Strafrecht

BT 5: Verkehrsdelikte

Trunkenheit im Verkehr, § 316 StGB

§ 316 StGB: Fahrlässigkeit - keine Zäsur - Vorsatz

§ 316 StGB: Fahrlässigkeit - keine Zäsur - Vorsatz

19. April 2025

10 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T weist eine BAK von 1,1‰ auf, hält sich aber sorgfaltswidrig für fahrtüchtig. Daher unternimmt er mit seinem Pkw eine „Spritztour“. Als er bei einer Pinkelpause ins Schwanken gerät, wird ihm seine Fahruntüchtigkeit bewusst. Dennoch setzt er die Fahrt fort.

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Einordnung des Falls

§ 316 StGB: Fahrlässigkeit - keine Zäsur - Vorsatz

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T hat den objektiven Tatbestand der Trunkenheit im Verkehr (§ 316 Abs. 1 StGB) verwirklicht.

Ja!

§ 316 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass der Täter ein Fahrzeug im öffentlichen Verkehr trotz alkohol- oder sonst rauschmittelbedingter Fahruntüchtigkeit führt. T hat seinen Pkw unter Beherrschung der dafür erforderlichen technischen Funktionen bewegt, mithin ein Fahrzeug geführt. Dies geschah im öffentlichen Verkehrsraum und damit im Straßenverkehr. Ferner war T mit einer BAK von 1,1‰ im Fahrtzeitpunkt nach gesicherten verkehrsmedizinischen Erkenntnissen unwiderlegbar nicht in der Lage, den Pkw sicher zu führen. T war damit absolut fahruntüchtig.
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2. T hat die Trunkenheit im Verkehr vorsätzlich verwirklicht (§ 316 Abs. 1 StGB).

Genau, so ist das!

Die subjektive Tatseite des § 316 Abs. 1 StGB setzt wenigstens dolus eventualis bezüglich aller Merkmale des objektiven Tatbestandes voraus. Zum einen muss der Täter (bedingten) Vorsatz bezüglich des Fahrzeugführens im Verkehr haben. Zum anderen ist Voraussetzung, dass der Täter weiß oder zumindest damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, fahruntüchtig zu sein. T hat bewusst und gewollt ein Fahrzeug im Verkehr geführt. Bei Fahrtantritt hielt sich T sorgfaltswidrig für fahrtüchtig, so dass ihm zunächst nur Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann. Allerdings hat er die Fahrt fortgesetzt, obwohl ihm bei einer Pinkelpause seine Fahruntüchtigkeit bewusst geworden ist. Mithin ist auch der subjektiven Tatseite des § 316 Abs. 1 StGB genügt.

3. Durch die Pinkelpause wird die „Trunkenheitsfahrt“ in einen fahrlässigen (§ 316 Abs. 2 StGB) und einen vorsätzlichen (§ 316 Abs. 1 StGB) Teil aufgespalten (§ 53 StGB).

Nein, das trifft nicht zu!

§ 316 StGB ist eine Dauerstraftat, die mit dem Fahrtantritt beginnt und erst endet, wenn der Täter mit dem Weiterfahren endgültig aufhört oder die Fahruntüchtigkeit während der Fahrt entfallen ist. Weder ein Motivwechsel während der Fahrt noch kurzfristige Unterbrechungen (z.B. durch Tanken) beenden die Fahrt. Die tatbestandliche Bewertungseinheit wird erst unterbrochen und eine eigene Strafbarkeit durch die erneute Begehung des Dauerdelikts begründet, wenn eine Zäsur des Gesamtgeschehens eintritt. Dies ist der Fall, wenn es zu einer Unterbrechung kommt und die anschließende Weiterfahrt auf einem neuen Entschluss beruht. So entfaltet z.B. ein Unfall mit anschließender Unfallflucht Zäsurwirkung. Dies ist bei einer kurzen Pinkelpause nicht der Fall und zwar auch dann nicht, wenn dem Täter - wie hier - hierbei seine Fahruntüchtigkeit bewusst wird.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Fahrradfischlein

Fahrradfischlein

13.11.2020, 10:16:33

Das heißt dann also es bleibt im Ergebnis bei einer fahrlässigen Begehung? Letztlich kann man doch nicht wenn die Pinkelpause keine

Zäsurwirkung

hat den danach entstandenen

Vorsatz

auf die ganze Tat erstrecken. Das ginge doch zu Lasten des Täters.

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

13.11.2020, 14:55:56

Hallo Fahrradfischlein, nein es liegt vorsätzliche Begehungsweise vor. Zunächst hat T den Tatbestand des § 316 Abs. 2, 1 StGB (fahrlässig) begangen. Da die Pinkelpause aber nur eine Pause war und danach kein neuer Entschluss entstand loszufahren, sondern der alte fortgesetzt wurde, liegt keine Zäsur vor. Allerdings hatte er in diesem Moment

Vorsatz

. Dieser Motivwechsel führt dann zu einer Strafbarkeit wegen vorsätzlichen Delikts, allerdings nicht zu einer zusätzlichen Strafbarkeit wegen der vorangegangenen fahrlässigen Begehung. Von daher ist es für den Täter ja vorteilhaft, dass hier keine Zäsur angenommen wird, da sonst Trunkenheit im Verkehr nach § 316 Abs. 1 StGB in Tatmehrheit (§ 53 StGB) mit Trunkenheit im Verkehr nach § 316 Abs. 2, 1 StGB (fahrlässig) vorliegen würde.

NIC

Nickname

14.1.2023, 18:03:22

Aber der

Vorsatz

lag doch nicht zum Zeitpunkt der Begehung der Tat vor, diese Wertung verstößt doch gegen das

Koinzidenzprinzip

, wenn ich den gefassten

Vorsatz

der Pinkelpause auf die fahrlässige Tatbegehung „vorverlagere“

Larzed

Larzed

24.2.2023, 12:57:45

Doch, das

Koinzidenzprinzip

ist gewahrt. Es sagt lediglich aus, dass der

Vorsatz

bei Begehung der Tat vorliegen muss. D.h. ja nicht, dass der

Vorsatz

zwingend am Anfang der ersten Tatausführung vorgelegen haben muss. Vielmehr ist bei Dauerdelikten ausreichend, dass der

Vorsatz

während der Begehung gebildet wird. Er darf nur nicht nach Abschluss der Deliktsverwirklichung gebildet werden.

sy

sy

2.2.2025, 16:20:54

Meines Erachtens nach ist hier gerade die Pause eine entscheidende Zäsur. Der T wechselt die innere Willensrichtung sogar ab von "ich kann sehr gut fahren" zu "ups ich kann ja doch nicht so gut fahren". In Kentniss dieser Umstände beschließt er erneut und weiterhin mit dem pkw zu fahren. Wo ist mein Denkfehler?

LELEE

Leo Lee

3.2.2025, 09:29:47

Hallo sy, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! Vorab ist dein Einwand insofern nachvollziehbar, als eine Änderung der Willlensrichtung in der Regel für einen Zäsur und damit für eine "neue"

prozessuale Tat

sprechen kann. Beachte allerdings, dass 316 nicht ein klassisches Erfolgs-, sondern ein DAUERdelikt ist. D.h., hier hält der Täter - in diesem Fall die Trunkenheitsfahrt - so lange aufrecht, bis ein Zustand eintritt, der diesen dauerhaften Zustand ENDGÜLTIG beendet. D.h., solange unser Täter weiter betrunken fährt, ohne fahrtüchtig zu werden oder KOMPLETT die Fahrt zu unterlassen, sind Pinkelpausen oder die Änderung der inneren Willensrichtung egal. Natürlich gilt dies nur, wenn er entsprechend mit Wissen und Wollen handelt. Allerdings gilt stets, dass solange der Zustand weiter perpetuiert wird, macht er sich weiterhin (kontinuierlich) strafbar. Merken dir deshalb: DAUERDELIKT! Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-StGB 4. Auflage, Pegel § 316 Rn. 125 sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

sy

sy

3.2.2025, 09:35:10

Vielen Dank, dann kann ich mir vlt auch merken, dass wohl solche kleinen Pausen, die gerade ein immanenter und natürlicher Teil einer Autofahrt sein können( wie tanken, und pinkeln) keine Zäsur bilden können?

LELEE

Leo Lee

4.2.2025, 09:26:33

Hallo sy, so kann man sich das tats. „faustformelartig“ merken!

BABA

babakd

16.2.2025, 16:43:45

Fischer § 316 Rn. 56 (72. Aufl.)

Rechtsanwalt B. Trüger

Rechtsanwalt B. Trüger

5.3.2025, 11:57:09

Wie baue ich das ganze dann auf? Mein Vorschlag: -Man prüft eine Strafbarkeit nach § 316 Abs. 1 StGB -im subjektiven Tatbestand kommt man dann ja zum

Vorsatz

. Da schreibt man dann, dass zunächst Fahrlässigkeit vorliegt. Diese Fahrlässigkeit wurde nach der „Pinkelpause“ aber zum

Vorsatz

. Mangels Zäsur erstreckt sich der

Vorsatz

dann auf die ganze Fahrt -i.E. § 316 Abs. 1 StGB (+) passt das so?


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