Öffentliches Recht

Examensrelevante Rechtsprechung ÖR

Klassiker im Öffentlichen Recht

Spaßveranstaltung als geschützte Versammlung? („Love Parade“)

Spaßveranstaltung als geschützte Versammlung? („Love Parade“)

26. Juli 2023

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs-Illustration zum Fall zur Versammlungseigenschaft von Spaßveranstaltungen ("Love-Parade")(BVerfG, 12.07.2001): Man erkennt eine Versammlung von vielen glücklichen Menschen mit Wagen. Zwei Frauen sitzen auf einer Laterne.

Veranstalter A meldet bei Polizeipräsident P die „Love Parade“ als Versammlung an. Geplant sind bunte Wagen, die mit Techno-Musik durch die Stadt ziehen. P erlässt einen Bescheid gegen A, dass die Veranstaltung keine öffentliche Versammlung sei. A ist damit nicht einverstanden.

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Einordnung des Falls

Spaßveranstaltung als geschützte Versammlung? („Love Parade“)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Setzt eine Versammlung voraus, dass die Teilnehmer einen gemeinsamen Zweck verfolgen?

Genau, so ist das!

Der gemeinsame Zweck der Versammlungsteilnehmer sowie ihre dadurch entstehende innere Verbundenheit sind das Abgrenzungskriterium zur bloßen Ansammlung, die nicht in den Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 GG fällt. Umstritten ist, ob bzw. welche Anforderungen an den gemeinsamen Zweck zu stellen sind.
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2. Reicht nach dem weiten Versammlungsbegriff jeder gemeinsame Zweck aus?

Ja, in der Tat!

Nach dem weiten (teilweise auch offen genannten) Versammlungsbegriff ist eine Versammlung das Zusammenkommen mehrerer Menschen zur gemeinsamen Zweckverfolgung. An den Zweck, der verfolgt wird, werden nach dem weiten Versammlungsbegriff keine Anforderungen gestellt. Vom Versammlungsrecht geschützt sind nach dem weiten Versammlungsbegriff daher auch reine Spaßveranstaltungen. Für den weiten Versammlungsbegriff spricht der offene Wortlaut des Art. 8 Abs. 1 GG, dagegen, dass er auch Veranstaltungen umfasst, die keines Schutzes über Art. 8 Abs. 1 GG bedürfen (z.B. Mannschaftssport).

3. Ist die Love-Parade nach dem weiten Versammlungsbegriff eine Versammlung?

Ja!

Auf der „Love Parade“ konsumieren die Teilnehmer nicht nur, sondern treten als Akteure auf, die ihr Lebensgefühl gemeinsam ausdrücken. Dieses zeigen sie, indem sie gemeinsam tanzen, feiern, Spaß haben und mit den Wagen durch die Straßen ziehen. In diesem Lebensgefühl liegt auch der gemeinsame Zweck der Teilnehmer. Nach dem weiten Versammlungsbegriff liegt eine Versammlung vor.

4. Erfüllt die Love-Parade, auch nach einem erweiterten Versammlungsbegriff, der eine gemeinsame Meinungsbildung/-äußerung verlangt, die Voraussetzungen einer Versammlung?

Genau, so ist das!

Nach einem erweiterten Versammlungsbegriff setzt eine Versammlung voraus, dass die Teilnehmer gemeinsam eine Meinung bilden bzw. kundtun. Eine Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung ist dabei nicht erforderlich. Gegen dieses Begriffsverständnis spricht, dass die Meinungsbildung und -äußerung auch über Art. 5 Abs. 1 GG geschützt ist; dafür spricht wiederum, dass eine Versammlung ohne Meinungsbildung oder Kundgabe nur schwer von einer Ansammlung zu unterscheiden ist. Auf der „Love Parade“ bilden und äußern die Teilnehmer ihre Meinung in Bezug auf ihr Lebensgefühl. Eine Versammlung liegt vor.

5. Wird nach dem engen Versammlungsbegriff eine auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtete Erörterung oder Kundgabe vorausgesetzt?

Ja, in der Tat!

Nach dem engen Versammlungsbegriff (BVerfG, st. Rspr.) ist eine Versammlung (1) eine örtliche Zusammenkunft (2) mehrerer Personen (3) zwecks gemeinschaftlicher Erörterung und Kundgebung mit dem Ziel der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung. BVerfG: Der enge Versammlungsbegriff rechtfertige sich dadurch, dass die Versammlungsfreiheit wegen ihrer „konstitutiven Bedeutung für die Demokratie“ nur den in Art. 8 Abs. 2 GG vorgesehenen Schranken eingeschränkt werden kann und deshalb Rechte anderer (zum Beispiel von Anwohnern, Verkehrsteilnehmern und Gewerbetreibenden) häufig wegen des hohen Rangs der Versammlungsfreiheit zurücktreten. (RdNr. 16ff.).

6. Erfüllen Volksfeste, Vergnügungsveranstaltungen und Spaßveranstaltungen nach dem engen Versammlungsbegriff die Voraussetzungen einer Versammlung?

Nein!

BVerfG: Volksfeste und Vergnügungsveranstaltungen fallen unter den engen Versammlungsbegriff ebenso wenig wie Veranstaltungen, die der bloßen Zurschaustellung eines Lebensgefühls dienen oder die als eine auf Spaß und Unterhaltung ausgerichtete öffentliche Massenparty gedacht sind. Dabei ist es unerheblich, ob der dort vorherrschende Musiktyp ein Lebensgefühl von sogenannten Subkulturen ausdrückt oder dem Mehrheitsgeschmack entspricht (RdNr. 18). Maßgeblich ist, ob die Veranstaltungen den Zweck gemeinschaftlicher Erörterung und Kundgebung mit dem Ziel der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung verfolgen.

7. Fehlt es bei der "Love Parade" an den Voraussetzungen einer Versammlung, weil dort die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung (enger Versammlungsbegriff) durch Musik und Tanz verwirklicht wird?

Nein, das ist nicht der Fall!

Auf welche Weise die kommunikativen Zwecke einer Versammlung - also die gemeinschaftliche Erörterung und Kundgebung mit dem Ziel der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung (enger Versammlungsbegriff) - verfolgt werden, ist unerheblich. In den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit fallen Versammlungen deshalb auch dann, wenn sie ihre kommunikativen Zwecke unter Einsatz von Musik und Tanz verwirklichen.

8. Wird, auch wenn die "Love Parade" nach ihrem Gesamtgepräge eine Spaßveranstaltung ist, sie dadurch zur Versammlung (enger Versammlungsbegriff), dass ihre Teilnehmer bei ihrer Gelegenheit ihre Meinung kundtun?

Nein, das trifft nicht zu!

BVerfG: Eine Musik- und Tanzveranstaltung wird nicht allein dadurch insgesamt zu einer Versammlung im Sinne des Art. 8 GG, dass bei ihrer Gelegenheit auch Meinungskundgaben erfolgen (RdNr. 22). Erforderlich ist, dass die Teilnehmer einen gemeinsamen Zweck verfolgen. Es sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dies danach zu ermitteln, ob die Veranstaltung nach ihrem Gesamtgepräge eine Versammlung ist oder ob der Spaß-, Tanz- oder Unterhaltungszweck im Vordergrund steht. Bleiben Zweifel, so bewirkt der hohe Rang der Versammlungsfreiheit, dass die Veranstaltung wie eine Versammlung behandelt wird (RdNr. 25).

9. Erfüllt die "Love Parade" auch nach dem engen Versammlungsbegriff die Voraussetzungen einer Versammlung?

Nein!

BVerfG: Die „Love Parade“ erfülle - genauso wie die im gleichen Verfahren beurteilte „Fuck Parade - nicht die Voraussetzungen des engen Versammlungsbegriffs. Denn ihr fehle es am Versammlungszweck der gemeinschaftlichen Erörterung und Kundgebung mit dem Ziel der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung. Vielmehr stehe bei ihr - nach nicht zu beanstandender fachgerichtlicher Beurteilung - der Spaß-, Tanz- und Unterhaltungszweck nach ihrem Gesamtgepräge im Vordergrund (RdNr. 22ff.).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JO

jomolino

12.4.2022, 14:50:41

Die drittletzte Frage ergibt leider keinen Sinn.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

13.4.2022, 19:21:50

Hi nomamo, wir haben die vorherige Aussage nun etwas umformuliert, damit es besser verständlich wird. Deutlich werden sollte hierdurch, dass es egal ist, auf welche Weise die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung geschieht. Auch durch Tanz und Musik kann an der öffentlichen Meinungsbildung teilgenommen werden, womit die Voraussetzungen des engen Versammlungsbegriffes erfüllt sind. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

CHU

chu

25.1.2024, 14:22:10

Liebes Jurafuchs-Team, in einer der Fragen hat sich ein Fehler eingeschlichen: es muss "kundtun" und nicht "kuntun" heißen :)

LELEE

Leo Lee

27.1.2024, 11:40:31

Hallo chu, vielen Dank für den Hinweis! In der Tat hatte sich hier der Fehlerteufel eingeschlichen. Wir haben den Fehler nun korrigiert und danken dir vielmals, dass du uns dabei hilfst, die App zu perfektionieren :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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