§ 112 BGB: Grundfall

22. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die 16-jährige K ist gut im Programmieren. Sie hat Ideen für verschiedene Apps, die sie programmieren und über Appstores vertreiben will. Ihre Eltern E finden das klasse. Sie fragen sich aber wegen Ks Minderjährigkeit, ob es möglich ist, dass K diese Geschäftsidee selbst in die Tat umsetzt.

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Einordnung des Falls

§ 112 BGB: Grundfall

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Wenn K ihre entwickelten Apps in Appstores verkauft, stellt diese Tätigkeit ein Erwerbsgeschäft (§ 112 Abs. 1 S. 1 BGB) dar.

Genau, so ist das!

Ein Erwerbsgeschäft (§ 112 BGB) ist jede Tätigkeit, die dauerhaft, planmäßig und entgeltlich am Markt betrieben wird. K möchte ihre Apps dauerhaft, planmäßig und entgeltlich auf den Markt bringen beziehungsweise dort verkaufen. Das Erwerbsgeschäft im Sinne des § 112 Abs. 1 S. 1 BGB muss streng vom Gewerbebegriff nach § 1 Abs. 2 HGB unterschieden werden. Beide Begriffe haben zwar Gemeinsamkeiten, aber auch wichtige Unterschiede. So werden vom Erwerbsgeschäft nach § 112 Abs. 1 S. 1 BGB zum Beispiel auch freiberufliche Tätigkeiten erfasst, wohingegen diese nicht unter den Gewerbebegriff des § 1 Abs. 2 HGB fallen.
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2. Ob Kaufverträge der K im Appstore über die Apps wirksam sind, richtet sich nicht nach § 107 BGB, sondern allein nach § 112 BGB.

Ja, in der Tat!

Ermächtigt der gesetzliche Vertreter mit Genehmigung des Familiengerichts den Minderjährigen zum selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts, so ist der Minderjährige für solche Rechtsgeschäfte unbeschränkt geschäftsfähig, welche der Geschäftsbetrieb mit sich bringt (§ 112 Abs. 1 S. 1 BGB). Die Norm verdrängt als lex specialis die §§ 107-111 BGB. Geht es also um den selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts durch den Minderjährigen, so gilt stets § 112 BGB. Da die K selbständig ein Erwerbsgeschäft betreiben möchte, ist vorliegend allein § 112 BGB anwendbar.

3. Damit K ihre Apps selbständig im Appstore anbieten kann, benötigt sie die Ermächtigung der E und eine Genehmigung des Familiengerichts.

Ja!

Ermächtigt der gesetzliche Vertreter mit Genehmigung des Familiengerichts den Minderjährigen zum selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts, so ist der Minderjährige für solche Rechtsgeschäfte unbeschränkt geschäftsfähig, welche der Geschäftsbetrieb mit sich bringt (§ 112 Abs. 1 S. 1 BGB). Die Ermächtigung ist eine Willenserklärung, welche formlos, einseitig und empfangsbedürftig ist. Sie ist gegenüber dem Minderjährigen zu erklären und ist solange schwebend unwirksam, bis das Familiengericht die entsprechende Genehmigung erteilt. Sie kann von dem Vertreter nur mit einer erneuten Genehmigung des Familiengerichts zurückgenommen werden (§ 112 Abs. 2 BGB).

4. Liegen die Voraussetzungen nach § 112 Abs. 1 S. 1 BGB vor, so kann die K auch ohne weiteres eine GmbH gründen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Ermächtigt der gesetzliche Vertreter mit Genehmigung des Familiengerichts den Minderjährigen zum selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts, so ist der Minderjährige für solche Rechtsgeschäfte unbeschränkt geschäftsfähig, welche der Geschäftsbetrieb mit sich bringt. (§ 112 Abs. 1 S. 1 BGB) Ausgenommen sind Rechtsgeschäfte, zu denen der Vertreter der Genehmigung des Familiengerichts bedarf (§ 112 Abs. 1 S. 2 BGB). Ein Gesellschaftsvertrag, der zum Betrieb eines Erwerbsgeschäfts eingegangen wird, bedarf der Genehmigung des Familiengerichts (§§ 1643 Abs. 1, 1852 Nr. 2 BGB). Die Gründung einer GmbH bedarf eines Gesellschaftsvertrags im Sinne des § 1852 Nr. 2 BGB.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Macke

Macke

25.2.2023, 15:58:04

Hier scheinen die §§ aufgrund der Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom 04.05.2021 nicht mehr zu passen. Liebe Grüße

FL

Flohm

22.8.2023, 18:01:35

Ich verstehe den Unterschied zwischen §112 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 nicht. Beides mal braucht man doch die Genehmigung vom Familiengericht.

LELEE

Leo Lee

23.8.2023, 09:31:14

Hallo Flohm, in der Tat sind die beiden Sätze etwas verwirrend. S. 1 besagt, dass der ges. Vertreter ermächtigen darf; hierbei kann die Genehmigung des Familiengerichts entweder im VORAUS oder NACHHINEIN erfolgen (hier ist also des gesetzliche Vertreter etwas "freier", obwohl das im Wortlaut zugegeben nicht ganz klar wird). Beim S. 2 hingegen greift S. 1 nicht, d.h. der gesetzliche Vertreter darf erstmal gar nicht ermächtigen und braucht IMMER HIERFÜR (also im Voraus) die Genehmigung des Familiengerichts; hiervon sind solche Geschäfte umfasst, die sehr bedeutend und riskant sind (etwa Prokuraerteilung, vgl. §§ 1643, 1821 ff. BGB). Hierzu kann ich die Lektüre von MüKo-BGB, 9. Auflage, Spickhoff § 112 Rn. 9 ff. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo

HAGE

hagenhubl

3.5.2024, 11:37:55

Warum darf die Minderjährige, wenn sie ein Unternehmen gründen darf, keine GmbH oder AG gründen. Dies ist doch wegen der beschränkten Haftung weniger gefährlich als wenn sie als Einzelunternehmerin oder Personengesellschaft auftreten würde. Wie wäre es, die Minderjährige als Kommanditistin in eine KG eintreten würde.

Dogu

Dogu

17.5.2024, 10:14:12

Die Haftung ist nur grundsätzlich beschränkt. Sie kann durch zahlreiche Sonderfälle durchbrochen werden. Gerade bei einer Ein-Personen-GmbH kann das sehr schnell passieren, wenn man zum Nachteil der externen Gläubiger keine klare Trennung zwischen natürlicher und juristischer Person vornimmt. Außerdem begründet die GmbH bzw. die Stellung als GF, die regelmäßig bei der Gründung als Alleingesellschafter damit einhergeht, auch zahlreiche sonstige Pflichten (Buchführung ggü. Finanzamt etc.).


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