+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

H arbeitet jahrelang im Haushalt des E. Sie erhält hierfür lediglich Unterkunft und Verpflegung, aber keinen Lohn. Sie arbeitet in der Erwartung, dass sie als Erbin eingesetzt wird. E kennt und akzeptiert diese Erwartung. Vor seinem Tod setzt E seine Cousine als Alleinerbin ein. H möchte aus ungerechtfertigter Bereicherung vorgehen.

Einordnung des Falls

ob rem

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. E hat "etwas erlangt" (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).

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Ja, in der Tat!

„Etwas“ im Sinne von § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB ist jede vorteilhafte Rechtsposition. Der Vorteil muss tatsächlich in das Vermögen des Schuldners übergegangen sein. Man kann vier Kategorien unterscheiden: (1) Rechte (z.B. Eigentum), (2) vorteilhafte Rechtsstellungen (z.B. Besitz), (3) Befreiung von Verbindlichkeiten, (4) erlangte Nutzungen an fremden Sachen oder Rechten. H hat im Haushalt des E gearbeitet. Die heute hM sieht das erlangte Etwas in der erbrachten Leistung an sich. Unabhängig davon, ob E alternativ kostenpflichtige Haushaltsleistungen in Anspruch genommen hätte oder nicht, hat er die Haushaltsleistungen der H "erlangt" (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).

2. E hat etwas "durch Leistung" der H" erlangt (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).

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Ja!

Eine Leistung ist jede bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens. H hat bewusst und zweckgerichtet im Haushalt des E gearbeitet. Unerheblich ist, ob H dazu verpflichtet war.

3. H hat die Leistung an E "ohne rechtlichen Grund" (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB) erbracht.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Es bestand ein wirksamer Dienstvertrag zwischen H und E (§ 611 Abs. 1 BGB). Die Gegenleistung in Form von Unterkunft und Verpflegung genügt als „Gegenleistung“ in diesem Sinne. Der Dienstvertrag stellt einen Rechtsgrund dar.

4. Nach hM ist die condictio ob rem (§ 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB) hier anwendbar, obwohl H (auch) auf ihre Verbindlichkeit aus dem Dienstvertrag geleistet hat.

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Ja, in der Tat!

Der Anwendungsbereich der condiction ob rem ist streitig. Nach einer Auffassung gelte die condictio ob rem nur für Fälle, in denen der Bereicherungsgläubiger überhaupt nicht auf eine Verbindlichkeit leiste. Besteht ein Vertrag, sei der Bereicherungsgläubiger auf die Rechtsbehelfe des Vertragsrechts zu verweisen. Nach der herrschenden Meinung sei die condiction ob rem auch anwendbar, wenn die Leistung der Erfüllung eines Vertrages und der Erreichung eines darüber hinausgehenden Zwecks diene. So ist es hier: H wollte durch die Haushaltsleistungen ihren Dienstvertrag erfüllen. Gleichzeitig verfolgte sie den Zweck, als Erbin eingesetzt zu werden.

5. Der mit der Leistung "nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts bezweckte Erfolg" ist nicht eingetreten (§ 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB).

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Ja!

Voraussetzung der condictio ob rem (§ 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB) ist eine gemeinsame Zweckvereinbarung [nicht nur die bloß einseitige Erwartung des Bereicherungsgläubigers (dann evtl. Störung der Geschäftsgrundlage § 313 BGB) und auch keine vertraglich bindende Vereinbarung (dann Ansprüche aus § 280 BGB iVm. mit der vertraglichen Pflichtverletzung)]. Eine konkludente Einigung über den Zweck liegt vor, wenn der Bereicherungsgläubiger mit seiner Leistung einen bestimmten Zweck verfolgt und der Bereicherungsschuldner die Leistung annimmt, ohne zu widersprechen. H erwartete die Erbeinsetzung als „Gegenleistung“ für ihre Arbeit. E kannte die Erwartung von H und billigte diese. Er setzte H jedoch nicht als Erbin ein.

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JU

Juri

7.9.2020, 16:10:37

Hier fehlt glaub in der Klammer etwas nach „sonst“ (Störung der Geschäftsgrundlage einerseits oder 812 I 1 Alt. 1 andererseits?)

JU

Juri

7.9.2020, 16:12:13

313 dabei natürlich nur denkbar bei einseitiger Erwartung, die dem VPartner bekannt ist (einseitige Vorstellung sonst irrelevant)

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

7.9.2020, 19:25:46

Hallo D, danke für den wertvollen Hinweis. Ganz recht, bei einer nur einseitigen Erwartung liegt das reale Element einer Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB vor. Falls auch das hypothetische und das normative Element vorliegen, kann Anpassung des Vertrages verlangt werden (Abs. 1) oder, falls das nicht möglich oder zumutbar ist, vom Vertrag zurückgetreten oder dieser gekündigt werden (Abs. 3). In unserem Fall wäre beides für die H nicht so hilfreich. Im Falle einer vertraglichen Vereinbarung der Erbeinsetzung im Rahmen des Dienstvertrags nach § 611 BGB kann i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB Schadensersatz wegen vertraglicher Pflichtverletzung verlangt werden. Wir haben die Antwort entsprechend ergänzt.

DO

Doli

26.8.2022, 12:36:53

Handelt es sich hier um eine sog. Zweckstaffelung? Denn einerseits bezweckt H die Erfüllung der Verbindlichkeiten aus dem Dienstvertrag, andererseits die Einsetzung als Erbin

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

17.10.2022, 14:55:48

Hallo Doli, in der Tat ist diese Konstellation auch unter dem Begriff der "Zweckanstaffelung" bekannt (Wandt, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 9.A., 2019, § 10 RdNr. 62). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

IN

InDubioProsecco

10.6.2023, 16:09:16

Verstehe ich es richtig, dass man in der Klausur einen Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB ablehnen würde mit dem Hinweis, dass ein Rechtsgrund in Form eines Dienstvertrages besteht; dann aber einen Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BGB bejaht, weil der mit der Dienstleistung bezweckte Erfolg nicht eintritt?

Richter Alexander Hold

Richter Alexander Hold

20.11.2023, 17:48:05

Korrekt. Der mit der Dienstleistung bezweckte Erfolg ist die Erfüllung der Verbindlichkeit aus dem Dienstvertrag einerseits und darüber hinaus die Erbeinsetzung, die von beiden Parteien als Zweckabrede vereinbart wurde, andererseits. Letzterer tritt nicht ein, sodass ein Anspruch aus condictio ob rem besteht.


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