Landesrecht (im Aufbau)

Polizei- und Ordnungsrecht NRW

Grundlagen

Wiederholungsfall zum Zusammenspiel verschiedener Handlungsformen (1)

Wiederholungsfall zum Zusammenspiel verschiedener Handlungsformen (1)

12. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Entgegen einer rechtmäßigen Verordnung, die einen Leinenzwang für bestimmte Hunde vorschreibt, spaziert der H mit seinem Hund durch den Stadtpark. Die Polizei weist ihn auf die Verordnung und auf die Möglichkeit einer Platzverweisung bei weiteren Verstößen hin.

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Einordnung des Falls

Wiederholungsfall zum Zusammenspiel verschiedener Handlungsformen (1)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Hinweis auf die Verordnung und die Möglichkeit einer Platzverweisung lässt sich auf § 27 Abs. 1 OBG stützen.

Nein, das ist nicht der Fall!

§ 27 Abs. 1 OBG enthält die Ermächtigungsgrundlage zum Erlass von ordnungsbehördlichen Verordnungen zur Gefahrenabwehr. Die Hinweise der Polizei dienen zwar der Durchsetzung der in der Verordnung begründeten abstrakten Ge- und Verbote, dieses Handeln ist jedoch von § 29 Abs. 1 OBG sachlich nicht umfasst. Mangels speziellerer Regelung (Grundsatz der Subsidiarität) ist Ermächtigungsgrundlage für einen Hinweis durch die Polizei die Generalklausel des § 8 Abs. 1 PolG NRW. Der Erlass der rechtmäßigen Leinenzwang-Verordnung ist hingegen auf § 27 Abs. 1 OBG zu stützen.
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2. Der Hinweis der Polizei ist ein Verwaltungsakt i.S.d. § 35 S. 1 VwVfG NRW.

Nein, das trifft nicht zu!

Ob ein Verwaltungsakt vorliegt, richtet sich nach § 35 S. 1 VwVfG NRW. Nur wenn die dort genannten Merkmale erfüllt sind, ist die Verwaltungsaktqualität zu bejahen. In Abgrenzung zu Realakten ist hierbei maßgeblich, ob dem Handeln Regelungscharakter zukommt. Dies ist der Fall, wenn das Handeln dem objektiven Gehalt nach darauf gerichtet ist, eine verbindliche Rechtsfolge zu setzen. Der Hinweis der Polizei auf die geltende ordnungsbehördliche Verordnung setzt keine verbindliche Rechtsfolge. Auch der Hinweis darauf, dass bei weiteren Verstößen eine Platzverweisung ausgesprochen werden könnte, enthält kein verbindliches Verbot, sodass dem Handeln eine verbindliche Rechtsfolge insgesamt fehlt. Folglich hat das Handeln keinen Regelungscharakter. Es handelt sich um einen Realakt.

3. Indem H seinen Hund entgegen dem Leinenzwang der Rechtsverordnung nicht an der Leine hält, stört er die öffentliche Sicherheit.

Ja!

Unter dem polizeilichen Schutzgut der öffentlichen Sicherheit versteht man unter anderem die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung. Hierzu zählt die gesamte Rechtsordnung und damit neben Parlamentsgesetzen (Gesetze im formellen Sinne) auch Verordnungen oder Satzungen (Gesetze im materiellen Sinne). Die Leinenzwang-Verordnung ist somit Teil des Schutzguts der öffentlichen Sicherheit. Ein Verstoß gegen die Verordnung ist daher eine Störung der öffentlichen Sicherheit. Die hier unterstellte Rechtmäßigkeit der Verordnung ist sicher nicht der Normalfall in der Klausur. An dieser Stelle müsste die Rechtmäßigkeit der Verordnung daher inzident geprüft werden. Wäre die Verordnung rechtswidrig, so würde ein Verstoß gegen sie auch keine Störung der öffentlichen Sicherheit darstellen.

4. Da ein Realakt nie eine verbindliche Rechtsfolge setzt, ist er aus rechtlicher Sicht bedeutungslos.

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein Realakt ist bereits deshalb nicht rechtlich bedeutungslos, weil auch durch einen Realakt mit dem modernen Eingriffsbegriff in Grundrechte eingegriffen werden kann. So können etwa unverbindliche Hinweise in die Willensentschließungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG eingreifen. Daneben kann das Handeln durch Realakt sogar auch rechtlich geboten sein. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der einfachrechtlich in § 2 PolG NRW konkretisiert ist, fordert im Einzelfall die Maßnahme, die den Einzelnen am wenigsten beeinträchtigt. Mit guten Gründen könnte man im vorliegenden Fall etwa die Verhältnismäßigkeit einer sofort ausgesprochenen Platzverweisung verneinen. Andererseits kann eine solche Platzverweisung auch gerade aufgrund eines vorangegangenen Hinweises verhältnismäßig sein, denn die Anwendung eines milderen Mittels wurde dann bereits ohne Erfolg versucht, was z.B. eine Platzverweisung rechtfertigen kann. Wird die Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme untersucht, so ist immer auch zu prüfen, ob nicht mildere Mittel zur Zweckerreichung vorlagen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

THE

Thewolf

3.11.2024, 16:36:48

Die Polizeibeamten könnten nie § 27 OBG als Ermächtigungsgrundlage heranziehen, dieser gilt nur für die Orndungsbehörden.


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