Landesrecht (im Aufbau)

Polizei- und Ordnungsrecht NRW

Grundlagen

Wiederholungsfall zum Zusammenspiel verschiedener Handlungsformen (2)

Wiederholungsfall zum Zusammenspiel verschiedener Handlungsformen (2)

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die örtliche Ordnungsbehörde der Gemeinde G erlässt eine Leinenzwang-Verordnung für alle Hunde ungeachtet ihrer Gefährlichkeit. H, der einen kleinen Pudel hält und gegen die Verordnung verstößt, wird durch die Polizei sofort des Ortes verwiesen.

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Einordnung des Falls

Wiederholungsfall zum Zusammenspiel verschiedener Handlungsformen (2)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Platzverweisung wegen Hs Verstoß gegen den Leinenzwang aus der Rechtsverordnung ist auf § 27 Abs. 1 OBG zu stützen.

Nein, das trifft nicht zu!

§ 27 Abs. 1 OBG enthält die Ermächtigungsgrundlage zum Erlass von Verordnungen zur Gefahrenabwehr durch die Ordnungsbehörden. Die Platzverweisung wurde zwar zur Durchsetzung der in der Verordnung begründeten abstrakten Ge- und Verbote ausgesprochen, dieses Handeln ist jedoch von § 27 Abs. 1 OBG nicht umfasst. Ermächtigungsgrundlage für eine vorübergehende Verweisung von einem Ort ist § 34 Abs. 1 PolG NRW (Platzverweisung). Nach dem Grundsatz der Subsidiarität sperrt eine solche spezielle Ermächtigungsgrundlage den Rückgriff auf die Generalklausel des § 8 Abs. 1 PolG NRW. Die auf die besonderen Ermächtigungsgrundlagen des PolG gestützten Maßnahmen werden als polizeiliche Standardmaßnahmen bezeichnet.
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2. Die Platzverweisung ist ein Verwaltungsakt i.S.d. § 35 S. 1 VwVfG NRW.

Ja!

Ein Verwaltungsakt liegt vor, wenn die Platzverweisung die Merkmale des § 35 S. 1 VwVfG NRW erfüllt. Insbesondere müsste ihr Regelungscharakter zukommen. Dies ist der Fall, wenn die Platzverweisung ihrem objektiven Gehalt nach darauf gerichtet ist, eine verbindliche Rechtsfolge zu setzen. Mit der Platzverweisung wird dem H verbindlich der Aufenthalt in dem Park verboten. Es handelt sich folglich um eine Regelung und da auch die weiteren Merkmale des § 35 S. 1 VwVfG NRW erfüllt sind um einen Verwaltungsakt, dessen Aufhebung mittels der Anfechtungsklage begehrt werden kann.

3. Gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nur für polizeiliche Einzelfallmaßnahmen, mit der Folge, dass die Leinenzwang-Verordnung sich nicht daran messen lassen muss?

Nein, das ist nicht der Fall!

Ungeachtet der einfachrechtlichen Positivierung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in §§ 2 PolG NRW, 15 OBG, ist er bereits dem Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3 GG zu entnehmen. Er gilt für das gesamte staatliche Handeln. Auch die Leinenzwang-Verordnung muss sich folglich an ihm messen. Im Fall wird nicht zwischen verschiedenen Hundearten differenziert, sodass der (auch abstrakt) ungefährliche Pudel ebenso erfasst ist, wie größere und abstrakt gefährliche Hunde. Die Verordnung verstößt somit gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und ist daher rechtswidrig. Zugleich kann man hierin einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) sehen.

4. Die Rechtswidrigkeit der Verordnung hätte H vor der Platzverweisung feststellen lassen müssen. Auch wenn sie rechtswidrig ist, hilft ihm das nun nicht mehr. Das Recht ist für die Wachen da!

Nein, das trifft nicht zu!

Dies wäre richtig, wenn die Verordnung trotz Rechtswidrigkeit – wie bei Verwaltungsakten – wirksam bliebe. Diese Unterscheidung zwischen Rechtswidrigkeit und Wirksamkeit ist jedoch gerade ein (verwaltungsaktspezifischer) Ausnahmefall. Sie ergibt sich aus § 43 Abs. 2 und 3 VwVfG. Für Gesetze gilt jedoch grundsätzlich das Nichtigkeitsdogma. Es besagt, dass eine gegen höherrangiges Recht verstoßende Rechtsnorm die ipso-iure-Nichtigkeit, also Nichtigkeit kraft Gesetzes, zur Folge hat. Diese Wirkung tritt ex tunc ein. Die ex tunc eintretende Nichtigkeit des rechtswidrigen Gesetzes führt dazu, dass H nicht die öffentliche Sicherheit stört. Der Verwaltungsakt ist damit rechtswidrig und verletzt H in seinen Rechten. Stellt das OVG im Rahmen einer verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle die Ungültigkeit einer Rechtsverordnung fest, so erklärt es sie für unwirksam (§ 47 Abs. 5 S. 2 VwGO). Das Nichtigkeitsdogma ist allerdings eingeschränkt. Im Baurecht etwa führt § 214 BauGB dazu, dass rechtswidrige Bebauungspläne nicht per se nichtig sind.

5. Die Platzverweisung wegen des Verstoßes gegen den Leinenzwang ist rechtswidrig und verletzt H in seinen Rechten.

Ja!

Gemäß § 34 Abs. 1 PolG NRW darf eine Person zur Abwehr einer Gefahr vorübergehend von einem Ort verwiesen werden. Dies meint nichts anderes, als dass die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdet oder gestört sein muss (vgl. § 8 Abs. 1 PolG NRW). Ist die Verordnung – und damit der darin geregelte Leinenzwang – rechtswidrig, bestehen für eine solche Gefahr oder Störung jedoch keine Anhaltspunkte. Die Platzverweisung ist rechtswidrig und verletzt den H in seinen Rechten. Mit guten Argumenten ließe sich außerdem vertreten, dass eine sofortige Platzverweisung ohne vorherige Aufklärung über die Verordnung in diesem Fall nicht angemessen ist und daher gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (§ 2 PolG NRW) verstößt. Da bereits der Tatbestand des § 34 Abs. 1 PolG NRW nicht erfüllt ist, kommt es hierauf jedoch nicht an.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Dogu

Dogu

6.1.2024, 10:13:24

Ist hier die Anfechtungsklage gegen die Platzverweisung mit einer inzidenten Prüfung der RMK der Polizeiverordnung ausreichend oder muss ein Normenkontrollverfahren angestrengt werden?

Dogu

Dogu

20.1.2024, 12:41:07

Dies vor allem angesichts des Umstands, dass das Normenkontrollverfahren fristgebunden ist.

Irina95

Irina95

22.1.2024, 18:29:14

Ich hätte gesagt, da der VA sich bereits erledigt hat. Wäre die FKK § 113 Abs. 1 S.4. VwGO Für die FKK müsste die Erledigung nach Klageerhebung und vor Urteilsverkündung eingetreten sein. Dies ergibt sich aus dem Wort „vorher“ welches sich aufgrund der systematischen Stellung des §113 VwGO im 10. Abschnitt auf das Urteil bezieht. Ein Urteil kann aber nur ergehen wenn die Klage schon erhoben wurde. Hier trat die Erledigung vor Klageerhebung ein. Deswegen scheidet eine direkte Anwendung der FKK aus. Demnach wäre die richtige Klageart, meines Erachtens die FKK gem. § 113 Abs. 1 S.4 analog.

Charliefux

Charliefux

8.8.2024, 10:34:35

Hallo @[Dogu](137074) sowohl eine FFK als auch ein Normenkontrollverfahren kommen in Betracht. In einer Klausur musst du dich nach dem Begehren des Klägers richten und danach deine Klausur aufbauen.

Irina95

Irina95

22.1.2024, 18:45:08

So wie in dem Fall geschildert könnte ja dann jede Verordnung welche einen Leinenzwang fordert gekippt werden? Es könnte ja sein, dass die Verordnung zum Schutz von Jungvögeln erlassen wird und es egal ist um welche Hunderasse es sich handeln würde. Ggf. rennen ja auch kleine Hunde Vögeln hinterher. Ist die Verordnung im Sachverhalt demnach nur rechtswidrig weil keine Begründung genannt wurde? (Naturschutz etc.) In der Subsumtion steht ja lediglich „Im Fall wird nicht zwischen verschiedenen Hundearten differenziert, sodass der sich (abstrakt) ungefährliche Pudel ebenso erfasst ist, wie auch größere und abstrakt gefährliche Hunde. Die Verordnung verstößt somit gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und ist daher rechtswidrig“ Aber im meinem Beispiel mit dem Schutz der Vögel, wäre die Begründung dann gegeben und könnte dann pauschal für alle Hunderassen gelten?

VALA

Vanilla Latte

24.2.2024, 04:57:16

Also würde ich eine FFK prüfen hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Platzverweises. Bei der materiellen RM in der Begründetheit lande ich dann bei der Voraussetzung einer "konkreten Gefahr für öffentliche Sicherheit und Ordnung". Ich nehme hier eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit an, wegen Verletzung der objektiven Rechtsordnung und prüfe dann inzident die Rechtmäßigkeit der Verordnung. Bei der materiellen RM dieser im Rahmen der Verhältnismäßigkeit fliege ich dann raus, weil nicht zwischen gefährlichen und ungefährlichen Hunden unterschieden wurde. Ist das richtig?


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