13
Ich bin ein wenig verwirrt – ich dachte immer, eine rechtfertigende Einwilligung und eine mutmaßliche Einwilligung wären voreinander zu unterscheiden. Dementsprechend habe ich bei der letzten Frage „Ja“ getippt, weil meiner Gedanken nach ja keine rechtfertigende, sondern eine mutmaßliche Einwilligung einschlägig war. Im Erklärungstext klingt es aber so, als sei die mutmaßliche Einwilligung nur ein Unterfall der rechtfertigenden. Vielleicht kann mir das noch jemand erklären :)
Victor
28.2.2022, 14:39:17
Zu unterscheiden sind die ausdrückliche und die hypothetische (mutmaßliche) Einwilligung. Beide stellen Fallgruppen der rechtfertigenden Einwilligung dar. Dabei handelt es sich bei der hypothetischen Einwilligung um einen ungeschriebenen Rechtfertigungsgrund aus Wertungsgründen. Die ausdrückliche ist ja mitunter geregelt.
Taylaw
28.2.2022, 16:43:45
Vielen Dank für die Antwort! :) Ich habe gerade nochmal meine Unterlagen herausgesucht, habe es aber tatsächlich noch ein bisschen anders notiert… Zwar habe ich die rechtfertigende Einwilligung auch als Überbegriff vermerkt, die aber drei (und nicht zwei) Untergruppen hat: die ausdrückliche, die mutmaßliche und die hypothetische Einwilligung, wobei sich die mutmaßliche Einwilligung und die hypothetische Einwilligung nochmal voneinander unterscheiden. Mutmaßlich: wenn eine Erklärung des Rechtsgutträgers tatsächlich nicht vorliegt; Hypothetisch: wenn Einwilligung vorlag, aber unwirksam ist (nur bei ärztlichen Heileingriffen)
Lukas_Mengestu
1.3.2022, 10:40:42
Hallo ihr beiden, in der Tat sind die mutmaßliche und die hypothetische EInwilligung voneinander zu trennen. Wie Taylaw schon eingewendet hat, stellen sie neben der ausdrücklichen Einwilligung jeweils Unterpunkte der "rechtfertigenden Einwilligung" dar. Die mutmaßliche Einwilligung ist allerdings streng subsidiär. Sie kommt nur in Situationen, in denen das Einverständnis des Betroffenen nicht eingeholt werden kann (z.B. lebensrettende OP) und die Maßnahme seinem Wohl dient. Von der mutmaßlichen Einwilligung unterscheidet sich die hypothetische Einwilligung dadurch, dass es hier durchaus möglich wäre, die Einwilligung des Betroffenen einzuholen (s. nächster Fall). Sie wurde im zivilrechtlichen Artzhaftungsrecht entwickelt und dient - wie Taylaw schon richtig ausgeführt hat - vor allem dazu, Fälle zu lösen, in denen eine unwirksame Einwilligung vorliegt. Ohne hypothetische Einwilligung hätte dies regelmäßig zur Folge, dass der Arzt sich auch bei fachgerecht durchgeführter Behandlung strafbar machen würde, wenn eine abgegebene Einwilligung aufgrund eines Mangels unwirksam wäre. Denn wenn die Behandlung nicht dringend notwendig wäre, so wäre es immer möglich, zunächst die Einwilligung erneut einzuholen. Eine Rechtfertigung über die mutmaßliche Einwilligung scheidet dann aber aus.Der BGH hält die "hypothetische Einwilligung" zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen auch im Strafrecht für anwendbar (vgl. BGH NStZ 1996, 34, 35), während die Figur im Schrifttum kontrovers diskutiert wird (vgl. Hardtung, in: MüKo-StGB, 4.A. 2021, § 223 RdNr. 119 mwN). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Prokurist
30.7.2023, 20:57:44
Hallo an das Jurafuchs-Team! Eine Anmerkung zur Fragestellung, in der hinter der rechtfertigenden Einwilligung § 2
28 StGBgenannt wird: Aus meiner Sicht ist der pauschale Verweis auf § 2
28 StGBfalsch und wird von vielen Korrektoren auch ungern gesehen, da die Einwilligung keine echte Rechtsgrundlage hat. § 2
28 StGBregelt nur die Sittenwidrigkeit der Einwilligung.
Lukas_Mengestu
31.7.2023, 16:09:00
Vielen Dank für Deinen Hinweis, Prokurist! Die unrechtsausschließende Wirkung der Einwilligung ist in der Tat eine allgemeine Regel, die das StGB einfach voraussetzt und an keiner Stelle explizit anordnet. § 2
28 StGBregelt insoweit allein die Ausnahme, nicht die Regel. Wir haben das in der Aufgabe etwas präzisiert. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Maya Zakrajsek
25.2.2024, 20:39:47
Hallo liebe Community! Ich frage mich gerade, ob man bei der Prüfung der rechtfertigenden Einwilligung zuvor (oder bei Ablehnung im Anschluss) noch den 34 StGB prüft. Und sollte man irgendwo bei ärztlichen Heileingriffen auf den 228 eingehen und erläutern, dass ein solcher Eingriff i.d.R. nicht gegen die guten Sitten verstößt? Liebe Grüße und danke euch!
Leo Lee
26.2.2024, 15:34:21
Hallo Maya Zakrajsek, vielen Dank für die sehr gute Frage! Zunächst gilt es zu beachten, dass du die rechtfertigende Einwilligung vor dem 34 StGB prüfst, da die RF-Einwilligung den 34 StGB sperrt. Den 2
28 StGBerwähnst du i.d.R. als letzten Punkt der RF-Einwilligung (I. Dispositionsmöglichkeit II. Einwilligung vor Tat III. Einwilligungsfähigkeit…Dann keine Sittenwidrigkeit). Solange im Sachverhalt jedoch nichts von einem „besonders gefährlichen“ Eingriff steht, brauchst du nicht jedes Mal explizit lang festzustellen, dass der Eingriff nicht sittenwidrig ist. Hier reicht es, wenn du es in einem Satz kurz feststellst. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-StGB 4. Auflage, Erb § 34 Rn. 38 ff. sehr empfehlen. :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Christoph
1.11.2024, 07:19:14
In der ersten Frage wird die Verwirklichung des Tatbestandes bejaht. Korrekt müsste es doch eigentlich lauten „objektiver TB verwirklicht“. Die Verwirklichung scheitert ja letztendlich doch am Ende. Aktuell ist es ein wenig irreführend oder missverstehe ich das?
Linne_Karlotta_
1.11.2024, 14:13:25
Hey Christoph, danke für Deine Frage. Tatsächlich hat A hier nach der h.M. – sowohl objektiv als auch subjektiv – den Tatbestand der Körperverletzung erfüllt. Die Strafbarkeit scheitert hier daran, dass eine rechtfertigende Einwilligung gegeben ist. Diese lässt aber nur die Rechtswidrigkeit des tatbestandlichen Handelns entfallen. Denke an den Dreischritt: I. Tatbestand II. Rechtswidrigkeit III. Schuld Die rechtfertigende Einwilligung prüfst Du erst unter II., nachdem Du I. bejaht hast. Ich hoffe, ich konnte dir damit weiterhelfen. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team