+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die Vereinigten Arabischen Emiraten verhängen Boykottmaßnahmen gegen Kataris. Dagegen wehrt sich Katar vor dem Ausschuss der UN-Rassendiskriminierungskonvention. Dieser bestätigt eine Diskriminierung im Sinne der Konvention, der auch angerufene Internationale Gerichtshof verneint sie.

Einordnung des Falls

Charakteristika des Völkerrechts

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die UN-Rassendiskriminierungskonvention sieht zwei Streitbeilegungsmechanismen vor: ein Verfahren vor dem Ausschuss und dem IGH.

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Ja!

Nach Art. 11ff. der UN-Rassendiskriminierungskonvention (CERD) können die Vertragsparteien den zur Konvention gehörenden Ausschuss über Verstöße anderer Vertragsstaaten in Kenntnis setzen. Art. 22 CERD sieht zudem eine Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs (IGH) explizit vor. Die CERD schweigt zum Verhältnis der beiden Streitbeilegungsmechanismen. Insbesondere die Frage, ob die Anhängigkeit eines Verfahrens vor dem einen zur Unzulässigkeit vor dem anderen Streitbeilegungsmechanismus führt, war im Verfahren vor dem IGH strittig, wurde von diesem jedoch offen gelassen (IGH, UN-Rassendiskriminierungskonvention, 2021, RdNr. 114).

2. Die Zuständigkeit beider Streitbeilegungsmechanismen setzt voraus, dass eine Diskriminierung im Sinne der CERD vorliegt.

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Genau, so ist das!

Die sachliche Zuständigkeit sowohl des CERD-Ausschusses als auch des IGH setzt das Vorliegen einer Rassendiskriminierung nach Art. 1 Abs. 1 CERD voraus. Im Rahmen der Interpretation des Begriffs „nationale Herkunft“ (Art. 1 Abs. 1 CERD) kommen beide nun aber zu ungleichen Ergebnissen. CERD-Ausschuss: Eine Unterscheidung aufgrund der Staatsbürgerschaft knüpft an der nationalen Herkunft an und stellt damit eine Rassendiskriminierung nach Art. 1 Abs. 1 CERD dar. IGH: Die Staatsbürgerschaft ist ein rechtliches Konstrukt. Eine daran anknüpfende Maßnahme diskriminiert Kataris gerade nicht als bestimmte soziale Gruppe aufgrund ihrer nationalen Herkunft.

3. Der IGH ist an die Feststellungen des UN-Rassendiskriminierungsausschusses gebunden.

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Nein, das trifft nicht zu!

Es besteht keine formale Bindung des IGH an die Feststellungen speziellerer Streitbeilegungsmechanismen wie etwa des UN-Rassendiskriminierungsausschusses (IGH, UN-Rassendiskriminierungskonvention, 2021, RdNr. 100). Hierin kommt die Dezentralität der völkerrechtlichen Rechtsdurchsetzung zum Ausdruck. Aus Respekt, und um eine gewisse Einheit des Völkerrechts sicherzustellen, misst der IGH den Feststellungen anderer Instanzen "großes Gewicht" zu (vgl. IGH, Ahmadou Diallo, 2010 RdNr. 66). Er entscheidet jedoch autonom und hält sich eine abweichende Interpretation offen (vgl. auch IGH, Anwendbarkeit der Völkermordkonvention, 2007, RdNr. 402 ff.).

4. Der IGH kann die Feststellungen des UN-Rassendiskriminierungsausschusses aufheben.

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Nein!

Dem IGH kommt keine Kassationsfunktion gegenüber anderen völkerrechtlichen Streitbeilegungsmechanismen zu. Denn eine Gerichts- oder Normenhierarchie besteht gerade grundsätzlich nicht. Sich widersprechende Feststellungen bleiben bestehen und bedingen ihrerseits eine Fragmentierung des Völkerrechts. Dem kann formell durch verfahrensrechtliche Voraussetzungen in den völkerrechtlichen Verträgen oder informell durch verstärkten gerichtlichen Dialog vorgebeugt werden.

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