Zivilrecht
Sachenrecht
Negatorischer Abwehr- und Unterlassungsanspruch
Kann der Eigentümer die Beseitigung eines entschuldigten Überbaus verlangen (§ 912 BGB)?
Kann der Eigentümer die Beseitigung eines entschuldigten Überbaus verlangen (§ 912 BGB)?
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
E beauftragt die Architektin A, eine Garage auf ihrem Grundstück zu bauen. Die Bauarbeiten werden von Bauunternehmer U und seinen Gehilfen ausgeführt. Dabei orientieren sich die Gehilfen des U versehentlich nicht am tatsächlichen Verlauf der Grenzsteine, sondern am Zaun, den Nachbarin N nahe der Grenze errichtet hat.
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Einordnung des Falls
Kann der Eigentümer die Beseitigung eines entschuldigten Überbaus verlangen (§ 912 BGB)?
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. N könnte ein Anspruch auf Beseitigung des Überbaus zustehen (§ 1004 Abs. 1 S. 1 BGB).
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Eine Pflicht zur Duldung des Überbaus könnte sich aus § 912 Abs. 1 BGB ergeben.
Genau, so ist das!
3. Es liegt ein Überbau vor (vgl. § 912 Abs. 1 BGB).
Ja, in der Tat!
4. E trifft bezüglich des Überbaus grobe Fahrlässigkeit.
Nein!
5. N widerspricht dem Überbau unmittelbar nach der Fertigstellung der Garage. Stellt dies noch einen sofortigen Widerspruch i.S.d. § 912 Abs. 1 BGB dar?
Nein, das ist nicht der Fall!
6. Muss N die Eigentumsbeeinträchtigung durch die übergebaute Garage dulden (§ 912 Abs. 1 BGB)?
Ja, in der Tat!
7. N erlangt Eigentum an dem Gebäudeteil, dass auf ihr Grundstück ragt (§§ 946, 93, 94 Abs. 1 BGB).
Nein!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Daniel
13.2.2023, 22:06:06
Könnt ihr näher auf die analoge Anwendung von § 95 I 2 eingehen?
JonasRehder
4.9.2023, 11:33:13
Moin! Es stößt sich bei der Einordnung des Überbaus das Akzessionsprinzip (§ 94 I S. 1, § 93 -> Rechtseinheit zwischen Grundstück und den darüber befindlichen Bauteilen) mit dem der Maßgeblichkeit des
Gebäudezusammenhangs (§ 94 II). Dabei hat das Prinzip der Rechtseinheit grds. Vorrang, wobei es jedoch entscheidend darauf ankommt, ob der Überbau entschuldigt erfolgte oder nicht. Dies lässt sich damit erklären, dass der Überbau in einer entschuldigten Situation den beeinträchtigten Grundstückseigentümer nicht schutzlos stellt, da er sich dann auf § 912 II BGB auf die Entschädigung durch eine
Geldrente berufen kann. Ist das ganze unentschuldigt erfolgt, bedarf es der Konstellation des § 912 II BGB gerade nicht, da dann bereits keine Duldungspflicht besteht. Demnach wäre nach gesetzgeberischer Wirkung in diesem Fall die Wertung des § 94 I S. 1 BGB anzuwenden.
JonasRehder
4.9.2023, 11:34:17
Kurz zusammengefasst: gesetzgeberische Wertung der widerstreitenden Interessen begründet abhängig von der Einschlägigkeit des §
912 BGBdie Eigentumsstellung und die analoge Anwendbarkeit des § 95 I S. 2 BGB
JonasRehder
4.9.2023, 14:52:32
ich muss noch einmal korrigierend klarstellen: Prinzip der Rechtseinheit meint in dem Fall, dass grundsätzlich die Wirtschaftseinheit zusammenbetrachtet wird (ergo Vorrang für den Beeinträchtigenden)
Sophix58
2.4.2024, 08:11:03
Dementsprechend fände ich es eigentlich schon fast sinnvoller, die Frage, ob ein Eigentumserwerb stattfindet oder nicht, am Ende der Aufgabe zu stellen. Dann nimmt (hier) die erste Frage nämlich nicht schon das Ergebnis vorweg, ob es sich nun um einen entschuldigten oder einen unentschuldigten Überbau handelt :)
CR7
8.4.2024, 19:58:13
@[Sophix58](22547) Ja, das finde ich auch :-)
Sebastian Schmitt
5.12.2024, 14:21:36
Hallo @Daniel, @[JonasRehder](141758) hat Deine Frage schon gut beantwortet. Es handelt sich hier in der Tat um einen nach § 912 I BGB sog "entschuldigten Überbau", sodass die Garage nach der Rspr lediglich als
Scheinbestandteildes überbauten Grundstücks anzusehen ist. Gleichzeitig ist sie nach §§ 93, 94 II BGB wesentlicher Bestandteil desjenigen Grundstücks, von dem aus übergebaut wurde (OLG Celle, NJW-RR 2004, 16, 16 mwN). ME ist das ein recht spezieller Fall, sodass wir auf die recht umfangreichen Einzelheiten der Rspr iRd Aufgabe selbst für den Moment nicht näher eingehen wollen (diesen Thread hier lassen wir natürlich gerne zur Erläuterung für alle stehen). In einer Prüfungsaufgabe würde ich aber konkretere Hinweise in der Sachverhaltsdarstellung erwarten. Danke auch an @[Sophix58](22547) und @[CR7](145419). Ich sehe es auch so, dass die von Euch genannte Reihenfolge hier sinnvoller ist, wir haben das entsprechend angepasst. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team
Dogu
23.12.2024, 18:58:33
Leo Lee
24.12.2024, 20:15:37
Hallo Dogu, vielen Dank für diese interessante Frage! Man könnte hier in der Tat den 831 anprüfen und mMn auch durchkommen, da im SV keine Anhaltspunkte vorhanden sind, die eine fehlende Schuld des Bauunternehmers begründen könnte (bei 831 wird vermutet, dass der Geschäftsherr etwa nicht hinreichend beobachtet hat, außer er exkulpiert sich nach S. 2). Deshalb könne man 831 prüfen und mMn sogar bejahen, was wir hier allerdings aus Übersichtlichkeitsgründen (Thema Sachenrecht) weggelassen haben :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Leo Lee
25.12.2024, 07:16:01
Hallo Dogu, vielen Dank für diese interessante Frage! Man könnte hier in der Tat den 831 anprüfen und mMn auch durchkommen, da im SV keine Anhaltspunkte vorhanden sind, die eine fehlende Schuld des Bauunternehmers begründen könnte (bei 831 wird vermutet, dass der Geschäftsherr etwa nicht hinreichend beobachtet hat, außer er exkulpiert sich nach S. 2). Deshalb könne man 831 prüfen und mMn sogar bejahen, was wir hier allerdings aus Übersichtlichkeitsgründen (Thema Sachenrecht) weggelassen haben :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo