Grundfall zum IPR
31. Mai 2025
26 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Die deutsche D kauft von ihrer Freundin aus Frankreich F ein Auto. Das Auto bleibt zunächst noch bei F in Frankreich. D möchte von F, dass diese ihr „schonmal das Auto übereignet“. F erwidert, dass dies gar nicht möglich sei, weil – was zutrifft – in Frankreich das Eigentum schon mit dem Vertragsschluss übergehe. Nach welchem Recht bestimmt sich, wer Eigentümerin des Autos ist?
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Einordnung des Falls
Grundfall zum IPR
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Um das anwendbare Recht zu ermitteln, ist zuerst ins EGBGB zu schauen.
Nein, das ist nicht der Fall!
Jurastudium und Referendariat.
2. Auf vertragliche Schuldverhältnisse ist, auch nach französischem IPR, die Rom I-Verordnung sachlich anwendbar (Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO).
Ja, in der Tat!
3. Um zu prüfen, ob die Rom I-VO anwendbar ist, ist nur die Eröffnung des sachlichen Anwendungsbereichs zu prüfen.
Nein!
4. Das auf den Vertrag anwendbare Recht richtet sich nach dem gewöhnlichen Aufenthalt (vgl. Art. 19 Rom I-VO) des Käufers (Art. 4 Abs. 1 lit. a Rom I-VO).
Nein, das ist nicht der Fall!
5. Wendet man das französische materielle Recht an, ist D schon Eigentümerin.
Ja!
6. Da dieses Ergebnis (Ds Eigentumserwerb) gegen das deutsche Trennungsprinzip verstößt, ist es mit der deutschen öffentlichen Ordnung unvereinbar (sog. ordre public, Art. 21 Rom I-VO).
Nein, das ist nicht der Fall!
7. Nach welchem Recht sich die Eigentumslage richtet, bestimmt in unserem Fall unmittelbar die Rom I-VO.
Nein!
8. Art. 43 Abs. 1 EGBGB stellt eine Sachnormverweisung dar, sodass unmittelbar französisches Sachrecht zur Anwendung kommt.
Nein, das ist nicht der Fall!
9. Das französische Recht kennt weder Trennungs- noch Abstraktionsprinzip und hat daher auch keine speziellen IPR-Normen zur Bestimmung des Eigentums in unserem Fall. Der Verweis geht also ins Leere und es bleibt bei der Anwendbarkeit deutschen Rechts.
Nein, das trifft nicht zu!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Jonas
29.10.2023, 02:54:40
Art. 4 Abs. 1 lit. a verweist nunmehr auf den gewöhnlichen Aufenthalt, sodass die richtige Antwort von der hier als richtig hinterlegten Antwort abweicht.

Lukas_Mengestu
2.11.2023, 10:23:13
Hi Jonas, kann es sein, dass Du bei der Aufgabe überlesen hast, dass in der Frage auf den „Käufer“ abgestellt wird? Deswegen ist die Antwort "nein", da es bei Art. 4 Abs. 1 lit.a auf den gewöhnlichen Aufenthalt des „Verkäufers“ ankommt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
isa_hh
28.12.2024, 08:46:14
Für mich ging aus dem Sachverhalt nicht deutlich hervor, dass sie bereits den Kaufvertrag geschlossen haben. Im Nachhinein wird das durch S. 1 deutlich(er), allerdings verstehe ich dann nicht die Formulierung “D möchte, dass F ihr >>schonmal<< das Auto übereignet. Das “schonmal” hat mich eher dahin gebracht, dass sie eben noch keinen KV geschlossen haben.

Paulah
3.1.2025, 22:05:53
Wenn im Sachverhalt eindeutig "kauft" steht, liegt ein Kaufvertrag vor. Habe ich jedenfalls so gelernt.
Dini2010
12.3.2025, 08:11:28
Das "schonmal" bezieht sich sicherlich darauf, dass das bloße Schließen eines Kaufvertrages ja gerade keine automatische Eigentumsübertragung mit sich bringt und D somit nur durch den Kaufvertrag ja noch keine Eigentümerin des Autos ist. Was sie aber möglichst direkt sein möchte, daher ihre Bitte, das Eigentum "schonmal" zu übertragen. So habe ich es zumindest interpretiert :)
Dogu
14.1.2025, 11:42:41
Die Frage des Eigentums ist doch eine Frage des internationalen Sachenrechts. Das ist aber von der Rom-I-VO nicht erfasst. Bezüglich der Eigentumsfrage ist daher alleine auf Art. 43 I EGBGB und damit den Ort abzustellen, wo das
Fahrzeugsich befindet.

Paulah
7.3.2025, 20:54:39
Ins Sachenrecht kommt man gar nicht, weil das französische Recht anwendbar ist. Nach den dortigen Regeln gibt es keine Trennung zwischen Kaufvertrag und Eigentumsübertragung.
Dogu
7.3.2025, 20:59:42
Aber für die Frage des Eigentums muss ich doch das internationale Sachenrecht betrachten? Man kann doch auch nicht per Rechtswahlklausel in einem Vertrag darüber entscheiden, ob das Eigentum an einem Grundstück in einem anderen ausländischen Staat übergangen ist.
Dogu
7.3.2025, 21:14:13
https://www.eastlaw.uni-kiel.de/de/lehrveranstaltungen/archiv/Sommersemester_2020/vorlesungen-im-ss-2020/ipr_10_intsachenr&ved=2ahUKEwiYn_3w4PiLAxVDh_0HHcEnH48QFnoECBoQAQ&usg=AOvVaw2Ntl1mtY0fMGzekxUqlV5R Ganz unten steht ein ähnlicher Fall wie hier. Man muss auf Art. 43 I EGBGB abstellen, um die Frage des Eigentums zu betrachten. Danach gilt französisches Recht als
Belegenheitsortder Sache. Dieses knüpft dann selbständig an das Recht des Vertrages nach der Rom I VO an. Die vom Jurafuchs dargestellte Lösung ist daher so nicht korrekt, soweit gefragt wird, ob Eigentum übergangen ist. Dann muss der Einstieg wie gesagt über das internationale Sachenrecht erfolgen.

Paulah
7.3.2025, 22:45:32
Im Fall hier im Forum k a u f t die Deutsche D von der Französin F in Frankreich das Auto. Nach Art. 4 Abs. 1 lit. a Rom I-VO ist das Recht anzuwenden, in dem der Verkäufer den gewöhnlichen Aufenthalt hat, also französisches Recht. Danach gilt das von mir oben beschriebene: In Frankreich gilt das Konsensprinzip und das Eigentum geht mit Vertragsschluss über. In dem Fall, den du meinst v e r k a u f t ein Deutscher an einen Franzosen in Frankreich (wenn ich den richtigen Fall erwischt habe). Nach Art. 4 Abs. 1 lit. 1 Rom I-VO ist der Fall nach deutschem Recht zu beurteilen, weil der Verkäufer in Deutschland wohnt. Dann muss Art. 43 I EGBGB beachtet werden und der Eigentumsübergang erfolgt erst mit der Übergabe.
Max
11.3.2025, 15:29:30
Ich stimme Dogu hier zu. Es geht darum, dass ein Eigentumsübergang gar nicht über das Rom I Statut geprüft werden kann. Der Anwendungsbereich umfasst nur die
schuldrechtliche Ebene. Dazu gehört auch nicht der nach Auslandsrecht allein aufgrund Kaufvertrags erfolgte Eigentumsübergang (MüKoBGB/Martiny Rom I VO Art. 1, Rn. 18). Vielmehr muss die Anwendbarkeit des dann französischen Rechts seperat geprüft werden nach 43 EGBGB (siehe auch MüKoBGB/Martiny Rom I VO Art. 4 Rn. 125, MüKoBGB/Wenderhorst Art. 43 EGBGB Rn. 83, 86). Ein Feedback von den Moderatoren hierzu wäre prima @[Lukas_Mengestu](136780).
Dogu
11.3.2025, 15:40:39
@[Paulah](135148) Du verwechselst
Schuldrecht mit Sachenrecht. Der Einstieg bei der Frage nach dem Eigentumsübergang kann nicht über die Rom I VO erfolgen. Das internationale Sachenrecht ist davon zu unterscheiden, wie in dem o.g. Link erläutert wird. Danke @[Max](293050) Das muss auch so sein, da die einzelnen Staaten selbst entscheiden, wann absolute Rechte in ihrer Jurisdiktion verändert werden. Ansonsten könnte man per Rechtswahlklausel entscheiden, wann das Eigentum an einem Grundstück in Deutschland übergeht. Das wäre absurd, denn dann wäre das Grundbuch und jegliche Dogmatik diesbezüglich überflüssig, denn man könnte einfach zu einer Rechtsordnung ohne Register optieren. Außerdem wäre es chaotisch, wenn bei einer beweglichen Sache, die mehrfach hintereinander veräußert wird und dabei Deutschland nie verlassen hat, jedes Mal eine andere Rechtsordnung für den Eigentumsübergang einschlägig sein könnte. Dann würde es bei absoluten Rechten keinerlei Rechtssicherheit mehr geben.
Dogu
11.3.2025, 15:55:08
Hier noch ein BGH-Urteil, in dem der BGH betont, dass Art. 43 EGBGB zwingendes Recht darstellt, das nicht zur Disposition des Rechtsverkehrs steht, und dass der Eigentumserwerb bspw. auch dann ausschließlich nach französischem Recht zu werten ist, wenn die Sache vor Besitzerlandung durch den Erwerber nach Frankreich transportiert wurde: https://lorenz.userweb.mwn.de/urteile/viiizr108_07.htm
Dini2010
12.3.2025, 08:03:48
Ich glaube, man muss hier einfach wirklich trennen zwischen dem zugrunde liegenden Kausalgeschäft (=> untersteht dem Vertragsstatut) und der dinglichen Rechtsfolge (=> untersteht dem Sachenrechtsstatut). Sprich, alles, was die Wirksamkeit, Auslegung etc. des Kaufvertrages betrifft, läuft über Rom I. Alles, was das dingliche Geschäft und damit den Eigentumsübergang anbelagt, läut über Art. 43 I EGBGB.
Max
9.4.2025, 14:48:00
@[Sebastian Schmitt](263562) sorry fürs anpingen, das Thema müsste glaube ich aber wirklich bald behoben werden. Die Aufgaben sind sonst super, nur die Anwendung des französischen materiellen Sachenrechts kann hier nicht die richtige Lösung sein. Danke schonmal im Voraus :)

Sebastian Schmitt
10.4.2025, 16:29:44
Hallo @[Dogu](137074), hallo @[Paulah](135148), keine leichte Frage und auch kein einfacher Fall. ME haben Dogu und @Max hier im Kern völlig Recht. Der Beitrag von @[Dini2010](109777) zeigt die mitunter feine Differenzierung, die hier wichtig ist: Der Vertragsinhalt ist nach deutschem Verständnis (und damit müssen wir ja anfangen) eine
schuldrechtliche Frage, die Eigentumsverhältnisse eine sachenrechtliche. Dementsprechend handelt es sich bei der Frage, ob der Käufer einen
Anspruch auf Übereignungaus dem Kaufvertrag hat, um eine
schuldrechtliche, die uns zu Rom I führt. Die Frage, ob dieser Anspruch bereits erfüllt ist, ob der Käufer schon Eigentümer ist, ist dagegen letztlich eine sachenrechtliche, die uns zu Art 43 I EGBGB bringt. So oder so stimme ich aber zu, dass Art 43 EGBG hier erwähnt werden muss, damit die Differenzierung klar wird. Wir haben deswegen zunächst mal die Fallfrage dahingehend präzisiert, dass es uns eindeutig um die Eigentümerstellung geht. Damit ist klar, dass wir über Art 43 I EGBGB einsteigen müssen. Inhaltlich wird es dann komplex: Art 43 I EGBGB schickt uns per Gesamtverweisung (Art 4 I 1 EGBGB) ins franz IPR. Nun kennt das franz Recht (und auch das franz IPR) aber unser Trennungs- und Abstraktionsprinzip nicht, das Eigentum geht schon mit Abschluss des Kaufvertrags über. Deswegen kommt es inhaltlich auf die Wirksamkeit des Kaufvertrags an - eine internationalprivatrechtliche Vorfrage, die wir separat anknüpfen müssen! (bei vertieftem Interesse: BeckOGK-EGBGB/Zimmermann, Stand 1.10.2024, Art 43 Rn 47 ff; MüKoBGB/Wendehorst, 9. Aufl 2025, Art 43 EGBGB Rn 86). Das franz IPR schickt uns daher zur Rom I-VO, die uns für die Frage der Wirksamkeit des Kaufvertrags wiederum zum franz
Kaufrechtbringt (Sachnormverweisung, Art 20 Rom I-VO). Mangels entgegenstehender Angaben in der Sachverhaltsdarstellung müssen wir von der Wirksamkeit des Kaufvertrags nach franz
Kaufrechtausgehen (= Vorfrage beantwortet). Daraus ergibt sich nach franz Recht auch die wirksame Eigentumsübertragung an die Käuferin (= Hauptfrage beantwortet). Das ist aus den in der Aufgabe genannten Gründen auch nicht ordre-public-widrig. Den Fall haben wir vor diesem Hintergrund überarbeitet. Das war eine größere Sache, ggf müssen wir hier nochmal nachbessern. Falls Ihr konkreten Änderungsbedarf seht, meldet Euch gerne jederzeit. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team
Max
10.4.2025, 16:51:50
Danke Dir für die Aufklärung!

Paulah
10.4.2025, 19:23:50
Danke euch allen, insbesondere Sebastian für die Erklärung und die Überarbeitung! @[Sebastian Schmitt](263562) Ist geplant, auch noch Aufgaben zum Sachenrecht und evtl. auch Erbrecht und Familienrecht zu erstellen. Bisher gibt es ja nur Rom I-VO und Rom II-VO

Sebastian Schmitt
22.4.2025, 20:34:12
Hallo @[Paulah](135148), irgendwann wird dazu sicherlich noch etwas kommen. Nach unserem Eindruck zählt das IPR im Allgemeinen und dort insbesondere das genuin "deutsche" IPR des EGBGB (im Unterschied insbesondere zu Rom I/II) aber doch zu den eher selten(er) prüfungsrelevanten Themen, zumal das IPR nach den für Euer Bundesland geltenden Juristenausbildungsgesetzen für das 1. Examen üblicherweise nur "im Überblick" beherrscht werden muss. Selbst wenn es mal kommt, dient es häufig als Einstieg und/oder Zusatzfrage, nicht dagegen als Schwerpunkt einer (Examens-)Klausur. Personell schaffen wir es auch leider nicht, alle Aufgaben gleichzeitig zu erstellen, die wir gerne noch bringen würden. Dementsprechend müssen wir insoweit Prioritäten setzen und bitten dich deswegen noch um etwas Geduld. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

Paulah
22.4.2025, 20:49:33
@[Sebastian Schmitt](263562) Danke für die Antwort. Das habe ich mir schon gedacht, aber manchmal ist ja schon was in Arbeit. Ich bin noch in der alten Prüfungsordnung Bachelor NRW und IPR ist bei mir ein Pflichtfach. Bei uns an der Fernuni gibt es tatsächlich auch IPR-Klausuren einschl. IPZR. Aber andere Fächer sind in der Tag wichtiger!
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