Samenzellen-Fall (Fokus Schmerzensgeld)


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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Patient P unterzieht sich einer Operation, durch die er zeugungsunfähig werden wird. Um dennoch später Kinder haben zu können, lässt er vorher Samenzellen einfrieren. Ein Mitarbeiter des Krankenhauses K vernichtet die Samenzellen versehentlich, aber schuldhaft.

Einordnung des Falls

Samenzellen-Fall (Fokus Schmerzensgeld)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K hat eine Pflicht aus dem Verwahrungsvertrag verletzt (§ 280 Abs. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

P und das Krankenhaus K haben einen entgeltlichen Verwahrungsvertrag (§ 688 BGB) geschlossen. Durch die Vernichtung hat K die Pflicht zur Herausgabe der verwahrten Sache (§ 695 BGB) verletzt. Dies geschah auch schuldhaft durch den Mitarbeiter. Das Verschulden des Mitarbeiters wird dem Krankenhaus K zugerechnet (§ 278 BGB).

2. Das Deliktsrecht ist nicht anwendbar, wenn ein Vertrag zwischen den Parteien besteht.

Nein!

Im Zivilrecht gilt grundsätzlich uneingeschränkte Anspruchskonkurrenz. Das bedeutet, dass alle Ansprüche nebeneinander geltend gemacht werden können. Die Ansprüche aus dem Deliktsrecht stehen damit neben den Ansprüchen aus den Schadensersatzansprüchen aus dem Allgemeinen Teil des Schuldrechts.

3. Indem K die Samenzellen vernichtet hat, hat er den P in seinem Rechtsgut "Körper" verletzt (§ 823 Abs. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Grundsätzlich erlangt ein Körperteil durch das Abtrennen vom Körper Sacheigenschaft mit der Folge, dass der Betroffene Eigentümer des Körperteils wird. Eine Ausnahme besteht dann, wenn der abgetrennte Körperteil später wieder in den Körper eingefügt werden soll (zum Beispiel bei Eigenblutspenden). Das Gleiche gilt auch, wenn der Körperteil zwar nicht mehr in den Körper zurückgeführt, aber funktionsgerecht verwendet werden soll. Da die Samenzellen funktionsgerecht zur Zeugung von Kindern verwendet werden sollen, handelt es sich weiterhin um Teile des Körpers von P.

4. P ist ein materieller Schaden (§§ 249ff. BGB) dadurch entstanden, dass er keine Kinder mehr bekommen kann.

Nein, das trifft nicht zu!

Ein Schaden ist jeder unfreiwillige Nachteil. Das Gesetz unterscheidet in den §§ 249ff. BGB zwischen dem materiellen und dem immateriellen Schaden. Materielle Schäden betreffen die Einbuße an geldwerten Rechtsgütern. Immaterielle Schäden betreffen alle sonstigen nicht geldwerten Nachteile. Ohne die Samenzellen kann P keine Kinder zeugen. Kinder wiederum stellen kein Vermögen dar. Damit hat die Vernichtung der Samenzellen keinen materiellen Schaden zur Folge.

5. P ist ein immaterieller Schaden (§ 253 Abs. 2 BGB) dadurch entstanden, dass er keine Kinder mehr bekommen kann.

Ja!

Immaterielle Schäden sind nur in den gesetzlich vorgeschriebenen Fällen ersatzfähig (§ 253 Abs. 1 BGB). Ein solcher ist das sogenannte Schmerzensgeld (§ 253 Abs. 2 BGB). Gesetzlich benannt sind die Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung. Eine analoge Anwendung kommt auch bei vergleichbaren Rechten in Betracht (zum Beispiel bei der Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts). Durch die Zerstörung des Spermas ist es P nicht mehr möglich, seinem Kinderwunsch nachzukommen. Kinder bekommen zu können, ist ein wesentlicher Bestandteil der persönlichen Lebensgestaltung und stellt einen immateriellen Schaden dar.

6. P hat gegen K nur einen vertraglichen Schadensersatzanspruch.

Nein, das ist nicht der Fall!

P hat neben einem vertraglichen Schadensersatzanspruch wegen Pflichtverletzung (§ 280 Abs. 1 BGB) auch einen deliktischen Schadensersatzanspruch (§ 823 Abs. 1 BGB). Grund: Da die Samenzellen noch zur Zeugung verwendet werden sollen, sind sie als Teil des Körpers anzusehen. Insofern liegt auch ein immaterieller Schaden aufgrund der Verletzung des Körpers vor (§ 253 Abs. 2 BGB).

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🦊LEXD

🦊LEXDEROGANS

3.4.2021, 21:29:58

Mit welcher Begründung wird einerseits Körpereigenschaft angenommen (Delikt) und andererseits Sacheigenschaft akzeptiert (§ 688 „bewegliche Sache“)?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

11.5.2021, 17:47:07

Hallo LEXDEROGANS, das ist tatsächlich ein dogmatischer Widerspruch, mit dem sich der BGH in seiner Entscheidung nicht auseinandergesetzt hat, da er schlicht vom Ergebnis her argumentiert und allein deliktische Ansprüche geprüft hat. Unter Umständen könnte man den Vertrag nach mE auch einfach als Vertrag eigener Art einstufen, da insoweit im Schuldrecht kein Typenzwang herrscht. Im Hinblick auf die Rechte und Pflichten aus dem Vertrag, wird man sich aber sodann an den Vorschriften des Verwahrungsvertrages orientieren können. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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