Versetzen in hilflose Lage 3

12. Dezember 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

O feiert kurz vor Weihnachten ihren Geburtstag. Sie trinkt sehr viel Alkohol und wird aus der Disco geschmissen. Ohne Jacke und nur leicht bekleidet in einem kurzen schwarzen Kleid, irrt sie orientierungslos durch die Stadt. T sieht die O und verbringt sie in einen nicht beheizten Gebäudehinterhof.

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Einordnung des Falls

Versetzen in hilflose Lage 3

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Wer einen anderen Menschen in eine hilflose Lage versetzt und ihn dadurch der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung aussetzt, verwirklicht den objektiven Straftatbestand der Aussetzung (§ 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB).

Ja, in der Tat!

§ 221 Abs. 1 StGB ist ein konkretes Gefährdungsdelikt in Form eines zusammengesetzten Delikts: Es besteht aus einem Handlungs- und einem Gefährdungsteil. Der Handlungsteil unterscheidet zwei Tatvarianten: Das Versetzen in eine hilflose Lage (Nr. 1) sowie das Im-Stich-Lassen in einer hilflosen Lage durch einen Garanten (§ 13 StGB) (Nr. 2). Der Gefährdungsteil ist für beide Tatvarianten identisch: Voraussetzung ist der Eintritt einer konkreten Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung. Die Gefahr muss durch die Tathandlung eingetreten sein, also kausal und zurechenbar auf der Handlung beruhen.
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2. T hat die O "in eine hilflose Lage versetzt" (§ 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB).

Ja!

Eine hilflose Lage ist eine Situation, in der das Opfer außerstande ist, sich aus eigener Kraft oder mit Hilfe schutzbereiter und schutzfähiger anderer Personen vor drohenden abstrakten Lebens- oder schweren Gesundheitsgefahren zu schützen. Der Begriff des Versetzens ist nach h.M. weit zu verstehen und meint die auf beliebige Art und Weise erfolgende Herbeiführung der hilflosen Lage durch den Täter. Überwiegend wird vertreten, dass auch derjenige eine Person in eine hilflose Lage versetzt, der das bereits hilflose Opfer in eine andere (oder auch neue) hilflose Lage versetzt. O befand sich aufgrund ihrer Alkoholisierung, Orientierungslosigkeit und leichten Bekleidung bereits in einer hilflosen Lage. Indem T die O in einen nicht beheizten Gebäudehinterhof verbringt, versetzt er sie in eine neue hilflose Lage.

3. T hat die O "durch" das Versetzen in eine hilflose Lage der "Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung ausgesetzt" (§ 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB).

Genau, so ist das!

Der Täter muss das Opfer durch die Tathandlung in die konkrete Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung gebracht haben. Die konkrete Gefahrenlage muss sich dabei aus einer bereits bestehenden hilflosen Lage entwickeln. Der konkrete Gefahrerfolg liegt vor, wenn der Täter eine Verschlechterung der gegenwärtigen physischen Situation in dem Sinne herbeiführt, dass es nur noch vom Zufall abhängt, ob das Opfer den Tod oder eine schwere Gesundheitsschädigung erleidet. Aus der hilflosen Lage der O entwickelt sich eine solche konkrete Gefährdung, denn O kann im Dezember bei Temperaturen um den Gefrierpunkt eine schwere Unterkühlung erleiden. Demnach hat T die O durch die Tathandlung der konkreten Gefahr des Todes ausgesetzt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

S3T

S3tr

26.6.2020, 09:33:33

Der Sachverhalt ist nicht klar.

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

26.6.2020, 16:00:14

Was findest du nicht klar an dem Sachverhalt?

Isabell

Isabell

30.8.2020, 14:14:00

warum tut er das? ist es dort windgeschützt? kann o den Hinterhof jederzeit einfach wieder verlassen?

CAS

Captain Stupid

2.6.2024, 23:27:35

Ich finde die Aufgabe auch etwas missglückt. Die Zeichnungen gehören doch auch immer zum Sachverhalt, oder? T hält die O im Arm und geht mit ihr auf dem Bild "irgendwohin." Das sieht sogar eher fürsorglich aus. Laut Sachverhaltstext verbringt er sie in einen Hinterhof, ohne dass irgendwie klar wird, was dort passiert. Lässt er sie zurück? Hat er dort sein Auto geparkt und bringt sie nach Hause? Konkret gefährdet ist sie in ihrem Zustand (Alkoholisierung, Kälte, Kleidung, Orientierungslosigkeit) außerdem auch schon bevor sie auf T trifft.

LENS

LENS

14.8.2023, 17:57:44

Ist es hier nicht so, dass die O bereits vor dem Zusammentreffen mit T konkret gefährdet war und somit nicht „durch“ seine

Tat

handlung? Die Temperatur im Innenhof dürfte die gleiche sein wie im Rest der Stadt und sie ist genauso wie zuvor bekleidet. Also wenn man hier eine konkrete Gefahr sieht, verstehe ich nicht, wie diese durch die

Tat

handlung des T entstanden sein soll.

hirschdecke

hirschdecke

25.1.2024, 09:21:48

Ja, das sehe ich genau so

/Q

/qwas

16.5.2024, 14:41:13

Allerdings erhöht sich die Gefahr auch, da Hilfsmöglichkeiten durch Dritte in dem Hinterhof stärker eingeschränkt sind, bspw. finden dort keine Streifenfahrten durch Rettungsdienst oder die

Polizei sta

tt.

HannaHaas

HannaHaas

30.10.2024, 14:37:58

Wenn die Person, die O aus der Disco geschmissen hat, sie bereits in eine hilflose Lage versetzt hatte und der T die O erneut in eine hilflose Lage versetzt, liegt dann ein Fall der überholenden Kausalität vor, sodass die erste hilflose Lage als

hypothetische Reserveursache

außer Betracht bleibt?

LELEE

Leo Lee

16.11.2024, 05:02:13

Hallo HannaHaas, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! Genauso ist es! Abgesehen davon, dass derjenige, der die O rausgeschmissen hat, ohne

Vorsatz

gehandelt haben dürfte, hat jedenfalls der T durch die erneute Versetzung eine neue und eigenständige (überholende) Kausalkette in Gang gesetzt, weshalb die ganze Geschichte mit der Reserverursache einschlägig wäre :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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