Grundfall zum IPR

21. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die deutsche D kauft von ihrer Freundin aus Frankreich F ein Auto. D möchte von F, dass diese ihr schonmal das Auto übereignet. F erwidert, dass dies gar nicht möglich sei, weil – was zutrifft – in Frankreich das Eigentum schon mit dem Vertragsschluss übergeht. Hat F recht? ‌

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Einordnung des Falls

Grundfall zum IPR

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Um das anwendbare Recht zu ermitteln, ist zuerst ins EGBGB zu schauen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der erste Schritt einer IPR-Prüfung ist die Ermittlung des anwendbaren Rechts. Dieser Schritt wird wiederum in drei Schritte aufgeteilt: (1) Die Qualifikation, also die Zuordnung des Sachverhalts zu einer bestimmten Kollisionsnorm. Hierbei ist zuerst im vorrangigen internationalen Recht zu schauen (Staatsverträge, EU-VOs) und dann erst im nationalen Recht (EGBGB). Hier ist zunächst auch die Eröffnung des Anwendungsbereichs zu prüfen. (2) Dann folgt die Anknüpfung. Hier wird die Rechtsfolge der gefundenen Kollisionsnorm angewandt. (3) Zuletzt dann die Verweisung auf das anwendbare Recht. Wir befinden uns hier im ersten Schritt des ersten Schritts, also der Qualifikation. Hier muss zuerst auf höherrangiges Unionsrecht geschaut werden, bevor das EGBGB zum Einsatz kommt.
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2. Auf vertragliche Schuldverhältnisse ist die Rom I-Verordnung anwendbar (Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO).

Ja, in der Tat!

Der sachliche Anwendungsbereich der Rom I-VO umfasst Zivil- und Handelssachen. Ferner findet sie nur auf vertragliche Schuldverhältnisse Anwendung. Bereichsausnahmen finden sich in Art. 1 Abs. 2 Rom I-VO. Beim vorliegenden Sachverhalt geht es um einen Kaufvertrag, also ein vertragliches Schuldverhältnis.

3. Um zu prüfen, ob die Rom I-VO anwendbar ist, ist nur die Eröffnung des sachlichen Anwendungsbereichs zu prüfen.

Nein!

Eine Verordnung ist erst anzuwenden, wenn ihr Anwendungsbereich eröffnet ist. Hierzu gehört neben dem sachlichen auch der räumlich-persönliche und zeitliche Anwendungsbereich. Die Rom I-VO gilt in allen Mitgliedsstaaten unabhängig davon, woher die Parteien stammen (räumlich-persönlicher Anwendungsbereich). Die VO gilt ab dem 17.12.2009 (zeitlicher Anwendungsbereich, Art. 28 Rom I-VO). Hier handelt es sich um einen grenzüberschreitenden Sachverhalt in einem Mitgliedsstaat. Mangels entgegenstehenden Angaben ist davon auszugehen, dass auch der zeitliche Anwendungsbereich eröffnet ist. Der Anwendungsbereich der Rom I-VO ist somit eröffnet.

4. Das auf den Vertrag anwendbare Recht richtet sich nach dem gewöhnlichen Aufenthalt (vgl. Art. 19 Rom I-VO) des Käufers (Art. 4 Abs. 1 lit. a Rom I-VO).

Nein, das ist nicht der Fall!

Wenn keine Rechtswahl der Parteien vorliegt, richtet sich das anwendbare Recht nach dem sog. objektiven Vertragsstatut. In der Rom I-VO finden sich die Grundregeln hierfür in Art. 4 Rom I-VO. Hier finden sich Anknüpfungsregeln für die gängigsten Vertragstypen. Es liegt hier keine Rechtswahl vor, sodass eine passende Vorschrift in Art. 4 Abs. 1 zu suchen ist. Diese findet sich in lit. a. Hiernach ist aber an den gewöhnlichen Aufenthalt des Verkäufers, nicht des Käufers anzuknüpfen. Fs gewöhnlicher Aufenthalt ist in Frankreich. Wir werden also ins französische (Sach-)Recht verwiesen.

5. Ist durch den Verweis ins französische Recht direkt das materielle Recht anzuwenden?

Ja, in der Tat!

Verweist die Kollisionsnorm auf ein anderes Recht, ist dies auf zwei Arten möglich. Sie kann auf das materielle Recht des Staates (Sachnormverweisung) oder auf das gesamte Recht des Staates samt IPR (Gesamtverweisung) verweisen. Bei der Gesamtverweisung ist dann wiederum zuerst in das IPR des Staates zu schauen und auf welches Recht dieses verweist. Die Rom I- VO sieht eine Sachnormverweisung vor (Art. 20 Rom I-VO). Es wird also direkt auf das französische Sachrecht verwiesen. Die Rom II-VO sieht eine Sachnormverweisung vor (Art. 24 Rom II-VO). Das EGBGB eine Gesamtverweisung (Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB).

6. Wendet man das französische Recht an, ist D schon Eigentümerin.

Ja!

In Frankreich gibt es kein Trennungs- und Abstraktionsprinzip. Durch den Schluss des Kaufvertrags geht das Eigentum an der Kaufsache über. Der Vertrag ist also gleichzeitig Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft. D und F haben einen Kaufvertrag geschlossen. Mit diesem Vertragsschluss (Art. 1583 Code Civil) ist D nach französischem Recht schon Eigentümerin geworden.

7. Da dieses Ergebnis (Ds Eigentumserwerb) gegen das deutsche Trennungsprinzip verstößt, ist es mit der deutschen öffentlichen Ordnung unvereinbar (sog. ordre public, Art. 21 Rom I-VO).

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Anwendung von ausländischem Recht kann natürlich zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, als sie bei der Anwendung deutschen Rechts vorgelegen hätten. Verstößt das andere Ergebnis aber erheblich gegen die Wertvorstellungen des angerufenen Gerichts, kann dieses unter dem ordre public-Vorbehalt korrigiert werden. Dies gilt insbesondere bei erheblichen Widersprüchen mit den Wertungen unseres Grundgesetzes. Einfache Abweichungen vom deutschen Recht genügen nicht für einen Verstoß gegen unsere deutschen Wertvorstellungen. Insbesondere genügt auch eine Abweichung vom Trennungsprinzip hierfür nicht. Es bedarf keiner Korrektur durch den ordre public-Vorbehalt. Das Ergebnis ist so zu akzeptieren. D ist also unmittelbar mit Vertragsschluss Eigentümerin des Autos. Der ordre public-Vorbehalt findet sich unter anderem auch in Art. 6 EGBGB und Art. 26 Rom II-VO.
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