Öffentliches Recht
Examensrelevante Rechtsprechung ÖR
Entscheidungen von 2021
Verhüllungsverbot beim Führen eines Kfz auch für gläubige Muslima, die einen Niqab trägt?
Verhüllungsverbot beim Führen eines Kfz auch für gläubige Muslima, die einen Niqab trägt?
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A ist gläubige Muslima und beantragt bei der zuständigen Behörde eine Genehmigung für das Tragen eines Niqabs beim Fahren ihres Pkws. Die Behörde lehnt diese ab. Hiergegen begehrt A Rechtsschutz im Eilverfahren.
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Einordnung des Falls
Verhüllungsverbot beim Führen eines Kfz auch für gläubige Muslima, die einen Niqab trägt?
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 15 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO der statthafte Rechtsbehelf?
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begründet, wenn der geltend gemachte Anspruch besteht?
Nein!
3. Als Anspruchsgrundlage kommt hier § 46 Abs. 2 S. 1 StVO in Betracht.
Genau, so ist das!
4. Damit A für das Tragen eines Niqab im Straßenverkehr überhaupt einer Ausnahmegenehmigung bedarf, müsste das in § 23 Abs. 4 S. 1 StVO normierte Verhüllungsverbot wirksam sein.
Ja, in der Tat!
5. Das Verhüllungs- und Verdeckungsverbot (§ 23 Abs. 4 S. 1 StVO) könnte gegen den Wesentlichkeitsvorbehalt verstoßen.
Ja!
6. Das Gesichtsverhüllungs- und verdeckungsverbot greift in die Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) ein.
Genau, so ist das!
7. Die Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) ist von so hohem Rang, dass sie schrankenlos gewährt wird. Eine Rechtfertigung des Eingriffs scheidet daher aus.
Nein, das trifft nicht zu!
8. Das Verhüllungsverbot des § 23 Abs. 4 StVO bezweckt die Sicherheit des Straßenverkehrs und damit auch den Schutz der Grundrechte anderer Verkehrsteilnehmer.
Ja!
9. Das Verhüllungsverbot ist aufgrund durch § 46 Abs. 2 StVO ermöglichten Ausnahmegenehmigung verhältnismäßig.
Genau, so ist das!
10. Liegt hier eine Ausnahmesituation i.S.d. § 46 Abs. 2 StVO vor, die grundsätzlich die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung rechtfertigt?
Ja, in der Tat!
11. Wenn ein Hinderungsgrund für das Befolgen des Verhüllungs- und Verdeckungsverbots besteht, hat der Antragsteller einen Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung.
Nein!
12. Der Religionsfreiheit kommt bei der Ermessensentscheidung aber – ungeachtet von den Umständen des Einzelfalls – ein genereller Vorrang zu.
Nein, das ist nicht der Fall!
13. Das Gericht prüft die Entscheidung der Behörde, A keine Genehmigung zu erteilen, umfassend.
Nein, das trifft nicht zu!
14. A hat somit einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Nein!
15. Selbst wenn A möglicherweise einen Neubescheidungsanspruch hätte, hat sie keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Genau, so ist das!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Jael
14.3.2023, 08:59:55
Interessanter Fall! Dass es im Eilverfahren abgelehnt wird, ist nachzuvollziehen... Dass es dafür aber generell keine Ausnahme geben soll, finde ich persönlich fragwürdig. Kann man sich wohl drüber streiten 😅
Nora Mommsen
14.3.2023, 12:01:14
Hallo Jael, danke für deine Gedanken dazu. Wie so oft gilt wohl: "es kommt drauf an". In dieser Entscheidung hat das Gericht zum Einen herausgestellt, dass es sich bei der Sicherheit des Straßenverkehrs des Straßenverkehrs ein Gemeinschaftswert von Verfassungsrang handelt. Das in der Straßenverkehrsordnung angeordnete Gesichtsverhüllungsverbot verfolge den Zweck, die Erkennbarkeit und damit die Feststellbarkeit der Identität von Kraftfahrzeugführern bei automatisierten Verkehrskontrollen zu sichern, um diese bei Verkehrsverstößen heranziehen zu können. Mit dieser Zielrichtung diene die Vorschrift der allgemeinen Sicherheit des Straßenverkehrs und dem Schutz hochrangiger
Rechtsgüter(Leben, Gesundheit, Eigentum) anderer Verkehrsteilnehmer. Zum Anderen war es im konkreten Fall (zumindest vorübergehend) zumutbar, dass die Antragsstellerin öffentliche Verkehrsmittel nutzte, insbesondere auch weil sie im städtischen Umfeld lebte. Dies sind Faktoren, die auch in einer entsprechenden
Hauptsacheentscheidungzu berücksichtigen wären. Es bleibt abzuwarten. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team