Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Anfechtung der Willenserklärung

Inhaltsirrtum bei vorstellungsloser Unterzeichnung einer Urkunde?

Inhaltsirrtum bei vorstellungsloser Unterzeichnung einer Urkunde?

21. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Rechtsanwältin R unterschreibt immer alles ungelesen, was ihr der Angestellte A vorlegt, ohne sich darüber Gedanken zu machen. Sie unterzeichnet deshalb auch – ungelesen – einen Kaufvertrag mit S für einen Samsung Fernseher.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

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Einordnung des Falls

Inhaltsirrtum bei vorstellungsloser Unterzeichnung einer Urkunde?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Zwischen R und S ist ein Kaufvertrag über den Fernseher zustande gekommen.

Genau, so ist das!

Ein Vertrag kommt zustande durch zwei sich inhaltlich übereinstimmende Willenserklärungen, Angebot und Annahme (§§ 145, 147 BGB). Dass R dem Kaufvertrag zustimmen wollte, ergibt die Auslegung anhand des objektiven Empfängerhorizonts (§ 157 BGB). Für einen objektiven Dritten in der Position des S war nicht ersichtlich, dass R die Urkunde nicht gelesen hat. Dass sie subjektiv nur potenzielles Erklärungsbewusstsein und keinen Geschäftswillen besaß, ist für das Vorliegen einer wirksamen Willenserklärung unschädlich.
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2. R kann ihre Willenserklärung anfechten (§§ 119 Abs. 1 Alt. 1, 142 Abs. 1 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

R könnte nur anfechten, wenn sie beim Unterzeichnen des Kaufvertrages einem Irrtum unterlag. Sie kann wegen Inhaltsirrtums anfechten, wenn Wille und Erklärung auseinander fallen. Allerdings hat sie sich beim Unterschreiben der Urkunde überhaupt keine Vorstellungen über ihren Inhalt gemacht. Es gibt keine Diskrepanz zwischen dem Gewollten und dem tatsächlich Erklärten. R kann nicht anfechten. Dasselbe gilt in dem Fall, in dem jemand aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse die Urkunde nicht versteht und dennoch unterschreibt. Auch hier liegt keine unbewusste Unkenntnis über den Inhalt und damit auch kein Irrtum vor. Die saubere Einordnung, ob tatsächlich ein (zur Anfechtung berechtigender) Irrtum vorliegt, ist ein Klausurklassiker. Du solltest hier nicht zu schnell einen Irrtum annehmen und dir den Kommentar zur Hilfe nehmen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

OMA

Otto Mayer

18.1.2020, 15:14:11

Im Sachverhalt ist nicht davon die Rede, dass R dachte, es ginge um eine Vertragsverlängerung, dass steht aber in der Antwort zur ersten Aussage. Wäre es so, würde sie auch einem Inhaltsirrtum unterliegen und anfechten können.

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

22.1.2020, 10:59:21

Otto, danke für den berechtigten Hinweis. Haben wir korrigiert.

IUS

iustus

5.11.2020, 00:17:12

Sagt mal, ist es nicht so, dass die R nichtmal ein Erklärungsbewusstsein hatte?

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

5.11.2020, 16:12:42

Hallo iustus, danke für deine Frage. Laut Sachverhalt unterschreibt die R immer alles, was ihr Angestellter A ihr vorlegt. Da R Rechtsanwältin ist, wird A ihr regelmäßig rechtlich erhebliche Erklärungen zur Unterschrift vorlegen. Demnach hat R ein potentielles Erklärungsbewusstsein. Ginge es hier um den Ehepartner der R, der ihr immer Geburtstagskarten vorlegt zum unterschreiben, aber nie irgendwelche Verträge oder sonstige rechtserhebliche Erklärungen, könnte man hingegen wie du argumentieren, dass gar kein Erklärungsbewusstsein vorliegt. Das ist in unserem Fall aber, wie dargestellt, anders.

IUS

iustus

6.11.2020, 10:03:31

ok, danke :)

ANY

ANY

1.3.2021, 20:52:36

Wieso hat R „nur“ potentielles Erklärungsbewusstsein? Sie geht doch selbst davon aus, etwas rechtlich erhebliches zu unterschreiben.

Tigerwitsch

Tigerwitsch

18.2.2021, 18:29:08

Was kann R denn machen, um sich vom Vertrag zu lösen?

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

18.2.2021, 21:15:10

Hallo Tigerwitsch, bei diesem Sachverhalt grds. nur mit Zustimmung des S. Möglicherweise kann sie aber Schadensersatz von A verlangen, wenn dieser seine Pflichten aus dem Arbeitsvertrag verletzt hat.

FRA

Franziska

9.4.2021, 16:17:04

Könnte sie nicht wegen arglistiger Täuschung anfechten?

FABY

Faby

3.4.2022, 06:45:53

Dann müsste sie ja getäuscht worden sein. Wenn sie aber alles ungelesen unterschreibt, weicht ihre Vorstellung ja nicht von der Realität ab

HGWrepresent

HGWrepresent

9.1.2024, 22:17:50

Man könnte konstruieren, dass die Dinge, die A der R zur Unterzeichnung vorlegt, einen Kanzleibezug haben und sie hinsichtlich dieser Dinge

Geschäftswille

n hat. Folglich würde sie sich sehr wohl irren, da sie davon ausgeht, ein Geschäft mit Kanzleibezug abzuschließen, dies aber nicht der Fall ist. Klingt plausibel, ist aber zu weit vom SV entfernt

Juraganter

Juraganter

22.7.2024, 12:31:00

Also ich würde mal sagen, dass hier die

arglistige Täuschung

wegen § 123 II 1 BGB wegfiele, da sie, wenn überhaupt, nur durch einen Dritten (dem Angestellten) und nicht dem Vertragspartner S getäuscht wurde. S wusste darüberhinaus wohl auch nichts von der Täuschung und es gab offenkundig keinerlei Anhaltspunkt für S an das Angebot zu zweifeln.

Fawen

Fawen

11.4.2021, 18:36:49

Soweit R potentielles Erklärungsbewusstsein hat käme allerdings nach der hM eine Anfechtung analog § 119 I Alt.2 in Betracht, wenn R hätte erkennen können eine Willenserklärung abzugeben und der Erklärungsempfänger keine Kenntnis von dem fehlenden Erklärungsbewusstsein hatte oder nicht?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

16.4.2021, 16:17:15

Hallo Fawen, in Fällen in denen jemand eine -potentiell rechtsgeschäftliche- Erklärung blind unterschreibt, kann er sich gerade nicht auf die Anfechtung berufen, sondern muss sich an seiner Erklärung festhalten lassen (vgl. BGH NJW 1995, 190). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

S.

s.t.

3.9.2021, 17:11:08

Wieso liegt hier ein

Geschäftswille

vor ? Der würde doch fehlen und eine Anfechtung wäre möglich ?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

15.11.2021, 20:33:55

Hallo s.t., hier sind zwei Konstellationen zu differenzieren: a) Der Unterschreibende macht sich gar keine Gedanken über den Inhalt der Urkunden und unterschreibt b) Der Erklärende macht sich eine bestimmte, wenngleich unrichtige Vorstellung über den Inhalt und unterschreibt ohne die Erklärung zu lesen In Fall a) lässt der BGH eine Irrtumsanfechtung nicht zu, denn derjenige der sich keine Gedanken macht, irrt nicht (vgl. BGH NJW 1995, 190). Durch die Unterschrift macht sich der Erklärende den Inhalt zu eigen und hat insoweit

Geschäftswille

n (vgl. Hau/Poseck, in: BeckOK, BGB, 1.8.2021, § 119 RdNr. 24). Anders dagegen in Fall b), wo sich der Erklärende Gedanken macht, aber dennoch ungelesen die Erklärung unterschreibt. Hier lässt der BGH die Anfechtung der ungelesenen Erklärung zu, da tatsächlich eine andere Rechtsfolge bezweckt war und es am

Geschäftswille

n fehlt (vgl. BGH NJW 1995, 190). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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