„Kruzifix-Beschluss“
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
§ 13 Abs. 1 BayVSO schreibt vor, dass in jedem bayerischen Klassenzimmer ein Kreuz anzubringen ist. Die anthroposophisch geprägten Eltern E von Schulkind S fürchten sich vor dem christlichen Einfluss und klagen im Namen des S. Die eingelegten Rechtsmittel von S scheitern jedoch vor dem BayVerGH.
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Einordnung des Falls
Das Bundesverfassungsgericht hatte im Jahre 1995 darüber zu entscheiden, ob § 13 Abs. 1 BayVSO, der vorschreibt, dass in jedem bayerischen Klassenzimmer ein Kreuz anzubringen ist, verfassungswidrig sei. Durch die Kreuze im Klassenraum wird die Freiheit der Schüler:innen berührt, von Glaubenssymbolen nicht geteilter Religionen fernzubleiben. Überdies befinden sich die Schüler:innen im Schulunterricht in einer unausweichlichen Situation, die nicht von Freiwilligkeit geprägt ist. Dies widerspricht gerade dem Minderheitenschutz, den Art. 4 Abs. 1 GG intendiert. Die Schule als staatliche Institution muss dabei in den Grenzen der zulässigen religiösen Bezüge grundsätzlich neutral bleiben. § 13 Abs. 1 BayVSO ist daher nichtig. § 13 Abs. 1 BayVSO verstößt mithin gegen die negative Glaubensfreiheit.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Ist die von S erhobene Verfassungsbeschwerde zulässig?
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Umfasst die von Art. 4 Abs. 1 GG gewährleistete Glaubensfreiheit auch die negative Glaubensfreiheit?
Ja!
3. Ist das Kreuz nach der Senatsmehrheit kein Ausdruck religiöser Überzeugungen, sondern nur Ausdruck der albländischen Kultur? Ist der Schutzbereich vorliegend nicht eröffnet?
Nein, das ist nicht der Fall!
4. Hängt von der Bedeutung und Wirkung des Kreuzes auf die Schulkinder ab, ob ein Eingriff durch das im Klassenzimmer hängende Kreuz vorliegt?
Ja, in der Tat!
5. Liegt ein Eingriff in die negative Glaubensfreiheit des S vor, aufgrund der Unausweichlichkeit die hinsichtlich des Lernens "unter dem Kreuz" besteht?
Ja!
6. Kann der Eingriff gerechtfertigt werden, da S auch im Alltag außerhalb der Schule mit Kreuzen konfrontiert wird?
Nein, das ist nicht der Fall!
7. Kann der Eingriff durch Art. 7 GG gerechtfertigt werden?
Nein, das trifft nicht zu!
8. Ist das Anbringen der Kreuze in Klassenräumen durch die Glaubensfreiheit von Schülern christlichen Glaubens gerechtfertigt?
Nein!
9. Verstößt § 13 Abs. 1 BayVSO gegen die negative Glaubensfreiheit von S und ist deshalb nichtig?
Genau, so ist das!
10. Kurz nach dem Kruzifix-Beschluss erließ der bayerische Gesetzgeber ein Gesetz, das die Aufhängepflicht zwar beibehielt, aber um eine Regelung im Konfliktfall ergänzte.
Ja, in der Tat!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Jan M.
1.3.2022, 23:24:56
Finde ich mega dass ihr die Klassiker im Verfassungsrecht ausbaut! Die verfassungsrechtliche Dogmatik lernt man am besten mit den Urteilen, aus denen sie resultieren – gerne mehr davon, ich freue mich :)
Lukas_Mengestu
2.3.2022, 09:01:41
Lieben Dank, Jan. Wir bleiben auch hier weiter dran :-)
ehemalige:r Nutzer:in
12.3.2022, 09:59:59
Finde die Klassiker super! Im Sachverhalt und der ersten Frage hat sich mir nicht ganz erschlossen, wer die VerfBeschwerde erhebt. S oder die Eltern E?
Lukas_Mengestu
14.3.2022, 13:55:02
Hallo Louvain, vielen Dank für den Hinweis. Der Fall ist hier auf die Verletzung von S Grundrechten zugeschnitten, weswegen wir es dahingehend präzisiert haben. Im Originalfall hatten die Eltern sowohl im eigenen Namen, als auch im Namen ihrer drei schulpflichtigen Kinder geklagt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
ChrisLeu
20.12.2023, 17:05:42
Ändert sich etwas mit dem BVerwG Urteil vom 19. Dezember 2023? Vielleicht kann man das mit einarbeiten. Ist natürlich noch sehr neu, also mehr Anregung als Kritik.
Lukas_Mengestu
11.1.2024, 09:31:22
Hallo ChrisLeu, bislang ist leider nur eine Pressemitteilung (https://www.bverwg.de/pm/2023/96) veröffentlicht und nicht die vollständigen Urteilsgründe. Die Pressemitteilung ist dabei durchaus nicht frei von Widersprüchen, wenn einerseits eingeräumt wird, es handele sich bei dem Kreuz um ein zentrales Symbol des christlichen Glaubens. Andererseits wird letztlich nur behauptet, dass sich der Freistaat durch das Aufhängen nicht mit christlichen Glaubenssätzen identifiziere, sondern es sich dabei - ausweislich des Wortlautes der Verwaltungsvorschrift - lediglich um einen Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns handele (Kritisch dazu: Jacobs/Middeller, Jede hat ihr Kreuz zu tragen, Verfassungsblog vom 22.12.2023 = https://verfassungsblog.de/jede-hat-ihr-kreuz-zu-tragen/). Sobald die vollständigen Urteilsgründe vorliegen, werden wir uns damit noch einmal näher auseinandersetzen. Vorweg: Ein wesentlicher Unterschied der Fälle liegt aber u.a. darin, dass die Besucher der
Behördemit den Kreuzen nur flüchtig konfrontiert sind, während die Schüler "unter dem Kreuz" lernen mussten. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Jimmy105
28.10.2024, 23:05:47
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