Irrige Vorstellung einer Straftat
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Nachdem T zwei Bier getrunken hat (0,7‰ Blutalkoholgehalt), fährt er unauffällig mit seinem PKW. Als der Polizist P ihn im Rahmen einer allgemeinen Verkehrskontrolle anhält, tötet er den P. T denkt, er habe eine strafbare Trunkenheitsfahrt begangen. Dafür möchte er nicht belangt werden.
Einordnung des Falls
Irrige Vorstellung einer Straftat
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. T hat den P in "Verdeckungsabsicht" getötet (§ 211 Abs. 2 Gr. 3 Var. 2 StGB).
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2. Obwohl T sich die Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB) nur vorstellt, liegt eine "andere Straftat" (§ 211 Abs. 2 Gr. 3 Var. 2 StGB) vor.
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3. Die Ordnungswidrigkeit des T (§ 24a StVG) ist eine "andere Straftat" (§ 211 Abs. 2 Gr. 3 Var. 2 StGB).
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Nein, das ist nicht der Fall!
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S3tr
11.7.2020, 17:13:25
Würde T nicht einem umgekehrten Verbotsirrtum unterliegen?
🦊LEXDEROGANS
7.2.2021, 23:00:34
@S3tr, m. E. überhaupt nicht fernliegend! T müsste den SV erfasst (BAK) und sodann gedacht haben, § 316 umfasse seinen Fall. AGrd. des ausdr. Hinweises auf eine „strafbare Trunkenheitsfahrt“ (vgl. Titel von § 316) ist ein Tatumstandsirrtum aber vllt. näherliegend.
Lukas_Mengestu
22.6.2021, 01:41:43
Hallo ihr beiden, dass ist durchaus ein naheliegender Gedanke, denn beim umgekehrten Verbotsirrtum (auch "Wahndelikt" genannt), stellt der Täter sich ja bloß vor, sich strafbar zu machen, obschein ein entsprechender Tatbestand nicht existiert (zB T stellt sich vor, der von ihm verübte Ehebruch sei strafbar). Man könnte insoweit versucht sein, die Konstellationen hier zu vergleichen, da ja auch hier eine Fehlvorstellung des T vorliegt, da er glaubt, mit 0,7 Promille ohne Ausfallerscheinungen bereits den Tatbestand des § 316 Abs. 1 bzw. Abs. 2 StGB verwirklicht zu haben. Der Fall unterscheidet sich aber in einem wesentlichen Punkt von den Fällen des Wahndelikts. Die Straffreiheit des Wahndelikts resultiert daraus, dass die Rechtsordnung die vorgestellte Tat nicht unter Strafe stellt und der Täter keinerlei "Handlungsunrecht" verwirklicht. Anders liegt der Fall hier. T hat vorsätzlich einen Menschen getötet und damit entsprechendes Handlungsunrecht verwirklicht. Insoweit liegt kein Tatbestandsirrtum (§ 16 Abs. 1 S. 1 StGB) vor. Die "andere Straftat" ist hingegen kein Merkmal des objektiven Tatbestands. Vielmehr knüpft das Gesetz allein an eine entsprechende Absicht an. Nach der Rechtsprechung des BGH genügt es deshalb, dass der Täer irrig glaubt, mit seinem Vorverhalten, das er verdecken will, habe er eine Straftat begangen (vgl. BGHSt 28, 95). T macht sich hier also des vollendeten Mordes strafbar. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Lenny
19.6.2021, 10:54:46
Hallo, ich hätte nur eine kleine Frage zur Klarstellung für meine eigenes Verständnis. Wurde die Verdeckungsabsicht hier bejaht weil generell eine Ordnungswidrigkeit (objektiv) als Bezugstat ausreicht, oder weil eine (subjektiv) irrtümlich angenommene Tat ausreicht (VerdeckungsABSICHT)?
Speetzchen
20.6.2021, 13:16:00
Weil T angenommen hat, dass er eine Straftat (§ 316) begangen hat. Lg ☺️
Lenny
20.6.2021, 13:36:32
Hallo Speetzchen, vielen Dank für die Klarstellung 😊.