Fall 2

24. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

Im Jahr 1957 befährt A eine Straße mit 30 km/h. Der fünfjährige J überquert - gut sichtbar - die Straße. A ist in ein Gespräch mit Beifahrerin B vertieft. Erst im letzten Moment nimmt A den J wahr und reißt das Steuer scharf nach links. Der Wagen überschlägt sich. Alle Beteiligten bleiben unverletzt, nur A's Wagen ist beschädigt. Hätte A auf die Straße geachtet, hätte er rechtzeitig bremsen können.

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Einordnung des Falls

Fall 2

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A kann von J Ersatz für die Schäden am Auto verlangen, wenn er einen Anspruch auf Aufwendungsersatz hat (§§ 677, 683 S. 1, 670 BGB hat).

Ja!

Voraussetzung für einen Aufwendungsersatzanspruch nach §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB ist, dass A (1) ein fremdes Geschäft (2) mit Fremdgeschäftsführungswillen, (3) ohne Auftrag oder einer sonstigen Berechtigung geführt hat und (4) die Geschäftsführung berechtigt war.
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2. Indem A das Steuer herumgerissen hat, hat er "ein Geschäft besorgt" (§ 677 BGB).

Genau, so ist das!

Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) begründet ein gesetzliches Schuldverhältnis. Sie liegt vor, wenn jemand (der Geschäftsführer) ein Geschäft für einen anderen (den Geschäftsherrn) besorgt, ohne von ihm beauftragt oder ihm gegenüber sonst dazu berechtigt zu sein. Geschäftsbesorgung ist hier wie im Auftragsrecht (§ 662 BGB) weit zu verstehen und umfasst jede fremdnützige tatsächliche oder rechtsgeschäftliche Tätigkeit, auch von kurzer Dauer. Das Herumreißen des Steuers ist eine tatsächliche Tätigkeit. A hat ein Geschäft besorgt.

3. Der Geschäftsführer besorgt das Geschäft "für einen anderen" (§ 677 BGB), wenn er das Geschäft jedenfalls nicht nur als eigenes, sondern auch als fremdes Geschäft führt.

Ja, in der Tat!

Der Geschäftsführer muss das Geschäft für einen anderen besorgen (§ 677 BGB). Dies erfordert den nach außen erkennbaren Willen und das Bewusstsein, für einen anderen tätig zu werden (Fremdgeschäftsführungswille). Dabei ist zu unterscheiden: objektiv fremde Geschäfte fallen schon äußerlich in einen fremden Interessenkreis, hier wird der Wille (widerleglich) vermutet. Subjektiv fremde Geschäfte sind neutral, der Wille muss positiv festgestellt werden. Bei "auch-fremden" Geschäften liegt die Übernahme im eigenen und im fremden Interesse. Der Wille wird nach der Rechtsprechung grundsätzlich auch hier vermutet, insbesondere wenn das Interesse des Anderen an der Vornahme der Handlung im Vordergrund steht (sehr strittig).

4. Indem A das Steuer herumgerissen hat, hat er ein objektiv fremdes Geschäft besorgt. Der Fremdgeschäftsführungswille wird vermutet.

Nein!

Unter objektiv fremde Geschäfte fallen Tätigkeiten, die schon ihrem äußeren Erscheinungsbild nach in einen anderen Rechts- und Interessenkreis fallen, zB Hilfeleistungen, Gefahrabwendung und Zahlung fremder Schulden. Hier lag das Ausweichmanöver aber auch im Interesse des A . Ein Kraftfahrer hat äußerlich erkennbar Interesse daran, keine andere Person zu überfahren.

5. Ein Kraftfahrer, der versucht durch Ausweichen einen Unfall mit einem anderen zu verhindern, besorgt ein auch-fremdes Geschäft. Daran ändert sich auch nichts, wenn er für die Verletzungen des anderen bei einer hypothetischen Kollision haften würde.

Nein, das ist nicht der Fall!

Unter "auch-fremde" Geschäfte fallen Tätigkeiten, die ihrer äußeren Erscheinung nach nicht nur in den Interessenkreis des Geschäftsführers fallen, sondern auch einem Dritten zugute kommen (Handeln im Doppelinteresse). BGH:Ein auch-fremdes Geschäft liege jedenfalls dann nicht vor, wenn A für den Unfall nach § 7 Abs. 1 StVG haftet. Dann liege das Ausweichen nur in seinem Interesse. Dies ergebe sich daraus, dass die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG eine verschuldensunabhängige Haftung für die Betriebsgefahr sei, dh allein dafür, dass ein Kfz im Straßenverkehr benutzt wird. Der Halter eines Kfz müsse alle Schäden ersetzten, die er anderen zufügt. Dann sei es ihm aber erst recht zuzumuten, eigene Schäden selbst zu tragen. Diese gesetzliche Risikoverteilung dürfe nicht durch die Anwendung der GoA umgangen werden.

6. Hätte A den J angefahren, statt vorbeizulenken, so hätte er sich (nach altem Recht) gem. § 7 Abs. 1 StVG haftbar gemacht.

Ja, in der Tat!

Bis zum 31.07.2002 schied die verschuldensunabhängige Haftung iSv § 7 Abs. 1 StVG aus, wenn es sich um ein unabwendbares Ereignis iSv § 7 Abs. 2 StVG alte Fassung handelte. Unabwendbar ist ein Ereignis, das auch bei der äußersten möglichen Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Jedenfalls aufgrund des Umstandes, dass A hier in das Gespräch mit B vertieft war, statt auf den Straßenverkehr zu achten, hat er die im Straßenverkehr notwendige Sorgfalt nicht beachtet. Bei Beachtung dieser Maßstäbe wäre es ihm möglich gewesen, rechtzeitig zu bremsen. Es lag kein "unabwendbares Ereignis" (§ 7 Abs. 2 StVG alte Fassung) vor. Die Enthaftung bei Vorliegen eines unabwendbaren Ereignisses gibt es nach der Novellierung des StVG weiterhin, aber primär beschränkt auf Unfälle zwischen zwei Kraftfahrzeugen (§ 17 Abs. 3 StVG), also nicht zwischen Fußgänger und Kraftfahrzeug.

7. Indem A das Steuer herumgerissen hat, hat er (nach altem Recht) ein auch-fremdes Geschäft besorgt. Der Fremdgeschäftsführungswille wird vermutet.

Nein!

Unter "auch-fremde" Geschäfte fallen Tätigkeiten, die ihrer äußeren Erscheinung nach nicht nur in den Interessenkreis des Geschäftsführers fallen, sondern auch einem Dritten zugute kommen (Handeln im Doppelinteresse). Bei einer Kollision mit J hätte A gehaftet. Ein solcher Unfall wäre für A kein "unabwendbares Ereignis" (§ 7 Abs. 2 StVG alte Fassung) gewesen. Durch das Ausweichen hat A deshalb primär eigene Belange wahrgenommen (nicht zu haften). BGH: Wenn A Fremdschäden zu tragen habe, müsse er erst recht eigene Schäden tragen.
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