Beschlagnahmefreiheit Jones Day/VW

12. Februar 2025

7 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Um nach einem weltweiten Betrugsskandal den Vorfall intern aufzuarbeiten, beauftragt die WV-AG den Rechtsanwalt R mit einer internen Untersuchung. Später leitet die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden W ein und beschlagnahmt mit richterlicher Anordnung in den Kanzleiräumen des R gegen dessen Willen die schriftlichen Untersuchungsergebnisse.

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Einordnung des Falls

Beschlagnahmefreiheit Jones Day/VW

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Es handelt sich um eine förmliche Beschlagnahme (§ 94 Abs. 2 StPO).

Ja!

Eine förmliche Beschlagnahme ist erforderlich, wenn sich der Gegenstand im Gewahrsam einer Person befindet, die ihn nicht freiwillig herausgibt (§ 94 Abs. 2 StPO). Für eine förmliche Beschlagnahme ist grundsätzlich – außer bei Gefahr im Verzug – eine richterliche Anordnung erforderlich (§ 98 Abs. 1 S. 1 StPO). R gab die Unterlagen nicht freiwillig heraus.
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2. Unterlagen eines Anwalts des Beschuldigten sind grundsätzlich beschlagnahmefrei (§ 97 Abs. 1 StPO).

Genau, so ist das!

Bezogen auf den Anwalt des Beschuldigten (§97 Abs. 1 StPO i.V.m. § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO) sind beschlagnahmefrei (1) schriftliche Mitteilungen zwischen dem Anwalt und dem Beschuldigten, (2) Aufzeichnungen des Anwalts und (3) Gegenstände, die dem Anwalt in seiner Eigenschaft seitens des Beschuldigten oder eines Dritten übergeben wurden. Das Verbot gilt nur dann, wenn sich die Gegenstände im Gewahrsam des Anwalts befinden (§ 97 Abs. 2 S. 1 StPO). § 97 verhindert die Umgehung des Zeugnisverweigerungsrechts aus § 53 StPO.

3. Die Untersuchungsergebnisse des R sind beschlagnahmefrei (§ 97 Abs. 1 StPO).

Nein, das trifft nicht zu!

Die Beschlagnahmeverbote des § 97 Abs. 1 StPO setzen nach hM voraus, dass ein Vertrauensverhältnis gerade zwischen dem Beschuldigten und dem Zeugnisverweigerungsberechtigten (Anwalt) besteht. Nicht erfasst sind daher solche Beweisurkunden, die keine Kommunikationsinhalte aus dem Mandatsverhältnis verkörpern und keine originären Verteidigungsunterlagen, sondern unabhängig davon entstandene Beweismittel sind. R ist nicht der Verteidiger des Beschuldigten W, sondern Anwalt der WV-AG. Da die Untersuchungsergebnisse somit nicht aus einem Vertrauensverhältnis zwischen R und W entstammen, sind sie nicht nach § 97 Abs. 1 StPO beschlagnahmefrei.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Max

Max

27.1.2025, 01:59:41

Wie würde sich die Rechtslage gestallten, wenn der Rechtsanwalt, der die internen Ermittlungen durchgeführt hat zu gleich auch der Verteidiger des Be

schuld

igten wäre? Würden die internen Ermittlungsergebnisse dann immer noch beschlagnahmbar sein, weil zwischen interner Ermittlung und Mandatenverhältnis zu differenzieren wäre?

PK

P K

29.1.2025, 22:34:30

Das wird wohl kein Anwalt machen wegen § 43a Abs. 4 BRAO. Die gegenüber der WV AG ge

schuld

ete umfassende Aufklärung steht im Widerstreit mit den Aufgaben des Verteidigers, die Interessen des Be

schuld

igten wahrzunehmen. Man wird differenzieren müssen, in welcher Eigenschaft der Verteidiger die Unterlagen erlangt hat (vom Be

schuld

igten oder im Rahmen der Untersuchungen?). Das wird praktisch kaum möglich sein. Im Zweifel würde man wahrscheinlich kein Verwertungsverbot annehmen.

Max

Max

29.1.2025, 22:53:02

Vielen Dank für die praxisorientierte und aufschlussreiche Antwort. Wenn das Mandat von verschiedenen Anwälten in einer Großkanzlei bearbeitet werden würde, gäbe es dieses Problem in der Praxis wahrscheinlich nicht weil die Mandanten wohl nach Satz 3 zustimmen würden oder wie hat sich das bei VW gestaltet? Meines Wissens nach hat die Kanzlei Jones Day VW zu mindest in den USA strafrechtlich beraten, vertreten und die internen Ermittlungen durchgeführt. Würde dann die Beschlagnahmbarkeit beeinträchtigt werden?

PK

P K

1.2.2025, 20:52:56

Ohne den Fall genau zu kennen, denke ich, dass dies mit dem in den USA geltenden Unternehmensstrafrecht zu tun hat? Insoweit wurde ja auch die VW AG beraten und vertreten und nicht einzelne Organmitglieder. Wenn es so liegt, dass sowohl die VW AG als auch das Vorstandsmitglied "mauern" wollen und Ziel gewissermaßen die umfassende Leugnung von Manipulationen ist, dann gilt das Verbot nicht, weil kein Interessengegensatz vorliegt. Ein bloß potentieller und objektiver Interessenkonflikt - der Rechtsanwalt nimmt die Interessen des Mandanten wahr, was nicht zwingend "das Beste" für ihn sein muss - reicht nicht aus für das Tätigkeitsverbot. In so einer Situation (Interessengleichlauf) stellt sich die Abgrenzungsfrage in der Tat. Man wird schwerlich argumentieren können, es bestehe kein Vertrauensverhältnis und dann wird man wohl im Zweifel die Durchsuchung der Kanzlei in Toto für unzulässig halten müssen. Denn man kann gerade nicht trennen zwischen Unterlagen für die VW AG und Unterlagen für den Be

schuld

igten. Anders könnte es wiederum liegen, wenn tatsächlich ein Interessengegensatz besteht und die Mandanten nach S. 3 zustimmen. Denn in diesem Fall muss die Berufsausübungsgesellschaft "chinesische Mauern" errichten, d.h. sie müssen die Unterlagen für die verschiedenen Mandate trennen und auch jeden Informationsfluss verhindern. Insoweit lässt sich eine getrennte

Beschlagnahme

durchaus bewerkstelligen. Wiederum sehr problematisch wird es, wenn sich die Berufsausübungsgesellschaft nicht daran halten sollte und die Unterlagen vermischt werden.

Max

Max

4.2.2025, 00:56:18

Danke für die weitere Ausdifferenzierung :)


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