Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Stellvertretung

Offenkundigkeit: gewahrt bei offenem Geschäft für den, den es angeht

Offenkundigkeit: gewahrt bei offenem Geschäft für den, den es angeht

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Stylist S soll für Popikone P ein Kleid auf Rechnung für eine Gala kaufen und dabei ihre Identität geheim halten, damit keiner Ps Stil auf der Gala kopiert. S findet ein Kleid in Bs Boutique und sagt zu B: Ich kaufe dieses Kleid im Namen meiner Auftraggeberin. Ihre Identität ist vorerst geheim.

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Einordnung des Falls

Offenkundigkeit: gewahrt bei offenem Geschäft für den, den es angeht

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. S hat gegenüber B eine eigene Willenserklärung abgegeben.

Ja, in der Tat!

Eine wirksame Stellvertretung setzt nach § 164 Abs. 1 S. 1 BGB voraus, dass der Vertreter eine eigene Willenserklärung abgibt und nicht nur diejenige seines Geschäftsherrn überbringt. Dadurch wird die Stellvertretung von der Botenschaft abgegrenzt. Ob eine Person als Vertreter oder als Bote agiert, ist dabei aus Sicht eines objektiven Empfängers zu beurteilen. Hat die Person hiernach ein gewisses Maß an Entschließungsfreiheit und Handlungsspielraum, so ist sie Vertreter. S hat das Kleid in der Boutique der B erkennbar selbst ausgesucht. Er hatte somit ein gewisses Maß an Handlungsspielraum.
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2. S hat die Willenserklärung in fremdem Namen abgegeben. Das Offenkundigkeitsprinzip wurde eingehalten.

Ja!

Das Offenkundigkeitsprinzip ist auch dann gewahrt, wenn der Vertreter nur offenlegt, dass er für jemand anderen handelt, ohne dessen Identität zu verraten. Bei dieser Konstellation handelt es sich nach h.M. um eine zulässige Stellvertretung unter Offenhaltung der Person des Vertretenen, auch offenes Geschäft für den, den es angeht oder offene Stellvertretung genannt. Der Vertragspartner ist ausreichend geschützt, da er weiß, dass der Vertreter für einen Dritten handelt. Es bleibt ihm überlassen, ob er sich auf ein Geschäft mit einem Unbekannten einlässt. S hat die Willenserklärung in fremdem Namen und unter Geheimhaltung von Ps Identität abgegeben. Der Fall, dass dem Vertreter, nicht aber dem Vertragspartner die Identität des Vertretenen bekannt ist, stellt nur eine Variante des offenen Geschäfts für den, den es angeht dar. Ein offenes Geschäft für den, den es angeht, liegt ferner vor, wenn weder dem Vertreter noch dem Vertragspartner die Identität des Vertretenen bekannt ist, weil dieser noch nicht bestimmt wurde. Derjenige, der später als Geschäftsherr bestimmt wird, muss das Geschäft dann noch nach § 177 BGB genehmigen, damit es für und gegen ihn wirkt.

3. S handelte mit rechtsgeschäftlicher Vertretungsmacht.

Genau, so ist das!

Eine rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht (Vollmacht) kann ausdrücklich oder konkludent sowohl gegenüber dem Vertreter (Innenvollmacht) als auch gegenüber dem Geschäftspartner (Außenvollmacht) erklärt werden, gegenüber dem die Vertretung stattfinden soll (§ 167 Abs. 1 BGB). Insbesondere dann, wenn der Geschäftsherr einer Person Aufgaben zuweist, deren ordnungsgemäße Ausführung auch eine entsprechende Vertretungsmacht erfordert, liegt regelmäßig eine konkludent erteilte Innenvollmacht vor. S konnte Ps Auftrag nur mit entsprechender Vollmacht ausführen. Durch die Auftragserteilung hat P dem S eine konkludente Innenvollmacht erteilt.

4. Wenn B das in fremdem Namen abgegebene Kaufangebot des S akzeptiert, kommt ein Kaufvertrag zwischen B und P zustande.

Ja, in der Tat!

Eine Willenserklärung, die jemand innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht im Namen des Vertretenen abgibt, wirkt unmittelbar für und gegen den Vertretenen (§ 164 Abs. 1 S. 1 BGB). Dies gilt auch im Fall eines offenen Geschäfts für den, den es angeht. Der Vertrag kommt zwischen dem Vertragspartner und dem ihm unbekannten Vertretenen zustande. Zwischen P und B kommt ein Kaufvertrag zustande, wenn B das von S in fremdem Namen abgegebene Kaufangebot akzeptiert. Der Vertreter muss dem Vertragspartner die Identität des Vertretenen später offenlegen. Tut er dies nicht, so haftet er selbst aus § 179 BGB analog.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

SI

sinaaaa

12.1.2023, 19:38:16

Warum wird 179 gegebenenfalls analog angewendet und nicht direkt?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

13.1.2023, 12:00:16

Hallo sinaaaa, der § 179 BGB wird in dieser Konstellation nicht direkt angewandt, da S kein Vertreter ohne Vertretungsmacht ist. Vielmehr handelt er in fremden Namen und im Rahmen der rechtsgeschäftlich durch P erteilten Vertretungsmacht. Da S gegenüber B aber, wenn er die Person nicht noch offenlegt, wie ein Vertreter ohne Vertretungsmacht darsteht wird § 179 BGB analog angewandt. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

SN

Sniter

30.11.2023, 17:18:06

Liebes Team, das ist noch kein offenes Geschäft für den, den es angeht, oder?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

30.11.2023, 18:04:54

Hallo Sniter, der Fall bildet eine Konstellation des offenen Geschäfts, für den den es angeht ab. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Rechthaber

Rechthaber

13.4.2024, 19:26:59

Kann man nicht anstatt den Umweg über eine Analoge Anwendung des 179 BGB, zu einer Haftung des Vertreters bei späterer Nichtoffenlegung der perosn des Geschäftsherren über 241 II BGB kommen, wenn man argumentiert, dass durch das offene Geschäft für den , den es angeht der Vertreter durch die Geheimhaltung des eigentlichen Vertragspartners besonderes Vertrauen an das tatsächliche Gelingen des Vertrages in Anspruch nimmt, da durch das Geheimhalten der Identität des Geschäftsherren der Vertrag quasi faktisch nicht vollzogen werden kann und dadurch eine Haftung über die Vertreter cic gem § 311 III konstruiert. man könnte das offene Geschäft für den des es angeht unter die aufgezählte Variante des § 311 III 2 "in Anspruchnahme besonderen Vertrauens " Beim offenen

Geschäft für den den es angeht

hat der Vertreter ja noch vielmehr Einfluss auf die Durchführung des Vertrages als derjenige , der im Sinne des § 311 III S. 2 nur besonderes Vertrauen in Anspruch nimmt, weil die Voraussetzungen der Stellvertretung js quasi vorliegen und der Hintermann rechtlich gebunden wird. Der Vertreter hat es quasi in der Hand , ob der Geschäftspartner seine Recht gegenüber seinem Vertragspartner durchsetzen kann oder nicht.

LELEE

Leo Lee

14.4.2024, 09:19:35

Hallo Marcel A., vielen Dank für die sehr gute Frage! Zu deiner konkreten Frage finden sich leider auf Anhieb keine Fundstellen; allerdings ist dein Gedanke insofern ein sehr guter und berechtigter, als der Gesetzgeber selbst bei Entwurf des 311 III 1 allen voran die EIGENHAFTUNG der Vertreter (etwa als Verhandlungsgehilfen) im Auge hatte, während S. 2 sich vornehmlich mit dem Sachwalter beschäftigt. Und wenn – wie du auch anmerkst – i.R.d. Verhältnisses etwa die Rücksichtspflicht (was du sehr gut und vertretbar mMn begründet hast) verletzt wird, scheint auch die Bejahung des SEA sehr gut vertretbar! Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Emmerich § 311 Rn. 206 sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

nullumcrimen

nullumcrimen

7.6.2024, 19:01:24

Was genau ist damit gemeint, dass der Vertreter „später“ die Identität offenlegen muss? Warum macht er es nicht direkt, wenn er es im Nachhinein eh müsste?

PAUL1

paul1ne

17.7.2024, 15:21:12

In diesem Fall möchte der Stylist die Identität ja nicht vor der Gala offenlegen. Der Gesetzgeber möchte dem Verkäufer allerdings nicht prinzipiell das Recht absprechen, den Geschäftspartner zu kennen und schiebt die Offenbarungspflicht lediglich auf.

PAUL1

paul1ne

17.7.2024, 15:29:09

Also in diesem Fall ist es V natürlich einigermaßen egal. Aber z.B.: A verkauft einen Dalmatinerwelpen. C schickt B um den Welpen zu kaufen, weil C weiß, dass A ihm den Welpen nicht verkaufen würde, weil A bekannt ist, dass C mit den Welpen einen Mantel aus Dalmatinerfell herstellen möchte. Hier ist es natürlich in As Interesse, die Käuferidentität zu erfahren. Würde C andersherum nicht selbst zu A gehen wollen, weil C ihre Privatsphäre liebt und ihr hässliche Gerüchte über die Herstellung von Dalmatinerfellmänteln anhaften, wirkt sie ebenfalls schutzbedürftig. Die Offenbarung im Nachhinein ist der Kompromiss. Und der Verkäufer darf sich natürlich dagegen entscheiden, zu verkaufen, wenn ihm die Identität nicht bekannt ist!

AN

Antonia

19.8.2024, 18:27:35

Wenn die Identität nachträglich offengelegt wird, der Vertragspartner aber mit der Person des Vertretenen nicht einverstanden ist, gibt es dann für ihn noch eine rechtliche Möglichkeit sich vom Vertrag zu lösen? Z.B. es ist ein bekannter Tierschänder und ihm wurde ein Hund verkauft. Noch eine Frage, gibt es eine Frist innerhalb der die Identität nachträglich offengelegt werden muss?


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