Retterschäden 1
23. Mai 2025
9 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Die radikale Kunstgegnerin A zündet eines Nachts das Museum für Angewandte Kunst in Köln an. Der herbeigerufene Feuerwehrmann F stürmt in das Objekt, um einige Werke mit Wert in Millionenhöhe vor den Flammen zu retten. Dabei kann er mit letzter Mühe einem herabfallenden, brennenden Deckenbalken ausweichen.
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Einordnung des Falls
Retterschäden 1
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Indem A das Museum angezündet hat, erfüllt sie zunächst den objektiven Tatbestand der Brandstiftung (§ 306 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB).
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. A erfüllt zudem den Tatbestand der schweren Brandstiftung (§ 306a Abs. 2 StGB), wenn sie durch das Inbrandsetzen des Museums „einen anderen Menschen in die Gefahr einer Gesundheitsschädigung“ gebracht hat.
Genau, so ist das!
3. A hätte den F nur dann „in die Gefahr einer Gesundheitsschädigung gebracht“ (§ 306a Abs. 2 StGB), wenn F Brandverletzungen erlitten hätte.
Nein, das trifft nicht zu!
4. F müsste auch „durch“ das Inbrandsetzen der A an seiner Gesundheit gefährdet (§ 306a Abs. 2 StGB) worden sein.
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Koehli
31.7.2020, 08:32:57
Ich dachte, unabhängig von dem Wert des zu rettenden Gegenstands, ist ein Rettungsversuch zugunsten von Sachwerten immer eine
freiverantwortliche Selbstgefährdung.

Eigentum verpflichtet 🏔️
31.7.2020, 11:32:21
Danke Koehli für die gute Frage. Die
Objektive Zurechnungbei §§ 306a-306c StGB ist sehr umstritten (vgl. MükoStGB-Radtke, 3. Aufl. 2019, § 306c Rn. 16-22.) Die h.M. (BGH und t.L.) löst das Problem über die bewusste Selbstgefährdung, zieht aber eher enge Grenzen. Liegt eine Herausforderungssituation durch den Brand vor, erfolgt nur ausnahmsweise keine Zurechnung, wenn der Rettungsversuch mit unverhältnismäßig hohen Risiken verbunden ist. Die wohl h.L. differenziert unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens des § 35 StGB, nach den zu rettenden Rechtsgütern (vgl. MükoStGB-Radtke, § 306c Rn. 19-22; darauf zielt dein Kommentar bestimmt ab?)

Eigentum verpflichtet 🏔️
31.7.2020, 11:34:21
Allerdings nimmt auch die h.L. regelmäßig einen
Gefahrzusammenhangbei professionellen Nothelfern (Feuerwehr) an. Der Täter muss damit rechnen, dass Feuerwehrleute das Gebäude betreten, auch um die dortigen Sachwerte zu schützen. Etwas anderes kann höchstens bei Gefahren gelten, die aus einem völlig misslungenen, regelwidrigen Feuerwehreinsatz folgen.

Moltisanti
24.5.2024, 00:16:21
müsste die prüfung nicht getrennt werden
objektive zurechnungund tabestandsspezifischem
gefahrverwirklichungszusammenhang?

Nora Mommsen
26.5.2024, 12:19:32
Hallo Uncle Ruckus, es steht einem offen, ob man das zusammen oder eben getrennt prüfen möchte. Keine der Wege ist falsch. Ein Indikator kann z.B. sein, ob das Grunddelikt vorab geprüft werden soll, da mehrere Qualifikationen zu prüfen sind und man diese Prüfung bevorzugt. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
vivi—
4.1.2025, 16:29:42
Ist bei konkreten Gefährdungsdelikten nicht auch immer
Vorsatzbzgl. der konkreten Gefahr nötig? Darf dieser im Zweifel einfach bejaht werden, weil man damit rechnen muss, dass Feuerwehrleute sich in die konkret gefährliche Situation begeben werden oder sollte man den
Vorsatzmangels Sachverhaltsangaben eher verneinen?
Leo Lee
5.1.2025, 10:32:31
Hallo vivi, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage und willkommen bei Jurafuchs! Bei konkreten Gefährdungsdelikten stimmt es völlig - wie du sagst - dass auch immer ein
Vorsatzbzgl. der Gefahr vorhanden sein muss (deshalb muss immer "doppelter"
Vorsatz, einmal bzgl. Handlung und einmal bzgl. Erfolgs, vorliegen). Beachte allerdings, dass 306a I gerade KEIN konkretes, sondern "nur" ein abstraktes Gefährdungsdelikt ist, weshalb hier kein TBM der konkreten Gefährdung vorliegen kann. Wenn aber etwa der 306a II zu prüfen wäre und im SV Angaben dazu gegeben sind, dass der Täter festens nicht damit gerechnet hat, dass eine
konkrete Gefahreintreten wird, dann ist selbstverständlich hierauf einzugehen und ggf. die Abgrenzung zur bew. FL vorzunehmen. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-StGB 4. Auflage, Radtke § 306a Rn. 3 sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Vincent
20.1.2025, 15:13:19
Die Aufgabe der Feuerwehr ist doch grundsätzlich das Retten von Personen sowie das löschen. Wieso wird hier keine freiwillige selbstgefährdung angenommen ? Schließlich hätte kein Einsatzleiter angewiesen sich für versicherte Kunstgegenstände in Lebensgefahr zu bringen. kann hier nicht eher davon ausgegangen werden, dass der Feuerwehrmann aus Liebe zur Kunst hinein rennt und die Kunstwerke retten will? ich verstehe, dass hier interpretiert wird, was eigentlich nicht geschehen soll, jedoch,ist doch grade aufgrund der hohen Strafan
drohungdes 306a (Verbrechen) eine restriktive Auslegung geboten.

Sebastian Schmitt
18.5.2025, 14:38:25
Hallo @[Vincent](211990), das ist eine sehr einzelfallabhängige Frage, für die man eine Reihe von Faktoren berücksichtigen kann und muss. In unserem Fall wissen wir lediglich, dass es sich um Kunstwerke im Millionenwert handelt, die F aus dem Gebäude retten will. Worüber wir nichts wissen, ist zB Größe und Ausmaß des Feuers, die eventuelle Gefahr eines Übergreifens auf andere Gebäude, das Ausmaß und die Absehbarkeit der Gefährlichkeit für F. Um die Frage abschließend und wirklich fundiert beantworten zu können, bräuchten wir also mehr Informationen. Anhand der gegebenen Informationen hast Du natürlich einerseits Recht, dass wir vor dem Hintergrund der hohen Straf
drohungdes § 306a StGB nicht übermäßig grozügig zulasten des Täters auslegen dürfen. Andererseits sprechen die mE (!) besseren Argumente aber doch für eine Strafbarkeit und gegen eine "offensichtliche Unvernünftigkeit" der Rettungsbemühungen - was nicht heißt, dass (D)eine aA hier nicht ebenfalls vertretbar wäre. Aufgabe der Feuerwehr ist nicht nur der Schutz von Personen, sondern insbesondere auch die Abwehr von Brandgefahren für erhebliche Sachwerte (so explizit zB § 3 I lit a FwG Hamburg). Ob ein Einsatzleiter angewiesen hätte, sich für versicherte Gegenstände im Millionenwert in Lebensgefahr zu bringen, kann ich mangels Sachverstand nicht wirklich einschätzen. Erforderlich ist für die offensichtliche Unvernünftigkeit nach wohl hM aber jedenfalls, dass "die Risikofaktoren in einer objektivierten ex-ante-Betrachtung so gewichtig sind, dass auch unter angemessener Berücksichtigung der psychischen Drucksituation der Rettungskräfte deutlich ist, dass die (weitere) Durchführung der Rettungsaktion zu einem gänzlich unvertretbaren Risiko für Leib und Leben der Retter führt." (OLG Stuttgart, NStZ 2009, 331, 332) Das ist sprachlich und rechtlich eine hohe Hürde, "normale" Unvernünftigkeit reicht nicht. Dass wir es in unserem Fall schon mit offensichtlicher (!) Unvernünftigkeit zu tun haben, halte ich ohne weitere Anhaltspunkte für recht weit hergeholt. Jedenfalls wird man das kaum allein darauf stützen können, dass es "nur" um erhebliche Sachwerte geht. Auch der BGH scheint mir in einer Entscheidung von 1993 (NJW 1994, 205) indirekt anzuerkennen, dass eben diese Sachwerte genügen können und ihre Rettung nicht per se offensichtlich unvernünftig ist: "Etwas anderes mag gelten, wenn es sich um einen von vorneherein sinnlosen oder mit offensichtlich unverhältnismäßigen Wagnissen verbundenen Rettungsversuch handelt [...]. Ein solcher liegt hier ersichtlich nicht vor. Was letztlich Auslöser für das Vorgehen des späteren Opfers war, die Vorstellung, Menschenleben zu retten, oder die Vorstellung, Sachwerte oder einen bestimmten Gegenstand aus dem Hause seiner Eltern vor der Vernichtung zu bewahren, ist dabei unerheblich." (S 205). Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team