Irrige Vorstellung einer Straftat

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Nachdem T zwei Bier getrunken hat (0,7‰ Blutalkoholgehalt), fährt er unauffällig mit seinem PKW. Als der Polizist P ihn im Rahmen einer allgemeinen Verkehrskontrolle anhält, tötet er den P. T denkt, er habe eine strafbare Trunkenheitsfahrt begangen. Dafür möchte er nicht belangt werden.

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Einordnung des Falls

Irrige Vorstellung einer Straftat

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T hat den P in "Verdeckungsabsicht" getötet (§ 211 Abs. 2 Gr. 3 Var. 2 StGB).

Ja!

Mit Verdeckungsabsicht tötet, wem es darauf ankommt, durch die Tötung entweder die Aufdeckung der Vortat in einem die Strafverfolgung sicherstellenden Umfang oder die Aufdeckung seiner Täterschaft zu verbergen. T hat den P getötet, um die vorgestellte Trunkenheitsfahrt zu verdecken.
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2. Obwohl T sich die Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB) nur vorstellt, liegt eine "andere Straftat" (§ 211 Abs. 2 Gr. 3 Var. 2 StGB) vor.

Ja!

Nach nahezu einhelliger Meinung in Rechtsprechung und Literatur kann auch dann Verdeckungsabsicht vorliegen, wenn sich der Täter irrig eine Straftat vorstellt. Denn es kommt ausschließlich auf die subjektive Vorstellung des Täters an. Zwar hat T keine Straftat, sondern nur eine Ordnungswidrigkeit begangen. Er stellt sich jedoch irrig vor, eine Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB) begangen zu haben. Die Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB) ist eine Straftat. Die irrige Vorstellung reicht aus.

3. Die Ordnungswidrigkeit des T (§ 24a StVG) ist eine "andere Straftat" (§ 211 Abs. 2 Gr. 3 Var. 2 StGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Unter einer "anderen Straftat" ist die eigene wie fremde strafbare, also tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Tat gemeint. Nach h.M. kommt nur eine kriminell strafbare Handlung (§ 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB) in Betracht, d.h. Verbrechen oder Vergehen (§ 12 StGB). Bloße Ordnungswidrigkeiten erfüllen das Mordmerkmal dagegen nicht. Mit 0,7‰ Blutalkoholgehalt erfüllt T den Tatbestand der Ordnungswidrigkeit (§ 24a StVG). Dies stellt jedoch keine andere Straftat (§ 211 Abs. 2 Gr. 3 Var. 2 StGB) dar.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

S3T

S3tr

11.7.2020, 17:13:25

Würde T nicht einem umgekehrten Verbotsirrtum unterliegen?

🦊LEXD

🦊LEXDEROGANS

7.2.2021, 23:00:34

@S3tr, m. E. überhaupt nicht fernliegend! T müsste den SV erfasst (BAK) und sodann gedacht haben, § 316 umfasse seinen Fall. AGrd. des ausdr. Hinweises auf eine „strafbare Trunkenheitsfahrt“ (vgl. Titel von § 316) ist ein

Tatumstandsirrtum

aber vllt. näherliegend.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

22.6.2021, 01:41:43

Hallo ihr beiden, dass ist durchaus ein naheliegender Gedanke, denn beim umgekehrten Verbotsirrtum (auch "

Wahndelikt

" genannt), stellt der Täter sich ja bloß vor, sich strafbar zu machen, obschein ein entsprechender Tatbestand nicht existiert (zB T stellt sich vor, der von ihm verübte Ehebruch sei strafbar). Man könnte insoweit versucht sein, die Konstellationen hier zu vergleichen, da ja auch hier eine Fehlvorstellung des T vorliegt, da er glaubt, mit 0,7 Promille ohne Ausfallerscheinungen bereits den Tatbestand des § 316 Abs. 1 bzw. Abs. 2 StGB verwirklicht zu haben. Der Fall unterscheidet sich aber in einem wesentlichen Punkt von den Fällen des

Wahndelikt

s. Die Straffreiheit des

Wahndelikt

s resultiert daraus, dass die Rechtsordnung die vorgestellte Tat nicht unter Strafe stellt und der Täter keinerlei "Handlungsunrecht" verwirklicht. Anders liegt der Fall hier. T hat vorsätzlich einen Menschen getötet und damit entsprechendes Handlungsunrecht verwirklicht. Insoweit liegt kein Tatbestandsirrtum (§ 16 Abs. 1 S. 1 StGB) vor. Die "andere Straftat" ist hingegen kein Merkmal des objektiven Tatbestands. Vielmehr knüpft das Gesetz allein an eine entsprechende Absicht an. Nach der Rechtsprechung des BGH genügt es deshalb, dass der Täer irrig glaubt, mit seinem Vorverhalten, das er verdecken will, habe er eine Straftat begangen (vgl. BGHSt 28, 95). T macht sich hier also des vollendeten Mordes strafbar. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

LEN

Lenny

19.6.2021, 10:54:46

Hallo, ich hätte nur eine kleine Frage zur Klarstellung für meine eigenes Verständnis. Wurde die

Verdeckungsabsicht

hier bejaht weil generell eine Ordnungswidrigkeit (objektiv) als Bezugstat ausreicht, oder weil eine (subjektiv) irrtümlich angenommene Tat ausreicht (

VerdeckungsABSICHT

)?

Speetzchen

Speetzchen

20.6.2021, 13:16:00

Weil T angenommen hat, dass er eine Straftat (§ 316) begangen hat. Lg ☺️

LEN

Lenny

20.6.2021, 13:36:32

Hallo Speetzchen, vielen Dank für die Klarstellung 😊.


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