Ukraine III: Russischer Überfall

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Am 24.02.2022 überfällt Russland die Ukraine in einer militärischen „Spezialoperation“, um einen angeblichen Genozid an der russischen Minderheit in den Regionen Donezk und Luhansk zu unterbinden und die Ukraine zu „entnazifizieren“. Seither ist die Ukraine Schauplatz schwerster Waffengewalt mit tausenden Opfern in der ukrainischen Zivilbevölkerung.

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Einordnung des Falls

Ukraine III: Russischer Überfall

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Anwendung zwischenstaatlicher Gewalt ist völkerrechtlich geächtet.

Ja, in der Tat!

Das Gewaltverbot ist einer der Grundpfeiler des modernen Völkerrechts. Es ist in Art. 2 Abs. 4 UN-Charta normiert und völkergewohnheitsrechtlich anerkannt. Es untersagt den Staaten die Androhung und Anwendung militärischer Gewalt gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit anderer Staaten. Vor der Schaffung der Vereinten Nationen 1945 war die Anwendung militärischer Gewalt zwischen Staaten weit verbreitet und völkerrechtlich nicht umfassend geächtet.
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2. Russlands Überfall auf die Ukraine erfüllt den Tatbestand der Gewaltanwendung aus Art. 2 Nr. 4 UN-Charta.

Ja!

Gewaltanwendung liegt vor, wenn ein Staat militärische Mittel oder Waffen gegen einen anderen Staat einsetzt. Diesen Tatbestand erfüllen die Angriffe Russlands seit dem 24. Februar 2022 unbestritten.

3. Russland sieht seine Macht- und Einflusssphäre durch eine weitere Ostausdehnung der NATO in Gefahr. Dies rechtfertigt eine Gewaltanwendung.

Nein, das ist nicht der Fall!

Ausnahmen vom Gewaltverbot sind rar gesät und müssen sich immer innerhalb des Systems der Vereinten Nationen bewegen. Die beiden zentralen Rechtfertigungsgründe für einen Verstoß gegen das Gewaltverbot sind (1) das Recht auf Selbstverteidigung (Art. 51. UN-Charta) und (2) eine Autorisierung der Gewaltanwendung durch den UN-Sicherheitsrat nach Kapitel VII der UN-Charta. Gewaltanwendung als Gegenmaßnahme für Verstöße gegen völkerrechtliche Normen scheidet in jedem Fall aus. Der Schutz von Macht- und Einflussfähren fällt unter keinen der anerkannten Rechtfertigungsgründe innerhalb der UN-Charta. Zudem ist sehr zweifelhaft, ob Macht- und Einflusssphären eine völkerrechtlich geschützte Position darstellen. Es spricht vieles dafür, darin allenfalls eine rechtlich nicht geschützte Erwartung zu sehen. Denn die Anerkennung solcher Macht- und Einflusssphären ginge zu Lasten der souveränen Gleichheit aller Staaten und steht damit in diametralem Gegensatz zu Grundpfeilern des modernen Völkerrechts.

4. Gewaltanwendung zur Verhinderung eines Völkermordes ist gerechtfertigt und stellt damit keinen Verstoß gegen das Gewaltverbot aus Art. 2 Nr. 4 UN-Charta dar.

Nein, das trifft nicht zu!

Die angesprochene Rechtfertigungsfigur der humanitären Intervention müsste eine legale Ausnahme vom Gewaltverbot des Art. 2 Nr. 4 UN-Charta darstellen. Nach ganz überwiegender Rechtsauffassung der Staatengemeinschaft begründet selbst eine extreme humanitäre Notlage oder gar die Absicht der Verhinderung eines Völkermords keine Ausnahme vom Gewaltverbot. Ein solcher Einsatz bedarf einer Ermächtigung durch den UN-Sicherheitsrat. Dieses Gewaltlegitimierungsmonopol des UN-Sicherheitsrats kann auch nicht durch Abwägung des Gewaltverbotes mit Fundamentalnormen des Menschenrechtsschutzes ausgehebelt werden. Vorliegend fehlt es an einer Ermächtigung durch den UN-Sicherheitsrat. Eine vermeintliche humanitäre Intervention Russlands bewegt sich außerhalb des UN-Friedenssicherungssystems und verletzt damit das Gewaltverbot aus Art. 2 Nr. 4 UN-Charta. Darüber hinaus ist Russland bis dato jeden Beweis eines Völkermordes der Ukraine an der russischssprachigen Bevölkerung im Donbas schuldig geblieben.

5. Russland trägt vor, durch sein Verhalten den Volksrepubliken Donezk und Luhansk zur Hilfe zu eilen. Ist Russlands Gewaltanwendung damit als Hilfe zur Selbstverteidigung nach Art. 51 UN-Charta gerechtfertigt?

Nein!

Art. 51 UN-Charta lässt Gewaltanwendung zu, damit ein Staat sich selbst bzw. einen dritten Staat vor unrechtmäßigen Angriffen verteidigen kann. Art. 51 UN-Charta gesteht nur Staaten ein Selbstverteidigungsrecht zu. Luhansk und Donezsk sind Regionen der Ukraine und werden damit von Art. 51 UN-Charta nicht adressiert. Eine Rechtfertigung scheidet damit aus, ohne dass es darauf ankommt, die militärischen Auseinandersetzungen im Donbas seit 2014 als gegenwärtigen Angriff einzuordnen. Eine Rechtfertigung durch die sog. Intervention auf Einladung scheitert aus einem ähnlichen Grund: Sie müsste durch ein befugtes Staatsorgan ausgesprochen werden – die „Einladung“ durch para-staatliche Separatistenführer ist völkerrechtlich irrelevant.

6. Russlands Überfall auf die Ukraine schwächt die Normativität des völkerrechtlich anerkannten Gewaltverbots.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die völkergewohnheitsrechtliche Geltung einer Norm setzt eine unter den Staaten weit verbreitete Praxis getragen von entsprechendem Rechtsbindungswillen voraus. Es liegt nahe, angesichts der russischen Angriffshandlungen die Normativität des Gewaltverbots in Frage zu stellen. Paradoxerweise trifft das Gegenteil zu: Zum einen verurteilt die überwiegende Mehrheit der Staatengemeinschaft die Angriffshandlungen Russlands (vgl. Resolution der UN-Generalversammlung v. 20.03.2022, A/RES/ES-11/1) und brachte damit ihren Rechtbindungswillen zum Ausdruck und stärkte dadurch normativ das Gewaltverbot. Zum anderen versucht selbst der Aggressor Russland, seine Angriffshandlungen völkerrechtlich zu rechtfertigen und bringt damit zum Ausdruck, sich nach wie vor an das Gewaltverbot gebunden zu fühlen.
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