Öffentliches Recht
Examensrelevante Rechtsprechung ÖR
Entscheidungen von 2021
Anordnung eines Gerichtspräsidenten zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckung im Gericht
Anordnung eines Gerichtspräsidenten zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckung im Gericht
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
S erhält die Ladung zu ihrer Strafverhandlung. Darin ordnet Gerichtspräsidentin G an, dass, vorbehaltlich gesonderter Anordnung für die Sitzungssäle, im ganzen Gerichtsgebäude ein Mund-Nasen-Schutz (MNS) getragen werden muss. S hält die Maßnahme des G für rechtswidrig.
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Einordnung des Falls
Anordnung eines Gerichtspräsidenten zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckung im Gericht
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 11 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Ergibt sich die Rechtsgrundlage zum Erlass gerichtlicher Maßnahmen durch die Gerichtspräsidentin aus ihrem Hausrecht?
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Muss das Hausrecht ausdrücklich gesetzlich konkretisiert sein?
Nein, das ist nicht der Fall!
3. Ist das Hausrecht der Gerichtspräsidentin unbeschränkt?
Nein, das trifft nicht zu!
4. Überschreitet G im Hinblick auf den Öffentlichkeitsgrundsatz mit ihrer Anordnung die Grenzen ihres Hausrechts?
Nein!
5. Ergibt sich für das Hausrecht eine weitere Grenze aus den sitzungspolizeilichen Befugnissen des Vorsitzenden nach §§ 169, 176 GVG? Hat G diese Grenze überschritten?
Nein, das ist nicht der Fall!
6. Ist nach der maßgeblichen SARS-CoV-2-Infektionsschutzmaßnahmen-VO an einem festen Platz oder bei einem Mindestabstand von 1,5 Metern kein MNS erforderlich? Beschränkt die Regelung das Hausrecht der G?
Nein, das trifft nicht zu!
7. Ermächtigt das Hausrecht die Gerichtspräsidentin zu Eingriffen in die Rechte von Personen, die Zutritt oder Aufenthalt im Gerichtsgebäude begehren?
Ja!
8. Dient die Anordnung der G dazu, Störungen im Dienstbetrieb des Gerichts abzuwenden? Ist sie vom Hausrecht der G gedeckt?
Genau, so ist das!
9. Greift G durch die Anordnung greift in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) der S ein?
Ja, in der Tat!
10. Verfolgt der Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit der S einen legitimen Zweck, ist geeignet und erforderlich?
Ja!
11. Ist die Anordnung der G zum Tragen eines MNS auch angemessen?
Genau, so ist das!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Tigerwitsch
27.4.2021, 21:27:11
Klasse, dass so eine aktuelle Entscheidung so schnell von Euch veröffentlicht und in eine Aufgabe gepackt wird! 👍🏻
Wendelin Neubert
2.5.2021, 11:04:31
Hallo Tigerwitsch! Toll dass das dir gefällt! Wir wollen mehr und mehr super aktuelle Entscheidungen bringen, damit ihr auch die tagesaktuellen Entscheidungen in der App verfolgen könnt. Beste Grüße - Wendelin, für das Jurafuchs-Team
RH
26.1.2022, 07:25:40
Müsste man hier noch das Recht auf rechtliches Gehör oder den gesetzlichen Richter prüfen mit dem Hinweis, dass ihr Verfahren ohne Einhaltung der Hygienevorschriften nicht geführt würde?
Victor
26.1.2022, 13:38:17
Also ich würde maximal rechtliches Gehör kurz ansprechen. Allerdings wird es ihr ja grundsätzlich angeboten. Und auch das Gericht kann die Strafverhandlung zwangsweise durchführen, vgl. § 230 II StPO. Rechtliches Gehör soll ja gewährleistet werden. Der gesetzliche Richter ist hiervon nicht betroffen. Es soll ja nicht jmd anderes entscheiden bzw eine generelle Nichtdurchführung des Verfahrens steht nicht zur Debatte.
juramen
15.5.2022, 14:05:09
Ich hätte mir gewünscht, dass die
Rechtmäßigkeitdes Verstoßes gegen Paragraphe 176 Abs. 2 genauer präzisiert wird
Lukas_Mengestu
16.5.2022, 15:10:35
Hallo Juramen, das VG Berlin konnte hier eine Auseinandersetzung mit § 176 Abs. 2 GVG offenlassen, da anderweitige sitzungspolizeiliche Anordnungen explizit zugelassen waren. § 176 Abs. 2 GVG enthält ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Soweit der Vorsitzende also mit Maske verhandeln lässt, so liegt darin jedenfalls eine
konkludenterteilte Erlaubnis. Bei grassierenden, durch die Luft übertragenen ansteckenden Krankheiten kann die Gestattung einer entsprechenden Mund-Nasen-Bedeckung letztlich ggfs. auch die einzig zulässige Ermessensentscheidung des Vorsitzenden darstellen (vgl. Lückemann in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 176 GVG, Rn. 12). Das BVerfG hat übrigens auch geurteilt, dass die sitzungspolizeiliche Anordnung des Tragens einer Mund-Nase-Bedeckung in der mündlichen Verhandlung aus Infektionsschutzgründen zulässig ist (BVerfG v. 28.9.2020 - 1 BvR 1948/20, MDR 2020, 1523).
machgu
13.9.2022, 18:05:01
Ist die Entscheidung unter Beachtung dieser Rechtsprechung noch haltbar? https://www.lto.de/recht/justiz/j/vg-sigmaringen-8-k-1034-22-maskenpflicht-gerichtsgebaeude-rechtswidrig/#:~:text=Seit%20Anfang%20
April%20ist%20die,dies%20nun%20f%C3%BCr%20rechtswidrig%20erkl%C3%A4rt.
Lukas_Mengestu
20.9.2022, 11:13:59
Hallo machgu, vielen Dank für den guten Hinweis! In der Tat wurden von verschiedenen Verwaltungsgerichten mittlerweile Zweifel angemeldet, ob das Hausrecht wirklich eine hinreichende
Ermächtigungsgrundlagedafür bietet, den mit der Maskenpflicht einhergehenden Grundrechtseingriff zu rechtfertigen (vgl. auch VG Gießen: https://openjur.de/u/2395645.html) oder ob das Infektions
schutzgesetzmit § 28a Abs. 7, 8 IFSG keine abschließende Regelung getroffen hat. Abschließend mussten die Gerichte hierzu allerdings nicht Stellung beziehen, da es sich jeweils um Eilentscheidungen handelte bzw. die Maskenpflicht auch aus anderen Gründen scheiterte (vgl. VG Gießen). Auch ein obergerichtliche Klärung liegt noch nicht vor. Hier kann man also in beide Richtungen argumentieren. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team