Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Anfechtung der Willenserklärung

Unrichtige Vorstellungen über den Inhalt der Urkunde

Unrichtige Vorstellungen über den Inhalt der Urkunde

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Arbeitnehmer A verhandelt mit Chef C über die Verlängerung seines wirksam befristeten Arbeitsvertrages (§ 14 TzBfG). Als C dem A ein Dokument vorlegt, unterzeichnet er es ungelesen in der Erwartung, es handle sich um die Verlängerung. Tatsächlich hat C dem A bewusst einen Aufhebungsvertrag vorgelegt.

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Einordnung des Falls

Unrichtige Vorstellungen über den Inhalt der Urkunde

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A und C haben das Arbeitsverhältnis wirksam beendet.

Genau, so ist das!

Ein Aufhebungsvertrag ist ein Vertrag sui generis (§ 311 Abs. 1 BGB), der ein bestehendes Rechtsverhältnis beendet. Bei Arbeitsverträgen bedarf ein Aufhebungsvertrag wegen § 623 BGB der Schriftform (§ 126 BGB). Er kommt zustande durch zwei inhaltlich übereinstimmende Willenserklärungen: Angebot und Annahme (§§ 145, 147 BGB). A hat den Aufhebungsvertrag unterzeichnet. Er handelte mit Handlungs- und Erklärungswillen. Ein Geschäftswille, gerichtet auf das konkrete Geschäft (hier Aufhebungsvertrag), ist für den Tatbestand einer Willenserklärung nicht erforderlich.
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2. A kann seine Willenserklärung anfechten (§§ 119 Abs. 1 Alt. 1, 142 Abs. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

A kann wegen Inhaltsirrtums anfechten, wenn sein Wille und seine Erklärung auseinander fallen. A muss also, ohne dies zu bemerken, gegenüber C aus dessen Sicht etwas anderes zum Ausdruck gebracht haben, als er tatsächlich erklären wollte. Dies gilt selbst dann, wenn A die Urkunde nicht komplett gelesen hat, solange er sich von dessen Inhalt eine bestimmte, allerdings unrichtige Vorstellung gemacht hat (Fehlvorstellung) und dadurch bei Annahme einem Irrtum unterlag. A ging fälschlicherweise davon aus, einer Vertragsverlängerung zuzustimmen, wobei tatsächlich ein Aufhebungsvertrag vorlag. Er kann daher nach §§ 142 Abs. 1, 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB seine Willenserklärung anfechten.

3. A kann seine Willenserklärung anfechten, weil er von C arglistig getäuscht wurde (§§ 123 Abs. 1 Alt. 1, 142 Abs. 1 BGB).

Ja!

Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung bestimmt worden ist, kann die Erklärung anfechten (§ 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB). Da C dem A infolge von Vertragsverlängerungsverhandlungen anstelle eines solchen Vertrages, einen Aufhebungsvertrag vorlegte, hat er A kausal zu dessen Unterzeichnung bestimmt. A kann auch wegen arglistiger Täuschung anfechten. Das ist für ihn, insbesondere wegen der längeren Anfechtungsfrist von einem Jahr ab Kenntniserlangung, interessant (§ 124 BGB). Eine Irrtumsanfechtung ist nur unverzüglich möglich (§ 121 BGB).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

BIE

Bienenschwarmverfolger

16.4.2021, 09:42:45

Grundsätzlich werden WE ja nach dem

objektiven Empfängerhorizont

(§§ 133, 157 BGB) ausgelegt. Der wirkliche Wille des Erklärenden (hier: Vertragsverlängerung) ist aber vorrangig, wenn der Empfänger ihn zutreffend verstanden hat - unabhängig davon, ob er sich diesen Willen zu eigen macht (Palandt § 133 Rn. 8). Dann ist hier die Einigung über die Vertragsaufhebung ungeachtet der Anfechtung nie zustande gekommen.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

16.4.2021, 16:05:01

Hallo Bienenschwarmverfolger, könntest Du das noch ein wenig ausführen? Im vorliegenden Sachverhalt hat C das Angebot zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages angeboten. Sein wirklicher Wille war hier gerade nicht auf die Verlängerung ausgerichtet. Dies war nach dem

objektiven Empfängerhorizont

ersichtlich. A hätte hierfür bloß die Erklärung lesen müssen. Dass das ganze in die Verhandlungen bzgl. einer Verlängerung gekleidet war, begründet lediglich einen Anfechtungsgrund, ändert aber grundsätzlich nichts an der vorangegangenen Einigung. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

BIE

Bienenschwarmverfolger

16.4.2021, 16:26:37

Hi Tr(u)mpeltweet, ich meine nicht das Angebot des C auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages (das sehe ich so wie du), sondern die Annahmeerklärung des A: Wenn A nach den Verhandlungen über eine Vertragsverlängerung frohen Mutes den arglistig untergeschobenen Aufhebungsvertrag unterzeichnet, weiß C genau, dass As „wirklicher Wille“ auf die Annahme des vermeintlichen Angebots auf Vertragsverlängerung gerichtet ist. Deshalb würde ich verneinen, dass A das Angebot auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages angenommen hat.

DEL

deliaco

17.1.2024, 18:50:00

Was Bienenschwamverfolger schreibt klingt irgendwo überzeugend. Die Auslegung ist ja ggü. der Anfechtung vorrangig. Und innerhalb der Auslegung gilt der Vorrang des erkannten Willens. C hat hier erkannt, dass As wirklicher Wille auf die Vertragsverlängerung gerichtet ist. Ich würde mich hier über eine Aufklärung freuen!

Peter im Pech

Peter im Pech

19.3.2024, 10:19:20

Mit der Argumentation würden aber die Anfechtungsregeln wegen einer Täuschung oder

Drohung

stets ins Leere laufen. In den Konstellationen kennt der Täuschende/Drohende ja immer den wirklichen Willen des anderen Teils. Wenn es entsprechend keinen Vertrag gäbe, bräuchte man ja nie anzufechten.

RICA

ricardal

7.4.2023, 09:33:18

Gut, die verschiedenen Fristen zu erwähnen.

DEL

deliaco

17.1.2024, 23:03:38

Warum liegt hier ein Inhalts- und kein Erklärungsirrtum vor?

Paulah

Paulah

18.1.2024, 19:56:50

A hat sich nicht verschrieben o. ä., er wollte genau diesen Vertrag unterschreiben. Er hat sich aber darin geirrt, was er da unterschreibt - nämliche einen Aufhebungsvertrag statt einer Verlängerung.

FL

Flohm

25.7.2024, 09:16:01

Stehen beide Anfechtungsgründe nebeneinander oder ist einer subsidiär ? In einer Klausur würde man beide prüfen und wenn die Frist noch nicht abgelaufen ist, wären auch beide nebeneinander erfolgreich ?

LUC1502

luc1502

26.9.2024, 13:20:29

Hi @[Flohm](210957) Grds. stehen die beiden Anfechtungsgründe hier nebeneinander; aber die Anfechtung wg. arglistiger Täuschung bietet so gesehen mehr Vorteile, denn zum einen greift hier die Jahresfrist des §124 I und zum anderen greift hier auch keine - auch wenn das in dem konkreten Fall irrelevant wäre - Schadensersatzpflicht nach

§122 BGB

.

JCF

JCF

28.9.2024, 06:34:22

In dem Satz "Dies gilt selbst dann, wenn A die Urkunde nicht komplett gelesen hat, solange er sich von dessen Inhalt eine [...] Vorstellung gemacht hat [...]" müsste es "deren Inhalt" heißen. 😉

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

7.10.2024, 11:36:30

Hallo JCF, vielen Dank für Deinen Hinweis! Wir haben den Fehler auf unsere Liste gesetzt und werden ihn im nächsten Korrekturgang beheben. Deine Aufmerksamkeit hilft uns, die Qualität unserer Inhalte hochzuhalten. Wir werden diesen Thread als erledigt markieren, sobald wir den Fehler behoben haben. Beste Grüße, Linne_Karlotta_, für das Jurafuchs-Team


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