Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Angebot und Annahme

Vertragsschluss mit Energieversorgungsunternehmen – konkludentes Angebot (Realofferte)

Vertragsschluss mit Energieversorgungsunternehmen – konkludentes Angebot (Realofferte)

21. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Pizzabäcker P zieht in eine neue Pizzeria ein. Ohne vorher das Energieversorgungsunternehmen E kontaktiert zu haben, steckt er den Stecker seines Pizzaofens in die Steckdose und verbraucht Strom für €350. E begehrt Zahlung.

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Einordnung des Falls

Vertragsschluss mit Energieversorgungsunternehmen – konkludentes Angebot (Realofferte)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Strom ist eine Sache im Sinne von § 433 Abs. 1 BGB.

Nein!

Sachen sind nur körperliche Gegenstände (§ 90 BGB). Da Strom kein körperlicher wahrnehmbarer Gegenstand ist, handelt es sich auch nicht um eine Sache.
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2. Auf den Stromlieferungsvertrag finden die Vorschriften des Kaufrechts entsprechende Anwendung.

Genau, so ist das!

Obwohl es sich bei Strom nicht um Sachen i.S.d. § 90 BGB handelt, findet das Kaufrecht über § 453 Abs. 1 S.1 Alt. 2 BGB („sonstiger Gegenstand“) entsprechende Anwendung. Dies umfasst die Mängelhaftung sowie die Gefahrtragungsregel des § 446 BGB. Einige Kaufrechtsregeln, insbesondere über die Nacherfüllung, werden jedoch häufig nicht passen. Ein Rücktritt des Käufers kommt nicht in Betracht. Denn Stromlieferverträge sind auf Dauer angelegt (Dauerschuldverhältnis). Die Parteien können nicht zurücktreten, sondern nur kündigen.

3. E hat konkludent ein Angebot auf Abschluss eines Versorgungsvertrags abgegeben, indem er Elektrizität bereitgestellt hat (Realofferte).

Ja, in der Tat!

Die Realofferte ist ein Fall des konkludenten Antrags (§ 145 BGB). Hierbei wird die angebotene Leistung ohne vorherigen Vertragsschluss tatsächlich zur Verfügung gestellt.Aus Sicht eines objektiven Empfängers stellt sich die Vorhaltung von Energie und die Möglichkeit der Energieentnahme an den ordnungsgemäßen Entnahmevorrichtungen nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte (§§ 133, 157 BGB) als Leistungsangebot und damit als konkludentes Vertragsangebot dar. BGH: In dem Leistungsangebot eines Versorgungsunternehmens sei ein Vertragsangebot zum Abschluss eines Versorgungsvertrags in Form einer sogenannten Realofferte zu sehen (RdNr. 16).

4. P hat das Angebot konkludent angenommen, indem er aus dem Leitungsnetz des Versorgungsunternehmens E Elektrizität entnahm.

Ja!

BGH: Die Realofferte eines Energieversorgungsunternehmens werde von demjenigen konkludent angenommen, der aus dem Leitungsnetz Elektrizität entnimmt. Dieser Rechtsgrundsatz trage der Tatsache Rechnung, dass in der öffentlichen leitungsgebundenen Versorgung die angebotenen Leistungen vielfach ohne ausdrücklichen schriftlichen oder mündlichen Vertragsschluss in Anspruch genommen werden. Er ziele darauf ab, einen ersichtlich nicht gewollten vertragslosen Zustand bei den zugrunde liegenden Versorgungsleistungen zu vermeiden. Die Inanspruchnahme der angebotenen Leistungen beinhalte die schlüssig erklärte Annahme dieses Angebots, weil der Abnehmer wisse, dass die Lieferung nur gegen eine Gegenleistung erbracht werde (RdNr. 16).

5. Entgegen § 130 Abs. 1 BGB war der Zugang der Annahmeerklärung des P bei E entbehrlich (§ 151 S. 1 BGB).

Genau, so ist das!

§ 151 BGB enthält eine Ausnahme vom Grundsatz der Empfangsbedürftigkeit der Annahmeerklärung (§ 130 Abs. 1 BGB) für den Fall, dass (1) eine dem Antragenden gegenüber erklärte Annahme nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten ist oder (2) der Antragende auf sie verzichtet hat. § 151 S. 1 BGB verzichtet auf den Zugang der Annahmeerklärung, nicht aber auf die Annahmeerklärung als solche. Die Vorschrift dient der Erleichterung des Geschäftsverkehrs.E hat hier konkludent auf den Zugang der Annahmeerklärung verzichtet (§§ 133, 157 BGB analog). Die bloße Elektrizitätsnutzung durch P war für ihn ausreichend.

6. E hat gegen P einen Anspruch auf Zahlung von 350 € (§§ 453 Abs. 1 S. 1 Alt. 2, 433 Abs. 2 BGB).

Ja, in der Tat!

Ein Kaufvertrag kommt zustande durch zwei inhaltlich übereinstimmende Willenserklärungen, die hier vorliegen. E hat gegen P einen Kaufpreiszahlungsanspruch i.H.v. €350 (§§ 453 Abs. 1 Alt. 2, 433 Abs. 2 BGB).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Inuluca

Inuluca

8.7.2020, 20:59:47

Was bedeutet die Abkürzung "BGH" ?

Inuluca

Inuluca

8.7.2020, 21:00:15

Ups, schon gut. Selber drauf gekommen.😂

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

8.7.2020, 21:39:07

Hallo Inuluca, gute Frage! Nochmal für alle, BGH bedeutet Bundesgerichtshof, also das höchste ordentliche Gericht Deutschlands.

🦊LEXD

🦊LEXDEROGANS

17.8.2020, 23:38:43

Für die 18p im StrafVfRecht 😉 BgH = besonders gesicherter Haftraum

S.

s.t.

3.9.2021, 12:22:53

Wieso wird hier keine Dienstleistung angenommen. Ist doch doch Erbringung von Strom.. Nach welchen Kriterien wird dann die Kündigung bestimmt ?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

24.11.2021, 12:05:24

Hallo s.t., im deutschen Recht wird die Belieferung von Strom nicht als Dienstleistung eingeordnet, sondern Strom als "Ware" betrachtet. Zwar ist Strom keine Sache nach § 90 BGB. Die Regelungen des Kaufrechts finden aber über § 453 BGB (

sonstiges Recht

) Anwendung (vgl. Faust, in: BeckOK-BGB, 59.Ed, 1.05.2021, § 453 RdNr. 24). Das Recht zur ordentlichen Kündigung ist vertraglich normiert, unterliegt aber in der Regel der AGB Kontrolle (vgl. insbesondere § 309 Nr. 9 BGB). Das Recht zur außerordentlichen Kündigung bestimmt sich nach § 314 BGB. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

BEN

Benji

3.3.2022, 14:31:10

Müsste es in diesem Fall nicht heißen: Der Vertrag ist gemäß § 453 I 1 BGB i. V. m.

§ 433 BGB

analog zustande gekommen?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

15.3.2022, 15:19:45

Hallo BenBo, wir haben das hier jetzt entsprechend präzisiert. Vorsicht allerdings bei der Verwendung des Begriffes "analog". Dieser ist streng genommen nicht gleichzusetzend mit der "entsprechenden" Anwendung. Denn eine Analogie setzt 1) eine planwidrige Regelungslücke und 2) eine vergleichbare Interessenlage voraus. Hier haben wir aber eine gesetzliche Regelung in dem Verweis in § 453 Abs. 1 S. 1 BGB. Der BGH trennt dies leider auch nicht immer sauber und verwendet teilweise auch in Fällen in denen es um eine analoge Anwendung geht den Begriff "entsprechende Anwendung". Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

QUIG

QuiGonTim

31.8.2023, 11:46:56

Wie wurde im vorliegenden Fall der Kaufpreis gebildet?

Martin

Martin

22.12.2023, 19:30:39

Lieber QuiGonTim, Erklärungen werden nach dem

objektiven Empfängerhorizont

ausgelegt. Aus der Sicht eines Verständigen Dritten ist das

konkludent

en Angebot des E bereits so zu verstehen, dass der Strom zum üblichen Tarif angeboten wird. Danach lässt sich für P ermitteln wie hoch der Kaufpreis ist. Ich hoffe das beantwortet die Frage hinreichend, LG Martin

QUIG

QuiGonTim

31.8.2023, 11:48:18

Wird der Energieversorger nicht darüber informiert, wenn aus einem Anschluss Strom „entnommen“ wird? Kann man darin nicht den Zugang der Annahmeerklärung sehen?


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