Zivilrecht

Deliktsrecht

§ 833 BGB

Spezifische Tiergefahr / schlafender Hund

Spezifische Tiergefahr / schlafender Hund

8. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die A und die B matchen sich auf Tinder und vereinbaren ein Date bei der B. Während sich die beiden dort auf der Couch unterhalten, legt sich der Dackel der B neben der Couch auf den Boden und döst vor sich hin. Als A aufsteht und zur Toilette gehen will, stolpert sie über den Hund und bricht sich das Genick.

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Einordnung des Falls

Spezifische Tiergefahr / schlafender Hund

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A hat einen Personen- oder Sachschaden erlitten (§ 833 S. 1 BGB).

Ja!

§ 833 S. 1 BGB verlangt (1) einen Personen- oder Sachschaden, der (2) durch ein Tier verursacht wurde, wobei der (3) Anspruchsgegner Tierhalter und (4) das Tier ein Luxustier sein muss. Personen- oder Sachschaden meint die Verletzung von Leben, Körper, Gesundheit oder Eigentum. Insoweit gilt das gleiche Verständnis wie bei § 823 Abs. 1 BGB. A wurde an ihrem Körper verletzt. As Genickbruch ist eine Verletzung des Körpers.
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2. Das Verhalten des Dackels war äquivalent kausal für die Körperverletzung der A.

Genau, so ist das!

Die Verletzung muss "durch ein Tier" verursacht werden. Dies setzt voraus, dass (1) das Tierverhalten äquivalent kausal war und (2) sich in der Verletzung die spezifische Tiergefahr verwirklicht hat. Hätte der Dackel nicht auf dem Boden gelegen, wäre A nicht gestolpert und hätte sich nicht das Genick gebrochen.

3. Die Verletzung beruht nur dann auf der spezifischen Tiergefahr, wenn sich das Tier unberechenbar verhält.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Verletzung "durch ein Tier" setzt voraus, dass sie auf einer Verwirklichung der spezifischen Tiergefahr beruht, d.h. auf einem unberechenbaren, selbstständigen Verhalten des Tieres. Weil auch "normales" oder "natürliches" tierisches Verhalten gefährlich sein kann, gehört auch dieses zur spezifischen Tiergefahr. Die Verletzung ist aber immer dann nicht durch die spezifische Tiergefahr verursacht, wenn das Tier ausschließlich dem Willen und der Leitung einer Person folgt.

4. Die Verletzung der A beruht auf der spezifischen Tiergefahr des Dackels, obwohl sich der Dackel nicht bewegt hat.

Ja!

OLG Hamm: Die Verletzung beruhe auch dann auf der spezifischen Tiergefahr, wenn ein Tier ein gefährliches Verkehrshindernis bildet, weil es sich eigenmächtig ohne Rücksicht auf den Verkehr in den Verkehrsraum begeben hat und dort ruht. Ein solches unbekümmertes Verhalten entspreche der tierischen Natur. Es sei nicht darauf abzustellen, dass der Hund regungslos auf dem Boden lag und schlief, sondern darauf, wie das Tier in seine Lage gelangt sei. Hier hat sich der Hund nicht etwa auf Grund irgendeiner Einwirkung durch B, die ihm keine andere Freiheit ließ, sondern frei und von selbst neben der Couch schlafen gelegt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

TJU

Tr(u)mpeltier junior

31.1.2021, 16:50:24

Etwas drastisch, dass A sich gleich das Genick bricht. Ein Arm hätte es vielleicht auch getan bzw das verletzte Knie des ausgangsfalls ;-)

Fahrradfischlein

Fahrradfischlein

3.2.2021, 12:06:29

Das erspart mir jetzt das Lesen der Originalentscheidung, danke 😂 kam mir auch etwas drastisch vor, dass sie sich das Genick bricht. Wobei es natürlich stimmt, je krasser der Fall desto besser die Speicherfähigkeit im Gehirn.

Daniel

Daniel

2.2.2021, 15:40:10

Habe mal von einem Gedächtnissportler gehört, dass je drastischer die Bilder sind (Gewalt, Sex etc.), desto "MERKWÜRDIGER" für das Gehirn und umso besser behält man es sich 😉

Daniel

Daniel

2.2.2021, 15:42:42

Hiermit bezweckte ich die Antwort auf den Kommentar von T(r)umpeltier Hunior, ist aber jetzt blöderweise ein eigener Thread🙊

Daniel

Daniel

2.2.2021, 15:43:10

*Junior (sorry)

TJU

Tr(u)mpeltier junior

2.2.2021, 16:43:54

Finde ich vom Grundsatz her plausibel :) nur muss man ein wenig aufpassen, dass man sich keine unerwünschten folgeprobleme schafft. Konkret in dem Fall stellt sich mir zumindest die Frage, welcher Schaden entstanden ist und wer diese geltend machen soll. In Betracht kommt nur ein anspruchsübergang auf mögliche erben. Über die gibt es aber im SV keine Angaben. Auch kommen wohl nur Schadenspositionen nach §

844 bgb

in Betracht, da mangels leiden des A ein Schmerzensgeld nach 253 bgb nicht in Betracht kommt. Zu 844 fehlen indes wieder Hinweise im SV :) long story short, durch As tod wird alles etwas komplizierter..

t o m m y

t o m m y

5.2.2021, 16:46:39

ein genickbruch muss ja nicht tödlich sein :p

Denislav Tersiski

Denislav Tersiski

15.8.2023, 10:56:23

Würde man Mitverschulden von A annehmen?

CitiesOfJudah

CitiesOfJudah

14.9.2023, 15:55:34

Das kommt wohl auf die genauen Umständen an, die zu der Verletzung von A geführt haben, diesbezüglich ist der Sachverhalt etwas dünn. Im Originalfall hat das OLG Hamm ein Mitverschulden abgelehnt, denn die Verletzte habe "die Sorgfalt gewahrt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch in der Situation zu beachten hatte, um eigenen Schaden zu vermeiden. [...] Entgegen der Ansicht der Beklagten besteht in einer derartigen Situation nach der Rechtsprechung keine Pflicht, den Blick ohne einen Anhaltspunkt sofort nach unten zu richten und den Boden vor sich auf etwaige Hindernisse zu kontrollieren"

paulmachtexamen

paulmachtexamen

28.7.2024, 16:34:26

Also ich würde ein Mitverschulden (254) bejahen. Solange man keine Tomaten auf den Augen (und Ohren) hat, sollte man doch mitbekommen haben, dass sich genau vor einem ein Hund hingelegt hat. Insbesondere in einer fremden Wohnung, wo man die Gegebenheiten noch nicht kennt, achtetet man doch darauf, auch nichts kaputt zu treten und schaut deswegen beim Gehen / Aufstehen nach Vorne.

AS

as.mzkw

6.10.2024, 11:16:12

Schließe mich @[paulmachtexamen](210803) an, zumal es sich bei einem Dackel nicht um eine extrem kleine und daher schnell zu übersehene Hunderasse handelt.

Juraddicted

Juraddicted

7.10.2024, 15:55:37

wann liegt eine solche Gefahr nicht mehr vor? Wenn ein Polizeipferd auf eine Gruppe Menschen zureitet/ zugeritten wird (und Menschen verletzt werden)? Was, wenn im Supermarktgang über den Blindenhund gestolpert wird, der „ordnungsgemäß“ neben der blinden Person wartet, weil sie etwas aus dem Regal holt? Welche Ansprüche bleiben dann übrig 🙈? vielen Dank :)

PH

phiechen2205

29.10.2024, 11:17:11

Liebes Jura-Fuchs-Team, in einer Info-Box zu diesem Fall, stellt ihr dar, dass die Verletzung immer dann nicht durch die

spezifische Tiergefahr

verursacht sei, wenn das Tier ausschließlich dem Willen und der Leitung einer Person folgt. Das hat der BGH zuletzt anders gesehen: BGH, Urteil vom 11.06.2024 - VI ZR 381/23 Dort ging es um folgenden Fall: Zwei Personen mit jeweils einem Hund treffen auf einem Spazierweg aufeinander. Beide Hunde stürzen sich auf offenbar am Wegrand befindliche Wühlmäuse (ihr Jagdinstinkt wurde geweckt). Eine der Hundebesitzerinnen folgt ihrem Hund, um sie von den Mäusen wegzuziehen, woraufhin die andere Hundebesitzerin ihren Hund von der Stelle zurückpfeift. Der Hund folgt dem Kommando und eilt zurück. Dabei schlingt sich die Schleppleine, die er während der ganzen Zeit hinter sich hergezogen hatte, um das Bein der anderen Frau, die daraufhin umgerissen wird. Der Senat des BGH stellt in seinem Urteil klar, dass sich - trotz des befolgten Kommandos - die

spezifische Tiergefahr

realisiert hat. Er verweist zwar auch auf den Grundsatz, dass es regelmäßig an der Verwirklichung der Tiergefahr fehle, wenn das Tier lediglich der Leitung und dem Willen eines Menschen folge. Davon könne jedoch in Fällen nicht ausgegangen werden, wenn ein Tier auf die menschlichen Kommandos anders reagiere als beabsichtigt. Laut dem Senat sei es "nicht einsichtig, warum durch die Lenkung eines Tieres dessen Gefahr, die auch in der besonderen Energie des Tieres liege, beseitigt werden solle".


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