+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Gegen B wird wegen Bestechung des Landrats L ermittelt. Er übergibt seinem Strafverteidiger S den ganzen Schriftverkehr mit L zur Auswertung. Eines Morgens stehen drei Polizisten vor der Tür. Neben dem Durchsuchungsbeschluss haben sie eine richterliche Anordnung zur Beschlagnahme des Schriftverkehrs des B dabei; sie nehmen die Unterlagen unter Protest des S mit.

Einordnung des Falls

Beschlagnahmefreiheit beim Verteidiger

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Es handelt sich um eine förmliche Beschlagnahme (§ 94 Abs. 2 StPO).

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Genau, so ist das!

Die Abgrenzung zwischen formloser Sicherstellung und Beschlagnahme erfolgt nach dem zu sichernden Gegenstand. Eine Sicherstellung erfolgt, wenn der Gegenstand gewahrsamslos ist oder sich im Gewahrsam einer Person befindet, die ihn freiwillig herausgibt (§ 94 Abs. 1 StPO). Eine förmliche Beschlagnahme ist erforderlich, wenn sich der Gegenstand im Gewahrsam einer Person befindet, die ihn nicht freiwillig herausgibt (§ 94 Abs. 2 StPO). Bei einer formlosen Sicherstellung wird der Gegenstand in Verwahrung genommen, ohne dass es hierzu besonderer Anordnungen bedarf. Für eine förmliche Beschlagnahme ist eine Anordnung erforderlich (§ 98 Abs. 1 S. 1 StPO). Die Unterlagen werden gegen den Willen des S weggenommen.

2. Ein Richter musste hier die Beschlagnahme anordnen (§ 98 Abs. 1 S. 1 StPO).

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Ja, in der Tat!

Die Beschlagnahme muss grundsätzlich gerichtlich angeordnet werden (§ 98 Abs. 1 S. 1 StPO). Bei Gefahr im Verzug sind ausnahmsweise auch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen anordnungsbefugt (§ 98 Abs. 1 S. 1 StPO), außer bei Beschlagnahmen in Redaktionsräumen (§ 98 Abs. 1 S. 2 StPO). Deren Anordnungen sollen dann aber innerhalb von drei Tagen richterlich bestätigt werden (§ 98 Abs. 2 S. 1 StPO). Gefahr im Verzug ist hier nicht ersichtlich.

3. Der Schriftverkehr des B ist ein tauglicher Beschlagnahmegegenstand (§§ 96, 97 StPO).

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Nein!

Der Gegenstand, der beschlagnahmt werden soll, muss (1) potenziell beweisgeeignet sein und (2) darf nicht beschlagnahmefrei sein (§§ 96, 97 StPO). Bezogen auf den Verteidiger (§ 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO) sind beschlagnahmefrei (1) schriftliche Mitteilungen zwischen dem Verteidiger und dem Beschuldigten, (2) Aufzeichnungen des Verteidigers und (3) Gegenstände, die dem Verteidiger in seiner Eigenschaft seitens des Beschuldigten oder eines Dritten übergeben wurden (§ 97 Abs. 1 StPO). Das Verbot gilt nur dann, wenn sich die Gegenstände im Gewahrsam des Verteidigers befinden (§ 97 Abs. 2 S. 1 StPO). § 97 StPO verhindert damit die Umgehung des Zeugnisverweigerungsrechts aus § 53 StPO. Die Schriftstücke wurden dem Verteidiger in seiner Eigenschaft als Verteidiger von B übergeben, sie sind beschlagnahmefrei.

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Fiat Iustitia!

Fiat Iustitia!

1.5.2021, 14:54:14

Gibt es eigentlich Rechtsprechung zu einer etwaigen Einschränkung der Beschlagnahmeverbote bzgl Verteidiger-Mandantenpost, in Missbrauchsfällen? Theoretisch könnte man doch alle "heißen" Unterlagen als Krimineller stets zum Verteidiger verbringen, und als Mandatenkorrespondenz tarnen, sodass die StA nichts mehr machen könnte, oder? Außer Berufsrecht wüsst ich nicht viel was dagegen spricht

VI

Victor

1.5.2021, 16:23:39

Aber es sind ja nicht jegliche Unterlagen beim RA geschützt. Mitunter wird auch in der Praxis in die Unterlagen geguckt und überprüft ob es sich um geschützte Kommunikation handelt. Falls ja besteht lediglich ein Verwertungsverbot. Somit wird sichergestellt, dass nicht alles was beim Verteidiger an Unterlagen ist, auch geschützt ist.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

3.5.2021, 15:29:28

Hallo ihr beiden, in der Tat hat sich der BGH schon verschiedentlich mit der Grenzziehung in diesem Bereich zu befassen gehabt. Lesenswert hierzu ist zB BGH, Beschl. v. 8.8.2018 - 2 ARs 121/18, 2 AR 69(18 (NStZ 2019, 100). Hier wird u.a. noch einmal klargestellt, dass das Beschlagnahmeverbot des § 97 I Nr. 3 nur Gegenstände betrifft, auf die sich das Vertrauensverhältnis zwischen dem Verteidiger und dem Mandanten erstreckt oder originäre Verteidigungsunterlagen; nicht dagegen unabhängig davon entstandene Beweismittel (zB Geschäftsunterlagen). Beweisgegenständen darf gerade kein "Asyl" gewährt werden. Bei Verstößen kann der Verteidiger sich u.a. wegen Strafvereitelung (§ 258 StGB) strafbar machen. Die StA ist also nicht ganz machtlos. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Fiat Iustitia!

Fiat Iustitia!

3.5.2021, 16:04:28

Danke Lukas und super, dass ihr als Jurafuchs Team auch auf vermeintlich sachfremdere Interessensfragen eingeht. Die App gefällt mir immer besser!

lucylawless

lucylawless

1.6.2021, 11:13:36

Das ist hier aber doch genau so ein Fall, dass es sich gerade nicht um Unterlagen aus dem Verteidigerverhältnis, sondern um hiervon unabhängige, zuvor entstandene Beweismittel handelt, die bei diesem sicher geparkt werden sollen?! Oder reicht es schon, dass der Verteidiger sie "zur Verteidigung auswertet" um ihre Eigenschaft als Verteidigermaterial zu bejahen? Die StA braucht diese Unterlagen ja auch, das kann doch nicht richtig sein, dass man sie derart aus dem Verkehr ziehen kann.. ?


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