Zivilrecht

Bereicherungsrecht

Die Leistungskondiktion

Nachträgliche Rechtsgrundlosigkeit (condictio ob causam finitam), § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 1

Nachträgliche Rechtsgrundlosigkeit (condictio ob causam finitam), § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 1

4. Juli 2025

14 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Das bei der V versicherte Auto des E wird gestohlen. V zahlt daraufhin die fällige Versicherungssumme. Wenig später wird das Auto gefunden und E erlangt es zurück.

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Einordnung des Falls

Nachträgliche Rechtsgrundlosigkeit (condictio ob causam finitam), § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 1

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. E hat eine Gutschrift auf seinem Konto und damit die Verfügungsgewalt über diesen Betrag „erlangt“ (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).

Genau, so ist das!

„Etwas“ im Sinne von § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB ist jede vorteilhafte Rechtsposition. Der Vorteil muss tatsächlich in das Vermögen des Schuldners übergegangen sein. Man kann vier Kategorien unterscheiden: (1) Rechte (z.B. Eigentum), (2) vorteilhafte Rechtsstellungen (z.B. Besitz), (3) Befreiung von Verbindlichkeiten, (4) erlangte Nutzungen an fremden Sachen oder Rechten. E hat durch die Überweisung eine Gutschrift auf seinem Konto erlangt. In der Gutschrift auf seinem Konto liegt rechtlich ein abstraktes Schuldversprechen der Bank (§ 780 BGB): Die Bank verspricht, dem E im Kontokorrent einen Betrag in dieser Höhe zu schulden.
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2. E hat die Gutschrift „durch Leistung“ der V erlangt (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Eine Leistung ist jede bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens. Für das Leistungsbewusstsein ist ein rechtsgeschäftlicher Wille nicht erforderlich. Es genügt natürliche Einsichtsfähigkeit. V wollte hier ihrer Pflicht aus dem Versicherungsvertrag nachkommen und hat aus diesem Grund bewusst und zweckgerichtet die Versicherungssumme ausgezahlt.

3. V hat die Leistung „ohne Rechtsgrund“ bewirkt (anfängliche Rechtsgrundlosigkeit, § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).

Nein!

Das Merkmal „ohne rechtlichen Grund“ entscheidet darüber, ob der Bereicherte die Bereicherung behalten darf. Es gibt keine einheitliche Definition der Rechtsgrundlosigkeit, die für alle Leistungskondiktionen gelten würde. Hier kommt eine Leistung zur Befreiung von einer Verbindlichkeit (condictio indebiti) in Betracht. Bei der condictio indebiti fehlt nach der heutzutage wohl h.L. der Rechtsgrund, wenn der mit der bewussten Vermögensmehrung verfolgte Zweck verfehlt worden ist (sog. subjektiver Rechtsgrundbegriff). Mit dem „Zweck“ ist hier insbesondere die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtung gemeint, z.B. aus einem Kaufvertrag (solvendi causa). Zum Zeitpunkt der Auszahlung an V bestand der Anspruch aus dem Versicherungsvertrag jedoch noch. Dieser fehlte also nicht schon im Zeitpunkt der Leistung. Ein Anspruch nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB scheidet aus.

4. V hat die Leistung „ohne Rechtsgrund“ bewirkt (nachträgliche Rechtsgrundlosigkeit, § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Hier bestand ursprünglich ein Rechtsgrund (Anspruch auf Auszahlung der Versicherungssumme im Versicherungsfall). Der Rechtsgrund ist aber ex nunc entfallen, als E sein Auto wieder erhalten hat. V hat einen Anspruch gegen E auf Rückzahlung der Versicherungssumme aus der condictio ob causam finitam (§ 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Isabell

Isabell

24.9.2020, 11:46:25

Wie viel Zeit müsste denn vergehen, um in dieser Konstellation nicht mehr den Wegfall des Rechtsgrundes anzunehmen? Oder regelt man das dann über die Verjährung?

STE

Stella2244

27.6.2024, 19:19:42

Verstehe die Frage nicht ? Könntest du das nochmal erläutern?

MaxRaspody

MaxRaspody

16.9.2022, 12:39:34

Korrigiert mich bitte, wenn ich falsch liege, aber werden in der Praxis bei derartigen Fällen nicht das Eigentumsrecht auf den Versicherer übertragen? Demnach hätte V dann keinen Anspruch nach § 812 I Var. 1 bezüglich der Versicherungssumme.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

16.9.2022, 19:10:17

Hallo MaxRaspody, du hast absolut Recht. In der Praxis ist es üblich, dass sich die Versicherer im Gegenzug zur Auszahlung der Versicherungssumme die Ansprüche abtreten lassen bzw. das Eigentum durch Abtretung des potentiellen Herausgabeanspruchs. Aus didaktischen Gründen ist dies hier nicht so und auch in der Klausursituation gilt immer, den Sachverhalt so nehmen wie er ist. :) Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

20.2.2024, 11:20:35

Warum reicht bereits natürliche Einsichtsfähigkeit des potentiell Leistenden aus? Ist die Leistung als

Tilgungsbestimmung

nicht eine

rechtsgeschäft

ähnliche Handlung, auf die §§ 104 ff. BGB analoge Anwendung finden, sodass letztlich ein

rechtsgeschäft

licher Wille erforderlich ist?

GVE

gottloser Vernunftsjurist

22.4.2024, 14:04:53

Hi Artimes, nach dem Lehrbuch von Staake, Gesetzliche

Schuld

verhältnisse, § 3 Rn. 25 gibt es bezüglich des Leistungszwecks zwei Lager: "Aus dem finalen Merkmal der

Zweckgerichtet

heit wird vielfach der Schluss gezogen, dass mit jeder Leistung eine Zweckbestimmung einhergehe. Diese sei als Willenserklärung oder zumindest als

geschäftsähnliche Handlung

, auf die die Regeln über Willenserklärungen entsprechend anzuwenden sind, zu qualifizieren – mit der Folge, dass die zivilrechtlichen Regeln über die Geschäftsfähigkeit und die Anfechtbarkeit zur Anwendung gelangen [BGH und Teil der Lehre wie Canaris]. Die Gegenauffassung verneint die

rechtsgeschäft

liche Natur der Zweckbestimmung und verlangt lediglich einen natürlichen Leistungswillen [Erman und HK-BGB]."

paulmachtexamen

paulmachtexamen

28.12.2024, 18:01:04

Liebes JF-Team, ihr schreibt zur Definition „ohne Rechtsgrund“: „Bei der

condictio indebiti

(812 I 1 Alt. 1) fehlt der Rechtsgrund, wenn der mit der bewussten Vermögensmehrung verfolgte Zweck verfehlt worden ist.“ Passt die Definition aber nicht eher zur Zweckverfehlungskondiktion nach 812 I 2 Alt. 2? In einer anderen Aufgabe (ich glaube der aller ersten hierzu) schreibt ihr nämlich mE treffender: „Bei der

condictio indebiti

(812 I 1 Alt. 1) fehlt der Rechtsgrund, wenn die

Schuld

, die getilgt werden soll, von Anfang an nicht besteht.“

BEN

benjaminmeister

10.1.2025, 17:27:38

Ich fande das auch verwirrend und finde das immer noch unglücklich gewählt (weil es ohne Erklärung immer wieder in den JF-Aufgaben wechselt), aber das scheint wohl eine neuere Ansicht in der Literatur zu sein (Stichwort: subjektive Rechtsgrundtheorie). Diese Ansicht will - soweit ich das verstanden habe - einheitlich über alle

Leistungskondiktion

en die Zweckverfehlung als

Rechtsgrundlos

igkeit sehen. Dadurch wird bei § 812 I S. 1 Alt. 1 aber (unnötigerweise) eine doppelstöckige Prüfung eingebaut (Zweck: Erfüllung der Verbindlichkeit nicht erreicht; warum? -> Verbindlichkeit existiert mangels Rechtsgrund gar nicht). Dazu Looschelders,

Schuld

R BT, § 54 Rn. 15 ff. (Die "traditionelle" objektive Rechtsgrundtheorie stellt bei § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 einzig und allein auf die Nichtexistenz eines

Schuld

verhältnisses ab)

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

16.5.2025, 20:02:06

Hallo @[paulmachtexamen](210803), ich kann verstehen, dass Dich das irritiert. Genau das ist aber tatsächlich die Formulierung der Vertreter des sog subjektiven Rechtsgrundbegriffs, den vermutlich die meisten von Euch in der Ausbildung beigebracht bekommen, ohne dass Euch das wirklich bewusst ist. Abgestellt wird auf den Zweck der Leistung: solvendi cause, donandi cause etc - das wiederum habt Ihr vermutlich alle schon mal gehört. Ein älterer TdL stellt dagegen auf den objektiven Rechtsgrundbegriff ab, der sich allein auf das Kausalverhältnis als solches bezieht. Eines der Kern-Gegenargumente ist in der Tat die sprachliche Nähe zur Zweckverfehlungskondiktion des § 812 I 2, 2. Var BGB (näher zu den Einzelheiten zB MüKoBGB/Schwab, 9. Aufl 2024, § 812 Rn 425 ff). IE wird es auf diesen Streit kaum einmal ankommen (so auch MüKoBGB/Schwab, 9. Aufl 2024, § 812 Rn 425). Wir haben das Ganze jetzt in der Aufgabe etwas präzisiert, damit insoweit hoffentlich keine Missverständnisse mehr aufkommen. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

16.5.2025, 21:03:29

Hallo @[paulmachtexamen](210803), ich kann verstehen, dass Dich das irritiert. Genau das ist aber tatsächlich die Formulierung der Vertreter des sog subjektiven Rechtsgrundbegriffs, den vermutlich die meisten von Euch in der Ausbildung beigebracht bekommen, ohne dass Euch das wirklich bewusst ist. @[benjaminmeister](216712) hat das Ganze inhaltlich schon gut dargestellt. Abgestellt wird auf den Zweck der Leistung: solvendi cause, donandi cause etc - das wiederum habt Ihr vermutlich alle schon mal gehört. Ein älterer TdL stellt dagegen auf den objektiven Rechtsgrundbegriff ab, der sich allein auf das Kausalverhältnis als solches bezieht. Eines der Kern-Gegenargumente ist in der Tat die sprachliche Nähe zur Zweckverfehlungskondiktion des § 812 I 2, 2. Var BGB (näher zu den Einzelheiten zB MüKoBGB/Schwab, 9. Aufl 2024, § 812 Rn 425 ff). IE wird es auf diesen Streit kaum einmal ankommen (so auch MüKoBGB/Schwab, 9. Aufl 2024, § 812 Rn 425). Wir haben das Ganze jetzt zumindest in dieser Aufgabe hier schon mal etwas präzisiert, damit es insoweit hoffentlich keine Missverständnisse mehr gibt. Wir werden uns aber noch einmal grundlegend Gedanken machen, wie wir das Fehlen des rechtlichen Grundes aufbereiten wollen und müssen dann natürlich die anderen Aufgaben, bei denen das eine Rolle spielt, entsprechend anpassen. Dafür bitten wir Euch noch um etwas Geduld. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

OKA

okalinkk

9.6.2025, 16:13:07

Könnte man hier nicht auch sagen, dass der der mit der Leistung bezweckte Erfolg nicht eingetreten ist?


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