Zivilrecht
BGB Allgemeiner Teil
Anfechtung der Willenserklärung
Inhaltsirrtum bei vorstellungsloser Unterzeichnung einer Urkunde?
Inhaltsirrtum bei vorstellungsloser Unterzeichnung einer Urkunde?
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Rechtsanwältin R unterschreibt immer alles ungelesen, was ihr der Angestellte A vorlegt, ohne sich darüber Gedanken zu machen. Sie unterzeichnet deshalb auch – ungelesen – einen Kaufvertrag mit S für einen Samsung Fernseher.
Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Inhaltsirrtum bei vorstellungsloser Unterzeichnung einer Urkunde?
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Zwischen R und S ist ein Kaufvertrag über den Fernseher zustande gekommen.
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. R kann ihre Willenserklärung anfechten (§§ 119 Abs. 1 Alt. 1, 142 Abs. 1 BGB).
Nein, das trifft nicht zu!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Otto Mayer
18.1.2020, 15:14:11
Im Sachverhalt ist nicht davon die Rede, dass R dachte, es ginge um eine Vertragsverlängerung, dass steht aber in der Antwort zur ersten Aussage. Wäre es so, würde sie auch einem Inhaltsirrtum unterliegen und anfechten können.
Christian Leupold-Wendling
22.1.2020, 10:59:21
Otto, danke für den berechtigten Hinweis. Haben wir korrigiert.
iustus
5.11.2020, 00:17:12
Sagt mal, ist es nicht so, dass die R nichtmal ein Erklärungsbewusstsein hatte?
Eigentum verpflichtet 🏔️
5.11.2020, 16:12:42
Hallo iustus, danke für deine Frage. Laut Sachverhalt unterschreibt die R immer alles, was ihr Angestellter A ihr vorlegt. Da R Rechtsanwältin ist, wird A ihr regelmäßig rechtlich erhebliche Erklärungen zur Unterschrift vorlegen. Demnach hat R ein potentielles Erklärungsbewusstsein. Ginge es hier um den Ehepartner der R, der ihr immer Geburtstagskarten vorlegt zum unterschreiben, aber nie irgendwelche Verträge oder sonstige rechtserhebliche Erklärungen, könnte man hingegen wie du argumentieren, dass gar kein Erklärungsbewusstsein vorliegt. Das ist in unserem Fall aber, wie dargestellt, anders.
iustus
6.11.2020, 10:03:31
ok, danke :)
ANY
1.3.2021, 20:52:36
Wieso hat R „nur“ potentielles Erklärungsbewusstsein? Sie geht doch selbst davon aus, etwas rechtlich erhebliches zu unterschreiben.
Tigerwitsch
18.2.2021, 18:29:08
Was kann R denn machen, um sich vom Vertrag zu lösen?
Eigentum verpflichtet 🏔️
18.2.2021, 21:15:10
Hallo Tigerwitsch, bei diesem Sachverhalt grds. nur mit Zustimmung des S. Möglicherweise kann sie aber Schadensersatz von A verlangen, wenn dieser seine Pflichten aus dem Arbeitsvertrag verletzt hat.
Franziska
9.4.2021, 16:17:04
Könnte sie nicht wegen arglistiger Täuschung anfechten?
Faby
3.4.2022, 06:45:53
Dann müsste sie ja getäuscht worden sein. Wenn sie aber alles ungelesen unterschreibt, weicht ihre Vorstellung ja nicht von der Realität ab
HGWrepresent
9.1.2024, 22:17:50
Man könnte konstruieren, dass die Dinge, die A der R zur Unterzeichnung vorlegt, einen Kanzleibezug haben und sie hinsichtlich dieser Dinge
Geschäftswillen hat. Folglich würde sie sich sehr wohl irren, da sie davon ausgeht, ein Geschäft mit Kanzleibezug abzuschließen, dies aber nicht der Fall ist. Klingt plausibel, ist aber zu weit vom SV entfernt
Juraganter
22.7.2024, 12:31:00
Also ich würde mal sagen, dass hier die
arglistige Täuschungwegen § 123 II 1 BGB wegfiele, da sie, wenn überhaupt, nur durch einen Dritten (dem Angestellten) und nicht dem Vertragspartner S getäuscht wurde. S wusste darüberhinaus wohl auch nichts von der Täuschung und es gab offenkundig keinerlei Anhaltspunkt für S an das Angebot zu zweifeln.
Fawen
11.4.2021, 18:36:49
Soweit R potentielles Erklärungsbewusstsein hat käme allerdings nach der hM eine Anfechtung analog § 119 I Alt.2 in Betracht, wenn R hätte erkennen können eine Willenserklärung abzugeben und der Erklärungsempfänger keine Kenntnis von dem fehlenden Erklärungsbewusstsein hatte oder nicht?
Lukas_Mengestu
16.4.2021, 16:17:15
Hallo Fawen, in Fällen in denen jemand eine -potentiell rechtsgeschäftliche- Erklärung blind unterschreibt, kann er sich gerade nicht auf die Anfechtung berufen, sondern muss sich an seiner Erklärung festhalten lassen (vgl. BGH NJW 1995, 190). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
s.t.
3.9.2021, 17:11:08
Lukas_Mengestu
15.11.2021, 20:33:55
Hallo s.t., hier sind zwei Konstellationen zu differenzieren: a) Der Unterschreibende macht sich gar keine Gedanken über den Inhalt der Urkunden und unterschreibt b) Der Erklärende macht sich eine bestimmte, wenngleich unrichtige Vorstellung über den Inhalt und unterschreibt ohne die Erklärung zu lesen In Fall a) lässt der BGH eine Irrtumsanfechtung nicht zu, denn derjenige der sich keine Gedanken macht, irrt nicht (vgl. BGH NJW 1995, 190). Durch die Unterschrift macht sich der Erklärende den Inhalt zu eigen und hat insoweit
Geschäftswillen (vgl. Hau/Poseck, in: BeckOK, BGB, 1.8.2021, § 119 RdNr. 24). Anders dagegen in Fall b), wo sich der Erklärende Gedanken macht, aber dennoch ungelesen die Erklärung unterschreibt. Hier lässt der BGH die Anfechtung der ungelesenen Erklärung zu, da tatsächlich eine andere Rechtsfolge bezweckt war und es am
Geschäftswillen fehlt (vgl. BGH NJW 1995, 190). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team