+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A zündet das Gartenhäuschen des B an. Als das Häuschen schon in Flammen steht, rennt B hinein, um alte Familienfotos zu retten. Dabei erleidet er Atembeschwerden und bricht seine Rettungsaktion ab.

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Einordnung des Falls

Retterschäden 2

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Indem A das Gartenhaus angezündet hat, hat er sich der Brandstiftung (§ 306 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB) strafbar gemacht.

Genau, so ist das!

Wegen Brandstiftung (§ 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB) wird bestraft, wer fremde Gebäude oder Hütten in Brand setzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört. Das Gartenhäuschen ist eine Hütte (§ 306 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB), da es sich um ein Bauwerk handelt, das ein selbstständiges, unbewegliches Ganzes bildet, eine nicht nur geringfügige Bodenfläche bedeckt und ausreichend abgeschlossen ist. Es wurde auch in Brand gesetzt, da es in einer Weise vom Feuer erfasst ist, dass ein Weiterbrennen aus eigener Kraft möglich ist. Zudem befand es sich im Eigentum des B, sodass es für A fremd war.
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2. A könnte sich wegen schwerer Brandstiftung (§ 306a Abs. 2 StGB) strafbar gemacht haben.

Ja, in der Tat!

Wegen schwerer Brandstiftung (§ 306a Abs. 2 StGB) macht sich strafbar, wer eine in § 306 Abs. 1 StGB bezeichnete Sache in Brand setzt und dadurch einen anderen Menschen in die Gefahr einer Gesundheitsschädigung bringt. § 306a Abs. 2 StGB ist ein selbstständiges Grunddelikt und keine Qualifikation zu § 306 StGB. Dies ergibt sich aus den unterschiedlichen Schutzrichtungen. § 306a Abs. 2 StGB schützt die Gesundheit, § 306 Abs. 1 StGB hingegen das Eigentum. Die Definitionen des Tatobjekts und der Tathandlung sind aber identisch.

3. A hat B in die Gefahr einer Gesundheitsschädigung gebracht (§ 306a Abs. 2 StGB).

Ja!

Gesundheitsschädigung (wie in § 223 StGB) meint das Hervorrufen oder Steigern eines wenn auch nur vorübergehenden pathologischen Zustandes. Konkrete Gefahr meint eine kritische Situation, in der die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Rechtsgutserfolges besteht und die (mögliche) Rechtsgutsverletzung lediglich zufällig ausbleibt. A hat hier bereits Atembeschwerden erlitten, diese stellen eine Gesundheitsschädigung dar.

4. B wurde "durch" das Inbrandsetzen des A an seiner Gesundheit gefährdet (§ 306a Abs. 2 StGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Erforderlich ist der spezifische Gefahrverwirklichungszusammenhang, d.h. in der Gesundheitsgefährdung muss sich gerade das der Brandstiftungshandlung innewohnende Risiko verwirklichen. Schäden privater Retter stehen im Unmittelbarkeitszusammenhang zur Inbrandsetzung, soweit sie aus einer typischerweise erwartbaren Handlung herrühren. Dies ist bei Garanten oder bei der Rettung von Gegenständen mit erheblichem Sachwert der Fall. Verfolgt das Opfer bei der Rettungshandlung keine einsichtigen Motive, wird der Unmittelbarkeitszusammenhang durch das Eigenverantwortungsprinzip durchbrochen (freiverantwortliche Selbstgefährdung). B handelt aus bloßem Affektionsinteresse, die alten Familienfotos haben keinen wirtschaftlichen Wert. Die Gesundheitsgefährdung des B kann A nicht mehr zugerechnet werden.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Jurakatze1987

Jurakatze1987

22.7.2021, 22:31:39

Macht nicht direkt Sinn.

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

23.7.2021, 11:42:35

Hallo Jurakatze1987, kannst du mit uns teilen, warum die Lösung in deinen Augen nicht direkt Sinn macht? Beste Grüße - Wendelin für das Juraruchs-Team

Jurakatze1987

Jurakatze1987

23.7.2021, 17:02:50

Ich verstehe nicht warum Sentimentalitäten wegen Familienbildern weniger Bedeutung haben, als teure Bilder

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

23.7.2021, 17:08:38

Deine Rückfrage ist vollkommen berechtigt. Maßgeblich ist ja die Gefährdung und dabei die Erwartbarkeit, dass es privater Helfer bei Rettungshandlungen durch die Brandlegung verletzt wird - sei es nun zugunsten materiell oder ideell wertvoller Dinge. Die beschriebene Abgrenzung wird von der h.M. so angelegt, aber ich finde deinen Ansatz - gerade mit Blick auf das geschützte Rechtsgut - mindestens ebenso gut vertretbar! Zumal die Abgrenzung, was wertvoll ist und was nicht mehr, regelmäßig schwer fallen dürfte…

Jurakatze1987

Jurakatze1987

23.7.2021, 17:09:39

Danke 👍🌼🤗

Larzed

Larzed

10.11.2021, 00:08:22

Dürfte sich B nicht herausgefordert fühlen? Es wäre für A doch erwartbar gewesen, dass B hineingehen, um etwas zu retten. Ich würde daher eine Zurechnung des A bejahen.

consul

consul

2.9.2023, 11:15:34

Ein

spezifischer Gefahrzusammenhang

soll als Tatbestandsmerkmal die Kausalität grundsätzlich erstmal eingrenzen und die denkbaren Situationen verengen und das vor allem aufgrund der Strafschärfung. Zulasten des Täters, der ggf. nur einen Vorsatz auf § 306 I (Brandsachbeschädigung, ganz andere Schutzrichtung als § 306a II) hat, also eine SACHE zu schädigen, finde ich trotz eines etwaigen ideellen, emotionalen oder materiellen Wertes von Sachen etwas unverhältnismäßig. Gerade in diesen Fällen bringt der T das O nicht "durch" die Inbrandsetzung oder Brandlegung in die Gefahr einer

Gesundheitsschädigung

, sondern das O gerade freiverantwortlich selbst. Die Bejahung des spezifischen Gefahrzusammenhangs kann ich deswegen nur in Garantenfällen vollständig nachvollziehen.

Jopies

Jopies

5.2.2024, 14:40:49

Grundsätzlich halte ich die hM für insoweit sinnvoll, als das es objektiv erwartbarer ist, dass eine wertvolle Sache gerettet werden soll, als ein wirtschaftlich wertloser. Der Affektionswert ist höchst subjektiv und nicht bemessbar. Das lässt natürlich aber die Tür dafür offen, wenn der Täter weiß, dass sich hier eine Sache von hohem Affektionsinteresse befindet und er erwarten kann, dass diese gerettet wird.


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