Abgewandelter Grundfall: Examenszeugnis

3. Dezember 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Referendar T ist durch die zweite juristische Staatsprüfung gefallen. Er hat nun genug von der juristischen Ausbildung und will lieber direkt als Anwalt in der Großkanzlei durchstarten. Daher erstellt er sich ein - als Fälschung nicht erkennbares - Examenszeugnis mit 14 Punkten.

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Einordnung des Falls

Abgewandelter Grundfall: Examenszeugnis

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das Examenszeugnis stellt ein taugliches Tatobjekt im Sinne des § 267 Abs. 1 StGB dar.

Ja, in der Tat!

Taugliches Tatobjekt im Sinne des § 267 Abs. 1 StGB ist die Urkunde. Dies ist jede verkörperte menschliche Gedankenerklärung (Perpetuierungsfunktion), die zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet und bestimmt ist (Beweisfunktion) und die ihren Aussteller erkennen lässt (Garantiefunktion). Das Examenszeugnis als Schriftstück stellt ein klassisches Beispiel der Urkunde dar: Es handelt sich um eine verkörperte Gedankenerklärung und bestätigt das erfolgreiche Ablegen der Staatsprüfung durch den jeweiligen Kandidaten und soll die Rechtskenntnisse widerspiegeln. Das Zeugnis lässt das jeweilige Justizprüfungsamt als Aussteller erkennen.
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2. Taugliche Tathandlung der Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 StGB) kann nur das Verfälschen einer echten Urkunde sein.

Nein!

Die Deliktsbezeichnung „Urkundenfälschung“ (§ 267 Abs. 1 StGB) umfasst drei Tatbestände: (1) Herstellen einer unechten Urkunde, (2) Verfälschen einer echten Urkunde und (3) Gebrauchen einer unechten oder verfälschten Urkunde.Geschütztes Rechtsgut ist die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs. § 267 StGB ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt.

3. Indem T das Examenszeugnis erstellte, hat er eine echte Urkunde verfälscht (§ 267 Abs. 1 Var. 2 StGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine Urkunde ist echt, wenn sie von demjenigen stammt, der sich aus ihr als Urheber der verkörperten Gedankenerklärung ergibt. Tatobjekt der Verfälschung kann nur eine vorhandene echte Urkunde sein. Unter Verfälschung ist jede nachträgliche Veränderung des gedanklichen Inhalts einer echten Urkunde zu verstehen. Durch die nachträgliche Veränderung muss der Anschein erweckt werden, dass die Urkunde von vornherein den ihr nachträglich beigelegten Inhalt gehabt und dass der Aussteller die urkundliche Erklärung von Anfang an in der jetzt vorliegenden Form abgegeben habe. Vorliegend hat T die zweite Staatsprüfung nicht erfolgreich abgelegt. Es fehlt daher schon an einer vorhandenen echten Urkunde.

4. T hat jedoch eine unechte Urkunde hergestellt (§ 267 Abs. 1 Var. 1 StGB).

Ja, in der Tat!

Eine Urkunde ist unecht, wenn sie nicht von demjenigen stammt, der aus ihr als Aussteller hervorgeht (hM., Geistigkeitstheorie). Maßgeblich für die Unechtheit ist die Identitätstäuschung. Eine solche liegt vor, wenn zum Zwecke der Herbeiführung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums über die Person des wirklichen Ausstellers getäuscht wird. Der rechtsgeschäftliche Verkehr wird auf einen Aussteller hingewiesen, der in Wirklichkeit nicht hinter der in der Urkunde verkörperten Erklärung steht. Unter Herstellen wird jede Verursachung der Existenz einer unechten Urkunde verstanden. Das von T erstellte Zeugnis erweckt für den Rechtsverkehr den Anschein, dass es vom Justizprüfungsamt ausgestellt worden ist.Wenn T sich unter Vorlage des gefälschten Zeugnisses bei einer Kanzlei als Jurist bewirbt, dann liegt zudem ein Gebrauch der unechten Urkunde vor. Zudem kommt eine Betrugsstrafbarkeit in Betracht. Problematisiert werden muss dabei dann der Vermögensschaden.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

TI

Tinki

8.11.2024, 20:51:50

bzgl. der Echtheit kommt es doch gerade nicht darauf an, dass T nicht sein 2. Examen abgelegt hat, sondern nur darauf ob Aussteller tatsächlich der ist, der aus der Urkunde als solcher hervorgeht, oder? Weil das nicht der Fall ist, ist die Urkunde nicht echt würde ich sagen.

LELEE

Leo Lee

10.11.2024, 05:13:43

Hallo Tinki, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! In der Tat ist 267 einer der schwierigeren Tatbestände, weshalb es völlig normal ist, Probleme damit zu haben. Deshalb: Nicht verzagen! Der Fälschung wird die Beweisfunktion u.a. deshalb attestiert, weil sie vor allem - wie du völlig zutreffend angemerkt hat - sich wie eine "echte" Urkunde geriert. Bei Vervielfältigungen und Abschriften kannst du dir es wie folgt merken: Wenn eine bestimmte Schrift ein bestimmtes Exemplar GERADE auch aus Urkunde dienen soll (etwa bei Durchschriften der Fall), dann liegt eine Beweisfunktion vor. Wenn hingegen der Inhaltlich lediglich reproduziert wird, ohne dass anderweitig erkennbar ist, dass dieser Abschrift gerade eine Beweisfunktion zukommen soll, dann liegt KEINE Beweisfunktion vor. Hier ist dann weiterhin eine Beglaubigung nötig. Hierzu kann ich die frei zugängliche und wirklich sehr schön und übersichtlich gestaltete Seite von Juracademy empfehlen (findest du hier: https://www.juracademy.de/strafrecht-bt3/urkundenfaelschung.html). Außerdem kann ich auch die Lektüre vom MüKo-StGB 4. Auflage, Erb § 267 Rn. 92 ff. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

TI

Tinki

8.11.2024, 20:59:57

Hier wird der Fälschung die Beweisfunktion attestiert. Ist das der Fall, weil sie als solche nicht erkennbar ist? Ist das der entscheidende Punkt? Ich habe Schwierigkeiten damit, zu bestimmen, wann zB Vervielfältigungen und Abschriften die Beweisfunktion haben oder nicht haben. Kommt es darauf an, dass der Rechtsverkehr das Stück als Beweis akzeptiert? In vorherigen Fällen wird auf den Willen des Ausstellers abgestellt... Ich bin verwirrt und würde mich über eine Antwort sehr freuen. LG

LELEE

Leo Lee

10.11.2024, 05:14:38

Hallo Tinki, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! Genauso ist es. Bei der Echtheit ist einzig entscheidend, ob derjenige, der als Aussteller hervorgeht (er muss dabei NICHT derjenige sein, der die Urkunde verfasst - sog. Geistigkeitstheorie), nicht mit dem tatsächlichen Aussteller übereinstimmt. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-StGB 4. Auflage, Erb § 267 Rn. 26 ff. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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