Zivilrecht
BGB Allgemeiner Teil
Anfechtung der Willenserklärung
Unrichtige Vorstellungen über den Inhalt der Urkunde
Unrichtige Vorstellungen über den Inhalt der Urkunde
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Arbeitnehmer A verhandelt mit Chef C über die Verlängerung seines wirksam befristeten Arbeitsvertrages (§ 14 TzBfG). Als C dem A ein Dokument vorlegt, unterzeichnet er es ungelesen in der Erwartung, es handle sich um die Verlängerung. Tatsächlich hat C dem A bewusst einen Aufhebungsvertrag vorgelegt.
Diesen Fall lösen 73,3 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Unrichtige Vorstellungen über den Inhalt der Urkunde
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. A und C haben das Arbeitsverhältnis wirksam beendet.
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. A kann seine Willenserklärung anfechten (§§ 119 Abs. 1 Alt. 1, 142 Abs. 1 BGB).
Ja, in der Tat!
3. A kann seine Willenserklärung anfechten, weil er von C arglistig getäuscht wurde (§§ 123 Abs. 1 Alt. 1, 142 Abs. 1 BGB).
Ja!
Fundstellen
Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!
Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Bienenschwarmverfolger
16.4.2021, 09:42:45
Grundsätzlich werden WE ja nach dem objektiven
Empfängerhorizont(
§§ 133, 157 BGB) ausgelegt. Der wirkliche Wille des Erklärenden (hier: Vertragsverlängerung) ist aber vorrangig, wenn der Empfänger ihn zutreffend verstanden hat - unabhängig davon, ob er sich diesen Willen zu eigen macht (Palandt § 133 Rn. 8). Dann ist hier die Einigung über die Vertragsaufhebung ungeachtet der Anfechtung nie zustande gekommen.
Lukas_Mengestu
16.4.2021, 16:05:01
Hallo Bienenschwarmverfolger, könntest Du das noch ein wenig ausführen? Im vorliegenden Sachverhalt hat C das Angebot zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages an
geboten. Sein wirklicher Wille war hier gerade nicht auf die Verlängerung ausgerichtet. Dies war nach dem objektiven
Empfängerhorizontersichtlich. A hätte hierfür bloß die Erklärung lesen müssen. Dass das ganze in die Verhandlungen bzgl. einer Verlängerung gekleidet war, begründet lediglich einen Anfechtungsgrund, ändert aber grundsätzlich nichts an der vorangegangenen Einigung. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Bienenschwarmverfolger
16.4.2021, 16:26:37
Hi Tr(u)mpeltweet, ich meine nicht das Angebot des C auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages (das sehe ich so wie du), sondern die Annahmeerklärung des A: Wenn A nach den Verhandlungen über eine Vertragsverlängerung frohen Mutes den arglistig untergeschobenen Aufhebungsvertrag unterzeichnet, weiß C genau, dass As „wirklicher Wille“ auf die Annahme des vermeintlichen Angebots auf Vertragsverlängerung gerichtet ist. Deshalb würde ich verneinen, dass A das Angebot auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages angenommen hat.
deliaco
17.1.2024, 18:50:00
Was Bienenschwamverfolger schreibt klingt irgendwo überzeugend. Die Auslegung ist ja ggü. der Anfechtung vorrangig. Und innerhalb der Auslegung gilt der Vorrang des erkannten Willens. C hat hier erkannt, dass As wirklicher Wille auf die Vertragsverlängerung gerichtet ist. Ich würde mich hier über eine Aufklärung freuen!
Peter im Pech
19.3.2024, 10:19:20
Mit der Argumentation würden aber die Anfechtungsregeln wegen einer Täuschung oder
Drohungstets ins Leere laufen. In den Konstellationen kennt der Täuschende/Drohende ja immer den wirklichen Willen des anderen Teils. Wenn es entsprechend keinen Vertrag gäbe, bräuchte man ja nie anzufechten.
benjaminmeister
26.11.2024, 13:17:15
@[Peter im Pech](213415) das trifft aber nur auf Fälle zu, bei denen jemandem eine falsche Erklärung untergeschoben wird. Der tatsächlich vorliegende wirkliche Wille in einem Zeitpunkt ist streng zu unterscheiden von dem hypothetischen Wille, denn der Erklärende hätte, wenn er alle Umstände kennen würde (seine Motivlage sozusagen). Bei der
Drohungskonstellation hat der Bedrohte tatsächlich den Willen, das Rechtsgeschäft vorzunehmen, zu dem er durch
Drohungbestimmt wird (auch wenn er es am liebsten natürlich nicht machen würde; vgl. dazu den Fall mit
vis compulsivaund dem Kaufvertrag bei Jurafuchs). Und auch bei der Täuschung hat der Getäuschte häufig im Moment der Abgabe exakt diesen Willen, den er erklärt. Beispiel: Täuschung über Unfallfreiheit eines Autos durch den Verkäufer. Im Moment der Annahme durch den Getäuschten ist der Wille tatsächlich auf Abschluss des Kaufvertrages gerichtet. Der Käufer weiß ganz genau was er äußerlich aber auch inhaltlich erklärt ("Annahme des Angebots über Verkauf des bestimmten Autos"). Es liegt nur ein
Eigenschaftsirrtumoder
arglistige Täuschungvor, beides ändert nichts daran, wie nach dem objektiven
Empfängerhorizontdie Annahme ausgelegt werden muss. Ich finde auch, dass der vorliegende Fall hier deshalb mehr Ähnlichkeiten zum Fall des missbräuchlich ausgefüllten Darlehensvertrages hat, bei dem zwar 15.000 € eingetragen wurden, aber der Eintragende sich nur auf 10.000 € berufen konnte, weil nur bis 10.000 € die Ermächtigung zur Ergänzung des Darlehens vorlag.
ricardal
7.4.2023, 09:33:18
Gut, die verschiedenen Fristen zu erwähnen.
deliaco
17.1.2024, 23:03:38
Warum liegt hier ein Inhalts- und kein Erklärungsirrtum vor?
Paulah
18.1.2024, 19:56:50
A hat sich nicht verschrieben o. ä., er wollte genau diesen Vertrag unterschreiben. Er hat sich aber darin geirrt, was er da unterschreibt - nämliche einen Aufhebungsvertrag statt einer Verlängerung.
Flohm
25.7.2024, 09:16:01
Stehen beide Anfechtungsgründe nebeneinander oder ist einer subsidiär ? In einer Klausur würde man beide prüfen und wenn die Frist noch nicht abgelaufen ist, wären auch beide nebeneinander erfolgreich ?
luc1502
26.9.2024, 13:20:29
Hi @[Flohm](210957) Grds. stehen die beiden Anfechtungsgründe hier nebeneinander; aber die Anfechtung wg. arglistiger Täuschung bietet so gesehen mehr Vorteile, denn zum einen greift hier die Jahresfrist des §124 I und zum anderen greift hier auch keine - auch wenn das in dem konkreten Fall irrelevant wäre - Schadensersatzpflicht nach
§122 BGB.
JCF
28.9.2024, 06:34:22
In dem Satz "Dies gilt selbst dann, wenn A die Urkunde nicht komplett gelesen hat, solange er sich von dessen Inhalt eine [...] Vorstellung gemacht hat [...]" müsste es "deren Inhalt" heißen. 😉
Linne_Karlotta_
7.10.2024, 11:36:30
Hallo JCF, vielen Dank für Deinen Hinweis! Wir haben den Fehler auf unsere Liste gesetzt und werden ihn im nächsten Korrekturgang beheben. Deine Aufmerksamkeit hilft uns, die Qualität unserer Inhalte hochzuhalten. Wir werden diesen Thread als erledigt markieren, sobald wir den Fehler behoben haben. Beste Grüße, Linne_Karlotta_, für das Jurafuchs-Team