Allgemeinverfügung

23. November 2024

4,8(3.351 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Nach intensiven gewalttätigen Auseinandersetzungen im Rahmen einer Versammlung beschließt der Einsatzleiter der Polizei, die Demonstration aufzulösen. Dies wird über die Lautsprecher eines Polizeiautos verkündet.

Diesen Fall lösen 85,7 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Allgemeinverfügung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Bei der Auflösung der Versammlung handelt es sich mangels Schriftlichkeit nicht um einen Verwaltungsakt i.S.d. § 35 S. 1 VwVfG NRW.

Nein, das trifft nicht zu!

Ein Verwaltungsakt i.S.d. § 35 S. 1 VwVfG NRW liegt vor, wenn die Tatbestandsmerkmale des § 35 S. 1 VwVfG erfüllt sind. Als problematisch ließe sich das Merkmal der Einzelfallregelung ansehen. Jedoch handelt es sich gemäß § 35 S. 2 Var. 1 VwVfG NRW bei einem an nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis gerichteten Verwaltungsakt um eine Allgemeinverfügung, die einen Unterfall des Verwaltungsaktes darstellt. Das Erfordernis der Schriftlichkeit gibt es nicht. Dies ergibt sich auch aus § 37 Abs. 2 S. 1 VwVfG NRW. Da auch die weiteren Merkmale des § 35 S. 1 VwVfG NRW erfüllt sind, ist die über die Lautsprecher verkündete Auflösung der Versammlung ein Verwaltungsakt in Form der Allgemeinverfügung i.S.d. § 35 S. 2 Var. 1 VwVfG NRW. Die Regelungswirkung einer Versammlungsauflösung liegt darin, dass der Versammlung der Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG entzogen wird (rechtsgestaltender Verwaltungsakt).
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Die Versammlungsauflösung ist bereits deshalb rechtswidrig, weil keine vorherige Anhörung gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG NRW stattgefunden hat.

Nein!

Gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG NRW ist eine Anhörung vor dem Erlass eines Verwaltungsaktes, der in die Rechte von Beteiligten eingreift durchzuführen. Hiervon macht § 28 Abs. 2 VwVfG NRW jedoch eine Ausnahme, wenn dies nach dem Umständen nicht geboten ist. Gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 4 Var. 1 VwVfG NRW ist dies insbesondere bei dem Erlass einer Allgemeinverfügung der Fall. Da die Versammlungsauflösung in Form der Allgemeinverfügung erlassen wurde, ist eine Anhörung gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 4 Var. 1 VwVfG NRW entbehrlich.

3. Die Versammlungsauflösung kann auf § 27 Abs. 1 OBG gestützt werden.

Nein, das ist nicht der Fall!

§ 27 Abs. 1 OBG enthält die Ermächtigung zum Erlass von Verordnungen zur Gefahrenabwehr durch die Ordnungsbehörden. Eine Verordnung ist als Rechtsnorm eine abstrakt-generelle Regelung. Die Allgemeinverfügung ist hingegen eine konkret-generelle Regelung. Sie bezieht sich auf einen konkreten Sachverhalt und erfasst gerade nicht eine unbestimmte Anzahl von Fällen. Da auch die Allgemeinverfügung einen nur bestimmbaren Personenkreis fordert, kann die Abgrenzung schwierig sein. Entscheidende Kriterien der Abgrenzung sind die zeitliche und räumliche Geltung einer Maßnahme. Entfaltet eine Maßnahme etwa nur für einen bestimmten Ort an einem bestimmten Tag Geltung, so liegt eine konkret-generelle Regelung in Form der Allgemeinverfügung vor. Die Versammlungsauflösung entfaltete lediglich für eine bestimmte Versammlung rechtliche Wirkung. Es handelt sich somit nicht um eine Verordnung i.S.d. § 27 Abs. 1 OBG. Achtung: Polizeigesetzliche oder ordnungsbehördliche Ermächtigungsgrundlagen sind im Anwendungsbereich des Versammlungsrechts gesperrt! Ermächtigungsgrundlage für die Versammlungsauflösung ist § 13 Abs. 2 VersG NRW.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

THE

Thewolf

3.11.2024, 16:33:47

Liebes Jurafuchs Team, Ihr sprecht in der ganzen Lektion regelmäßig von einem handelnden Polizisten, verweist dann aber auf Normen des OBG. Das ist ein schwerer Fehler. Nach § 67 PolG NRW finden lediglich die §§ 39-43 OBG NRW entsprechende Anwendung für Polizeibeamte. Insofern ist es auch quatsch, dass wie in der vorgehenden Lektion, ein Polizeibeamter sich die Frage stellt, ob er eine Verordnung erlassen darf. Das darf nur die Ordnungs

behörde

. Nicht die Polizei

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

4.11.2024, 15:09:16

Danke für Deinen berechtigten Hinweis @[Thewolf](137767). Du hast natürlich vollkommen Recht. Hintergrund ist, dass wir einen einheitlichen Kurs für alle Bundesländer entwickelt haben, der dann wiederum für die jeweiligen Landesrechts aller Bundesländer angepasst wird, ohne dass wir für jedes Bundesland einen eigenen Fall machen. Das ist aber sowohl technisch komplizierter als auch inhaltlich aufwändiger, als wir es in der ursprünglichen Konzeption gedacht hatten. Wir arbeiten gerade an einer grundlegenden Überarbeitung des Konzepts und der technischen Ausgestaltung, um deutlich besser als bisher die rechtlichen Besonderheiten der jeweiligen Bundesländer zu adressieren – dann sollen Probleme, wie Du sie beschrieben hast, nicht mehr auftauchen. Wir möchten Dich noch um ein bisschen Geduld bitten, bis wir das Problem in den Griff bekommen haben. Herzliche Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen