Abredewidrige Blankettausfüllung

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Unternehmer U kauft bei V (ebenfalls Unternehmer) eine neue Ledersofagarnitur für sein Büro für €10.000 (Kaufvertrag). Zur Finanzierung will U zudem ein Darlehen von V aufnehmen (€10.000). U unterzeichnet dazu ein Blankettformular. V trägt abredewidrig €15.000 als Darlehenssumme ein.

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Einordnung des Falls

Abredewidrige Blankettausfüllung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ohne schriftlich festgehaltene Darlehenssumme ist der Darlehensvertrag zwischen U und V formnichtig (§§ 492, 125 S. 1 BGB).

Nein!

Ein Verbraucherdarlehensvertrag (§ 491 BGB) muss schriftlich geschlossen werden (§§ 492 Abs. 1, 126 BGB). Sonst ist der Vertrag formnichtig (§ 494 Abs. 1 BGB). Eine Blankounterschrift des Darlehensnehmers unter dem vom Darlehensgeber noch auszufüllenden Vertrag genügt dem Formerfordernis nicht. Das folgt aus dem Zweck der Formvorschrift, den Verbraucher über den Inhalt des Vertrages und über die wesentlichen Darlehenskonditionen umfassend zu informieren und ihn vor Übereilung zu schützen. Allerdings sind U und V beide Unternehmer (§ 14 BGB). Es handelt sich also nicht um einen Verbraucherdarlehensvertrag. U und V können den Darlehensvertrag formfrei schließen.§ 494 Abs. 1 BGB stellt beim Verbraucherdarlehensvertrag gegenüber § 125 S. 1 BGB eine vorrangige Sonderregelung dar.
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2. U unterlag beim Unterzeichnen des Darlehensvertrags einem Erklärungsirrtum (§ 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB).

Genau, so ist das!

Der Erklärungsirrtum (§ 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB) bezeichnet das unbewusste Auseinanderfallen von objektiv Erklärtem und subjektiv Gewolltem dadurch, dass der Erklärende eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte. Subjektiv wollte U einen Darlehensvertrag zu €10.000 abschließen. Aus Sicht eines objektiven Dritten hat die abredewidrige Blankettausfüllung seitens V aber zu einem Angebot des U auf Abschluss eines Darlehensvertrags über €15.000 geführt. Damit unterlag U einem grundsätzlich zur Anfechtung berechtigenden Erklärungsirrtum.

3. Zwischen V und U ist ein Darlehensvertrag über €15.000 zustande gekommen, den U durch Anfechtung beseitigen kann.

Nein, das trifft nicht zu!

V und U haben sich hier zunächst mündlich über eine Darlehenssumme von €10.000 geeinigt. Dass V später das Formular abredewidrig ausfüllt, führt aber nicht dazu, dass er sich auf den Text der ausgefüllten Urkunde berufen kann. In seinem Vertrauen auf dessen Richtigkeit ist er nicht schutzwürdig. Ihm ist bewusst, dass U eine dahin gehende Willenserklärung nicht abgeben wollte. Insofern gilt nur das Gewollte (€10.000). Es ist daher nicht notwendig, dass U seine Willenserklärung anficht.

4. Die Erklärung des U ist dahingehend auszulegen, dass er einen Darlehensvertrag über €15.000 abschließen will.

Nein, das trifft nicht zu!

Maßgeblich ist der objektive Empfängerhorizont, §§ 133, 157 BGB. Es ist also entscheidend, wie der Empfänger nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte die Erklärung des U verstehen durfte. Heranzuziehen sind die Umstände, die der Adressat kannte oder kennen musste, insbesondere die Vertragsverhandlungen und der Geschäftszweck. Danach dürfte hier nur eine Erklärung des U über €10.000 vorliegen. Zwar geht U mit seiner Blankounterschrift ein gewisses Risiko ein, das er sich gegenüber Dritten auch grundsätzlich entgegen halten lassen müsste. V, der hier den Darlehensbetrag einsetzt, wusste jedoch aufgrund der vorherigen Gespräche, dass U nur einen Darlehensvertrag über €10.000 abschließen wollte. Ein objektiver Empfänger mit denselben Kenntnissen wie V musste deshalb ebenfalls davon ausgehen, dass U nur eine Erklärung über €10.000 abgibt. Aus didaktischen Gründen wollen wir dennoch weiter prüfen und gehen im Folgenden nach Auslegung aus dem objektiven Empfängerhorizont von zwei inhaltlich übereinstimmenden bzw. korrespondierenden Willenserklärungen in Höhe von jeweils €15.000 aus!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

QUIG

QuiGonTim

1.3.2022, 16:53:39

Der Fall hat eine gewisse Ähnlichkeit zum vorletzten Fall, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer arglistig täuschte. Könnte mir vielleicht nochmal jemand erklären warum dort ein Vertragsschluss nach dem objektiven

Empfängerhorizont

bejaht wurde, hier aber ein Vertragsschluss nach dem wirklichen Willen des U angenommen wird?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

7.3.2022, 13:31:57

Hallo QuiGonTim, der maßgebliche Unterschied ist, dass der Arbeitnehmer eine vollständige Willenserklärung abgegeben hat. An dieser muss er sich zunächst festhalten lassen. Will er sich von der Erklärung lösen, muss er anfechten. Hier dagegen wurde ein unvollständiges Blankett von U an V übergeben. Zu einer Willenserklärung wird diese erst durch die Eintragung des V. Die Haftung des U für die Willenserklärung beruht letztlich allein auf Rechtsscheinsgrundsätzen. Relevant wird dies insbesondere in 3-Personen-Konstellationen. Auf den Rechtsschein kann sich aber nur berufen, wer im Hinblick auf den Erklärungsinhalt redlich ist. Dies ist bei V nicht der Fall. Insofern bedarf es hier noch nicht einmal einer Anfechtung. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

SI

silasowicz

8.8.2023, 14:46:30

Wäre es sehr abwegig, den Fall über § 120 zu lösen? Bzw. wo würde man rausfliegen? Dem

Wortlaut

nach muss die zur Übermittlung verwendete Person ja nicht personenverschieden vom Anfechtungsgegner sein...

LELEE

Leo Lee

9.8.2023, 15:15:08

Hallo silasowicz, eine direkte Anwendung scheint hier eher abwegig, da § 120 BGB diejenigen Fälle betrifft, wo der Bote (also jemand der eine bereits AUSFORMULIERTE WE überbringt), die Willenserklärung eben einer anderen Person (die eben nicht deckungsgleich ist mit dem Boten) überbringt. Auch wenn der

Wortlaut

nicht explizit besagt, dass der Bote nicht der Anfechtungsgegner sein darf, so indiziert "übermittelt", dass dies eben doch der Grundsatz ist. Abgesehen davon jedoch ist § 120 BGB deshalb nicht nötig, weil wir hier überhaupt keine Anfechtung brauchen (worauf der § 120 BGB uns jedoch a.E. verweist), denn die Anfechtung soll eben nur dann greifen, wenn der Erklärende einen Fehler macht und der andere Teil hierauf vertrauen darf (siehe insoweit etwa den §

122 BGB

). Wenn der andere Teil aber weiß, dass - wie hier - der Vertrag i.H.v. 10.000 Euro zustande kommen sollte, dann sollten wir ihn nicht "schützen" mit den Rechtsfolgen der Anfechtung (etwa Schadensersatz):). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo

Niklas3461

Niklas3461

7.6.2024, 07:07:59

Ich hatte das so im Kopf, wenn das subjektiv gewollte und das objektiv erklärte aufgrund einer Fehlvorstellung auseinander fallen, dass man dann von einem Inhaltsirrtum ausgehen kann.

Paulah

Paulah

9.6.2024, 21:27:49

Die Antwort ist falsch - siehe in dem anderen Thread. Ich habe es gerade mal unter einem andern Tagg gemeldet.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

10.6.2024, 11:20:17

Hallo ihr beiden, Inhalts- und Erklärungsirrtum werden letztlich nach der Art des Irrtums differenziert. Beim Inhaltsirrtum irrt der Erklärende über Bedeutung und Tragweite von dem, was er erklärt, wohingegen beim Erklärungsirrtum bereits nach der äußeren Form die Fehlvorstellung zutage tritt (Klassiker: Vertippen, Verschreiben...). Die Rechtsprechung unterscheidet in den Blankettfällen in der Regel nicht zwischen den beiden Varianten, da sich die Unterscheidung letztlich auch auf das Ergebnis nicht auswirkt. Sowohl ein Inhalts- als auch ein Erklärungsirrtum berechtigen ja grundsätzlich zur Anfechtung. In der Literatur wird dieser Fall überwiegend als Erklärungsirrtum eingeordnet (so z.B. Ellenberger, in: Grüneberg, BGB AT, § 119 RdNr. 10; Brox/Walker, BGB AT, § 18 RdNr. 16). Es geht hier nicht nur um die geleistete Unterschrift, sondern um den Gesamttatbestand der Willenserklärung. Wenn U sich das ausgefüllte Formular anschaut, so würde ihm auf den ersten Blick (äußere Form) auffallen, dass die eingetragenen 15.000€ eben nicht mit den von ihm subjektiv gewollten 10.000€ übereinstimmen. Insofern liegt ein Erklärungsirrtum vor. Der Empfänger, der das unterschriebene Formular selbst abredewidrig ausfüllt, ist auch nicht schutzwürdig. Es gilt im 2-Personen-Verhältnis also das Gewollte (hier: 10.000€). Im 3-Personen-Verhältnis (also ein Dritter zwischen Erklärendem und Erklärungsempfänger füllt das Formular aus) kommt es darauf an, ob der Erklärungsempfänger auf die Erklärung vertrauen durfte. Ist er gutgläubig, so kann sich der Erklärende nicht auf die abredewidrig ausgefüllte Erklärung berufen, da er dieses Risiko durch seine Unterschrift selbst gesetzt hat (mehr dazu im nächsten Fall). Sein Anfechtungsrecht ist dann ausgeschlossen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Niklas3461

Niklas3461

11.6.2024, 09:23:58

Danke für die ausführliche Erklärung

BENR

BenRie

14.8.2024, 15:48:08

Damit unterlag der U jedoch nicht "beim Unterschreiben" einem Erklärungsirrtum. Dieser entsteht hier erst später durch das abredewidrige Ausfüllen des Blanketts und dessen Weiterleitung. Erst dadurch wurde der äußere Tatbestand der Willenserklärung geschaffen, der dann entsprechend der Auslegung vom Willen des U abweicht.

AN

Antonia

4.9.2024, 18:20:47

Ich habe gelesen, dass das Ausfüllen des Blanketts nur ein

Realakt

und keine Willenserklärung ist mit der Folge, dass eine Zurechnung über eine Stellvertretung nicht möglich ist. Kann mir jemand bitte erklären, warum das Ausfüllen ein

Realakt

darstellt? Wenn man von der Definition einer Willenserklärung ausgeht, könnte man dann nicht in dem Ausfüllen eine Willenserklärung sehen (Äußerung eines auf Herbeiführung einer Rechtsfolge (=Entstehung Darlehensvertrag über 15000€) gerichteten Willens)?


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