Retterschäden 1

23. Mai 2025

9 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die radikale Kunstgegnerin A zündet eines Nachts das Museum für Angewandte Kunst in Köln an. Der herbeigerufene Feuerwehrmann F stürmt in das Objekt, um einige Werke mit Wert in Millionenhöhe vor den Flammen zu retten. Dabei kann er mit letzter Mühe einem herabfallenden, brennenden Deckenbalken ausweichen.

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Einordnung des Falls

Retterschäden 1

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Indem A das Museum angezündet hat, erfüllt sie zunächst den objektiven Tatbestand der Brandstiftung (§ 306 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB).

Ja!

Wenn Du bei der Vielzahl von Brandstiftungsdelikten mal nicht weißt, wo Du anfangen sollst, fange erst einmal (zumindest gedanklich) bei der einfachen Brandstifung (§ 306 StGB) an. Objektive Tatbestandsvoraussetzungen von § 306 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB sind: (1) Tatobjekt: (für den Täter) fremdes Gebäude (2) Tathandlung: Tatobjekt in Brand setzen oder durch Brandlegung ganz oder teilweise zerstören. Ein Gebäude ist ein durch Wände und Dach begrenztes, mit dem Erdboden fest verbundenes Bauwerk, das den Eintritt von Menschen gestattet. Dieses ist in Brand gesetzt, wenn ein wesentlicher Teil des Gebäudes in einer Weise vom Feuer erfasst ist, dass ein Weiterbrennen aus eigener Kraft möglich ist. Das im Eigentum der Stadt stehende Museum ist ein für A fremdes Gebäude. A zündete das Museum derart an, dass sich der Brand überall ausbreitete (= Inbrandsetzen). Wenn im Sachverhalt keine Probleme bezüglich des „Anzündens“ des Tatobjekts angelegt sind, solltest Du deine Ausführungen knapp halten.
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2. A erfüllt zudem den Tatbestand der schweren Brandstiftung (§ 306a Abs. 2 StGB), wenn sie durch das Inbrandsetzen des Museums „einen anderen Menschen in die Gefahr einer Gesundheitsschädigung“ gebracht hat.

Genau, so ist das!

Wegen einer schweren Brandstiftung wird nach § 306a Abs. 2 StGB bestraft, wer eine in § 306 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 bezeichnete Sache in Brand setzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört und dadurch einen anderen Menschen in die Gefahr einer Gesundheitsschädigung bringt. Achtung! § 306a Abs. 2 StGB ist ein selbstständiges Grunddelikt und keine Qualifikation zu § 306 StGB. Dies ergibt sich aus den unterschiedlichen Schutzrichtungen. § 306 Abs. 1 StGB schützt das Eigentum, § 306a Abs. 2 StGB hingegen die Gesundheit. Die Definitionen des Tatobjekts und der Tathandlung sind aber identisch. Insbesondere ist für § 306a Abs. 2 StGB nicht die Fremdheit des Tatobjekts erforderlich. Prüfe § 306a StGB immer unabhängig von § 306 StGB. So machst Du deutlich, dass Du die Systematik verstanden hast. Es wäre falsch, die beiden Delikte zusammen zu prüfen.

3. A hätte den F nur dann „in die Gefahr einer Gesundheitsschädigung gebracht“ (§ 306a Abs. 2 StGB), wenn F Brandverletzungen erlitten hätte.

Nein, das trifft nicht zu!

Da § 306a Abs. 2 StGB ein konkretes Gefährdungsdelikt ist, kommt es nicht darauf an, ob sich die Gefahr tatsächlich realisiert hat. Auch ist die Art der Gesundheitsschädigung in § 306a Abs. 2 StGB nicht genauer festgelegt. Daher kommt grundsätzlich jegliche Gesundheitsschädigung in Betracht. Gesundheitsschädigung (wie in § 223 StGB) meint das Hervorrufen oder Steigern eines wenn auch nur vorübergehenden pathologischen Zustandes. Konkrete Gefahr meint eine kritische Situation, in der die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Rechtsgutserfolges besteht und die (mögliche) Rechtsgutsverletzung lediglich zufällig ausbleibt. F konnte sich mit letzter Mühe vor einem herabfallenden, brennenden Deckenbalken retten. Die Gesundheitsschädigung (= Verletzungen durch den Schlag des Balkens) des F ist daher nur durch einen rettenden Zufall ausgeblieben.

4. F müsste auch „durch“ das Inbrandsetzen der A an seiner Gesundheit gefährdet (§ 306a Abs. 2 StGB) worden sein.

Ja!

Erforderlich ist hier der spezifische Gefahrverwirklichungszusammenhang, d.h. in der Gesundheitsgefährdung muss sich gerade das der Brandstiftungshandlung innewohnende Risiko verwirklichen. Nach h.M. ist es eine typische Folge der Inbrandsetzung, dass Feuerwehrleute eingreifen und sich Personen bei den Löschbemühungen Gefahren aussetzen. Die Grenze der Zurechnung wäre nur dann erreicht, wenn der Rettungsversuch von vornherein sinnlos oder mit offensichtlich unverhältnismäßigen Wagnissen verbunden und damit offensichtlich unvernünftig erscheint. Dann läge eine freiverantwortliche Selbstgefährdung der Rettungsperson vor, die den Tatbestand des § 306a Abs. 2 StGB ausschließen würde. F führt als Feuerwehrmann eine Bergungsaktion wertvoller Kunstwerke des Museums durch. Dies zählt zu den typischen Folgen der Inbrandsetzung. Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die dafür sprechen würden, der A diese Folge (ausnahmsweise) nicht mehr zuzurechnen. A erfüllt damit den objektiven Tatbestand von § 306a Abs. 2 StGB. Zum Verhältnis von § 306 Abs. 1 StGB und § 306a Abs. 2 StGB später mehr!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Koehli

Koehli

31.7.2020, 08:32:57

Ich dachte, unabhängig von dem Wert des zu rettenden Gegenstands, ist ein Rettungsversuch zugunsten von Sachwerten immer eine

freiverantwortliche Selbstgefährdung

.

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

31.7.2020, 11:32:21

Danke Koehli für die gute Frage. Die

Objektive Zurechnung

bei §§ 306a-306c StGB ist sehr umstritten (vgl. MükoStGB-Radtke, 3. Aufl. 2019, § 306c Rn. 16-22.) Die h.M. (BGH und t.L.) löst das Problem über die bewusste Selbstgefährdung, zieht aber eher enge Grenzen. Liegt eine Herausforderungssituation durch den Brand vor, erfolgt nur ausnahmsweise keine Zurechnung, wenn der Rettungsversuch mit unverhältnismäßig hohen Risiken verbunden ist. Die wohl h.L. differenziert unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens des § 35 StGB, nach den zu rettenden Rechtsgütern (vgl. MükoStGB-Radtke, § 306c Rn. 19-22; darauf zielt dein Kommentar bestimmt ab?)

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

31.7.2020, 11:34:21

Allerdings nimmt auch die h.L. regelmäßig einen

Gefahrzusammenhang

bei professionellen Nothelfern (Feuerwehr) an. Der Täter muss damit rechnen, dass Feuerwehrleute das Gebäude betreten, auch um die dortigen Sachwerte zu schützen. Etwas anderes kann höchstens bei Gefahren gelten, die aus einem völlig misslungenen, regelwidrigen Feuerwehreinsatz folgen.

Moltisanti

Moltisanti

24.5.2024, 00:16:21

müsste die prüfung nicht getrennt werden

objektive zurechnung

und tabestandsspezifischem

gefahrverwirklichungszusammenhang

?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

26.5.2024, 12:19:32

Hallo Uncle Ruckus, es steht einem offen, ob man das zusammen oder eben getrennt prüfen möchte. Keine der Wege ist falsch. Ein Indikator kann z.B. sein, ob das Grunddelikt vorab geprüft werden soll, da mehrere Qualifikationen zu prüfen sind und man diese Prüfung bevorzugt. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

VI

vivi—

4.1.2025, 16:29:42

Ist bei konkreten Gefährdungsdelikten nicht auch immer

Vorsatz

bzgl. der konkreten Gefahr nötig? Darf dieser im Zweifel einfach bejaht werden, weil man damit rechnen muss, dass Feuerwehrleute sich in die konkret gefährliche Situation begeben werden oder sollte man den

Vorsatz

mangels Sachverhaltsangaben eher verneinen?

LELEE

Leo Lee

5.1.2025, 10:32:31

Hallo vivi, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage und willkommen bei Jurafuchs! Bei konkreten Gefährdungsdelikten stimmt es völlig - wie du sagst - dass auch immer ein

Vorsatz

bzgl. der Gefahr vorhanden sein muss (deshalb muss immer "doppelter"

Vorsatz

, einmal bzgl. Handlung und einmal bzgl. Erfolgs, vorliegen). Beachte allerdings, dass 306a I gerade KEIN konkretes, sondern "nur" ein abstraktes Gefährdungsdelikt ist, weshalb hier kein TBM der konkreten Gefährdung vorliegen kann. Wenn aber etwa der 306a II zu prüfen wäre und im SV Angaben dazu gegeben sind, dass der Täter festens nicht damit gerechnet hat, dass eine

konkrete Gefahr

eintreten wird, dann ist selbstverständlich hierauf einzugehen und ggf. die Abgrenzung zur bew. FL vorzunehmen. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-StGB 4. Auflage, Radtke § 306a Rn. 3 sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

Vincent

Vincent

20.1.2025, 15:13:19

Die Aufgabe der Feuerwehr ist doch grundsätzlich das Retten von Personen sowie das löschen. Wieso wird hier keine freiwillige selbstgefährdung angenommen ? Schließlich hätte kein Einsatzleiter angewiesen sich für versicherte Kunstgegenstände in Lebensgefahr zu bringen. kann hier nicht eher davon ausgegangen werden, dass der Feuerwehrmann aus Liebe zur Kunst hinein rennt und die Kunstwerke retten will? ich verstehe, dass hier interpretiert wird, was eigentlich nicht geschehen soll, jedoch,ist doch grade aufgrund der hohen Strafan

drohung

des 306a (Verbrechen) eine restriktive Auslegung geboten.

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

18.5.2025, 14:38:25

Hallo @[Vincent](211990), das ist eine sehr einzelfallabhängige Frage, für die man eine Reihe von Faktoren berücksichtigen kann und muss. In unserem Fall wissen wir lediglich, dass es sich um Kunstwerke im Millionenwert handelt, die F aus dem Gebäude retten will. Worüber wir nichts wissen, ist zB Größe und Ausmaß des Feuers, die eventuelle Gefahr eines Übergreifens auf andere Gebäude, das Ausmaß und die Absehbarkeit der Gefährlichkeit für F. Um die Frage abschließend und wirklich fundiert beantworten zu können, bräuchten wir also mehr Informationen. Anhand der gegebenen Informationen hast Du natürlich einerseits Recht, dass wir vor dem Hintergrund der hohen Straf

drohung

des § 306a StGB nicht übermäßig grozügig zulasten des Täters auslegen dürfen. Andererseits sprechen die mE (!) besseren Argumente aber doch für eine Strafbarkeit und gegen eine "offensichtliche Unvernünftigkeit" der Rettungsbemühungen - was nicht heißt, dass (D)eine aA hier nicht ebenfalls vertretbar wäre. Aufgabe der Feuerwehr ist nicht nur der Schutz von Personen, sondern insbesondere auch die Abwehr von Brandgefahren für erhebliche Sachwerte (so explizit zB § 3 I lit a FwG Hamburg). Ob ein Einsatzleiter angewiesen hätte, sich für versicherte Gegenstände im Millionenwert in Lebensgefahr zu bringen, kann ich mangels Sachverstand nicht wirklich einschätzen. Erforderlich ist für die offensichtliche Unvernünftigkeit nach wohl hM aber jedenfalls, dass "die Risikofaktoren in einer objektivierten ex-ante-Betrachtung so gewichtig sind, dass auch unter angemessener Berücksichtigung der psychischen Drucksituation der Rettungskräfte deutlich ist, dass die (weitere) Durchführung der Rettungsaktion zu einem gänzlich unvertretbaren Risiko für Leib und Leben der Retter führt." (OLG Stuttgart, NStZ 2009, 331, 332) Das ist sprachlich und rechtlich eine hohe Hürde, "normale" Unvernünftigkeit reicht nicht. Dass wir es in unserem Fall schon mit offensichtlicher (!) Unvernünftigkeit zu tun haben, halte ich ohne weitere Anhaltspunkte für recht weit hergeholt. Jedenfalls wird man das kaum allein darauf stützen können, dass es "nur" um erhebliche Sachwerte geht. Auch der BGH scheint mir in einer Entscheidung von 1993 (NJW 1994, 205) indirekt anzuerkennen, dass eben diese Sachwerte genügen können und ihre Rettung nicht per se offensichtlich unvernünftig ist: "Etwas anderes mag gelten, wenn es sich um einen von vorneherein sinnlosen oder mit offensichtlich unverhältnismäßigen Wagnissen verbundenen Rettungsversuch handelt [...]. Ein solcher liegt hier ersichtlich nicht vor. Was letztlich Auslöser für das Vorgehen des späteren Opfers war, die Vorstellung, Menschenleben zu retten, oder die Vorstellung, Sachwerte oder einen bestimmten Gegenstand aus dem Hause seiner Eltern vor der Vernichtung zu bewahren, ist dabei unerheblich." (S 205). Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team


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