Zivilrecht

Schuldrecht Allgemeiner Teil

Entstehung von Schuldverhältnissen

Vorvertragliches Schuldverhältnis: Mitteilung über Produktionsverfahren einer Brennstoffzelle

Vorvertragliches Schuldverhältnis: Mitteilung über Produktionsverfahren einer Brennstoffzelle

19. Mai 2025

8 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Hersteller H hat eine neue Brennstoffzelle entwickelt. Er wendet sich an den Automobilhersteller A, der die Brennstoffzelle in seine Autos einbauen könnte. H teilt auf As Verlangen das Produktionsverfahren mit. A verwendet das Wissen für die eigene Produktion.

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Einordnung des Falls

Vorvertragliches Schuldverhältnis: Mitteilung über Produktionsverfahren einer Brennstoffzelle

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Zwischen H und A ist ein Vertrag zustande gekommen.

Nein, das trifft nicht zu!

Ein Vertrag entsteht durch zwei inhaltlich übereinstimmende Willenserklärungen, Angebot und Annahme (§§ 145, 147 BGB). H und A haben sich bisher nur über das Produkt unterhalten. Keiner der beiden hat bisher eine Willenserklärung abgegeben. Somit besteht kein Vertrag zwischen H und A.
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2. Zwischen H und A besteht ein vorvertragliches Schuldverhältnis (§ 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB).

Ja!

Ein vorvertragliches Schuldverhältnis entsteht: durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen (Nr. 1), die Anbahnung eines Vertrags, , bei der eine Partei der anderen die Möglichkeit der Einwirkung auf ihre Rechtsgüter und Interessen gewährt (Nr. 2) oder ähnliche geschäftliche Kontakte (Nr. 3). Für eine Vertragsanbahnung genügt die Aufnahme von Vorgesprächen, durch die die Möglichkeit späterer vertraglicher Beziehungen ausgelotet werden soll, soweit damit Einwirkungsmöglichkeiten auf die Rechts- und Interessensphäre des anderen Teils verbunden sind. Das ist hier der Fall. H hat A sein Produktionsverfahren erklärt.

3. Mit dem vorvertraglichen Schuldverhältnis entstehen für H und A Schutz- und Rücksichtnahmepflichten (§§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB).

Genau, so ist das!

Das vorvertragliche Schuldverhältnis verpflichtet die Parteien zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils (culpa in contrahendo). Bei einem Verstoß gegen die Rücksichtnahmepflicht, ergibt sich ein Schadenersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB und nicht bloß aus § 823 Abs. 1 BGB. Für die Parteien ist dies relevant, weil § 823 Abs. 1 BGB – anders als § 280 Abs. 1 BGB – nur absolute Rechte schützt und der Geschädigte die Beweislast für ein Verschulden des Schädigers trägt. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet hingegen das Vertretenmüssen des Schädigers (sog. Beweislastumkehr).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

LEA

Lea

4.12.2023, 13:19:22

Würde man ein

vorvertragliches Schuldverhältnis

auch in dem Fall annehmen? Jemand ist in einem Bekleidungsgeschäft, lässt

Ware

zurücklegen, holt diese nicht ab bzw. kauft diese nicht. Die

Ware

hätte in der Zeit auch an andere, die danach gefragt haben, verkauft werden können.

Bubbles

Bubbles

4.12.2023, 13:54:50

Ja, ich denke schon. Dabei dürfte es sich um eine

Vertragsanbahnung

iSd § 311 II Nr. 2 handeln. Das erinnert mich auch an den Fall bzgl einer Tischreservierung: https://applink.jurafuchs.de/Pd8hB5vUfFb

HAGE

hagenhubl

4.5.2024, 10:34:18

Die Kleidung frisst aber kein Brot und kann später noch verkauft werden.

BEN

benjaminmeister

29.11.2024, 11:04:09

@[Bubbles](216309) sehe das genauso. Bei Kleidung könnte man zunächst argumentieren, dass der Verkäufer vielleicht das Kleidungsstück mehrfach vorrätig hat und dann schon gar kein

Schaden

eintritt, wenn es nicht mehr abgeholt wird, weil kein Verkauf ausgeblieben ist. Handelt es sich hingegen um das letzte Kleidungsstück einer Kollektion könnte das schon wieder anders aussehen. Aber hier wird man wohl sagen müssen, dass wenn es dem Verkäufer wirklich darauf ankommt, kein weiteres Geschäft ausschlagen zu müssen, dass er dies ausreichend kommunizieren oder eben einen bereits wirksamen Vertrag abschließen muss. Den maßgebliche Unterschied zum Tischreservierungsfall sehe ich darin, dass im Restaurant nach Ausbleiben der Gäste, die Einnahmen wegen

Unmöglichkeit

nicht mehr nachgeholt werden können (für diesen spezifischen Zeitraum). Beim zurückgelegten Kleidungsstück hingegen bleibt die Sache ja erhalten und der Verkäufer kann seine Leistungsmöglichkeit weiterhin (nur zu einem anderen Zeitpunkt) verwerten. Also ein

vorvertragliches Schuldverhältnis

kann man annehmen, aber ein

Schaden

durch das ausbleibende Abholen wird a) sehr selten eintreten und b) dürfte eine verletzbare Schutzpflicht nicht so leicht zu konstruieren sein, wie bei der Tischreservierung.

CO

cornelius.spans

30.11.2024, 23:07:32

Hi, zusätzlich zu den Ausführungen von @[benjaminmeister](216712) müsste man sich noch mit der Frage beschäftigen, was denn die aus dem vorvertraglichen

Schuld

verhältnis resultierenden Pflichten des Reservierenden sind. Ähnlich des Tischreservierungsfalls dürften sich die Rücksichtnahmepflichten durch die Reservierung des Kleidungsstücks darauf beschränken, dass die Reservierung aufgehoben wird, sobald die Entscheidung getroffen wurde, das Kleidungsstück nicht kaufen zu wollen. Darüber hinaus gehende Pflichten können schon deshalb nicht bestehen, weil eine Reservierung obj. erkennbar offen lässt, ob es später zu einem Kauf kommt. Sollte dann aber wegen der verspäteten Absage ein Einzelstück an einen Käufer, der genau in der Zeit konkret anfragt und dann später kein Interesse mehr hat und das Stück auch anderweitig mangels potentiellen Käufern nicht mehr verkauft wird, dann könnte man über einen

Schaden

sersatz bzgl. des negativen Interesses nachdenken. MfG

LMA

Lt. Maverick

19.4.2025, 14:21:05

Schließe mich meinem Vorredner an. Man müsste sich ja die Frage stellen, welche Pflicht überhaupt verletzt sein könnte. Hierbei sind auch die Umstände und der Zweck zu berücksichtigen. Bei zurückgelegten

Ware

n trifft den Kunden keine Pflicht zum Kauf. Der Kunde möchte die

Ware

vielleicht zunächst anprobieren oder sich in anderen Geschäften nach vergleichbaren Produkten umsehen, um seine Kaufentscheidung zu festigen. Der Händler weiß von diesen Umständen, die

Ware

wird regelmäßig für einen bestimmten/bestimmbaren Zeitraum zurückgelegt und bei Nichtabholung wieder im Verkaufsraum ausgestellt (z.B. bis Ladenschluss am selben Tag). Den Kunden trifft insoweit keine Informationspflicht, da diesem gerade dieser Zeitraum eingeräumt wird eine Kaufentscheidung zu treffen. Wenn der Kunde die

Ware

also nicht abholt, kann der Händler nicht sagen: „Na das hätte ich heute Mittag an den Kunden X gewinnbringend verkaufen können“, denn insoweit hätte den Händler dann doch ebenso eine Pflichtverletzung getroffen. Der Händler hat sich doch gerade dem Kunden gegenüber dazu verpflichtet die

Ware

für diesen bestimmten Zeitraum zur Überlegung zurückzulegen. Der Kunde verhält sich doch entsprechend der Vereinbarung, wenn er den ihm eingeräumten Zeitraum zur Überlegung auch nutzt. Das ist etwas anders gelagert bei der Tischreservierung. Hier muss der Kunde zum vereinbarten Zeitpunkt da sein. Die Reservierung verfolgt nicht den Zweck dem Kunden Überlegungszeit einzuräumen. Der Tisch wird zwecks Abschluss eines

Bewirtungsvertrag

s reserviert. Insoweit trifft den Gast eine Rücksichtnahmepflicht den Gastwirt über die Nichtwahrnehmung der Reservierung in Kenntnis zu setzen. Denn durch Nichterscheinen kann der Zweck nicht gewahrt werden und aufgrund der Reservierung auch nicht durch einen anderen Kunden. Bei zurückgelegten

Ware

n würde es mMn dann eine Pflichtverletzung darstellen, wenn der Kunde den Händler darum bittet über die Ladenschließzeit hinaus geöffnet zu bleiben, damit der Kunde die

Ware

n anprobieren und ggf. kaufen kann. Hier dient ja das Zurücklegen und die längere Ladenöffnung nicht der Überlegungszeit des Kunden, sondern konkret schon der Vorbereitung eines Kaufvertragsabschlusses. Hat der Händler extra einen Ladenangestellten dabehalten und erscheint der Kunde nicht, dann hätte der Händler bei

rechtzeitig

er Mitteilung wie gewohnt schließen können. Der Händler hat ja ein berechtigtes Interesse daran nur dann Angestellte einzusetzen und für Überstunden zu zahlen, wenn hierfür auch ernsthafter Bedarf besteht.

PAUHE

Paul Hendewerk

4.12.2024, 11:03:06

Besonders gelungen finde ich an dieser Aufgabe die Gegenüberstellung der beiden häufig in Betracht kommenden SE-Anspruchsgrundlagen (§§ 280 I, 311 II, 241 II BGB auf der einen und § 823 I BGB auf der anderen Seite) sowie das Aufzeigen der Unterschiede: § 823 I BGB schützt nur absolute Rechte, dagegen ist der Schutz von §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB umfassend; bei § 823 I BGB trägt der Geschädigte die Beweislast für ein Ver

schuld

en des Schädigers, dagegen nimmt §

280 I 2 BGB

eine Beweislastumkehr zu Gunsten des Geschädigten vor. Sehr gelungen, vielen Dank!

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

4.12.2024, 20:10:24

Hallo Paul Hendewerk, vielen Dank für dein Lob! Deine positive Rückmeldung motiviert uns, weiterhin unser Bestes zu geben. Beste Grüße, Linne_Karlotta_, für das Jurafuchs-Team


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