Folgevernehmung / qualifizierte Belehrung


mittel

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Klassisches Klausurproblem

Dieb D stiehlt ein rotes Pegasus-Rad mit goldenem Sattel. Kurz darauf sieht Polizist P den D auf genau diesem Rad und hält ihn an. Er fragt ihn über die Herkunft des Rads aus. D widerspricht sich und sagt dann irgendwann: „Ok, ich hab’s geklaut…“ und erzählt alle Einzelheiten. P nimmt ihn mit zur Wache, belehrt ihn über sein Schweige- und Verteidigerkonsultationsrecht und befragt ihn nochmal. D wiederholt seine Aussage. In der Hauptverhandlung schweigt er.

Einordnung des Falls

Folgevernehmung / qualifizierte Belehrung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Bei der ersten Interaktion am Fahrrad fand eine Vernehmung statt.

Ja!

Es handelt sich um eine Vernehmung, wenn der Vernehmende der Auskunftsperson in amtlicher Funktion gegenübertritt und in dieser Eigenschaft von ihr eine Auskunft verlangt (formeller Vernehmungsbegriff, hM). P verlangte in amtlicher Eigenschaft von D Auskunft, sodass es sich um eine Vernehmung handelte.

2. P musste D bei dieser Vernehmung belehren.

Genau, so ist das!

Vor der Beschuldigtenvernehmung ist eine Belehrung erforderlich (§§ 136 Abs. 1 S. 2 iVm 163a Abs. 4 StPO). Weil hinsichtlich des geklauten Rads ein Anfangsverdacht bestand und P seinen Verfolgungswillen durch das Anhalten und Ausfragen zum Ausdruck brachte (Inkulpationsakt), war D Beschuldigter und musste belehrt werden.

3. Die Einlassung des D am Fahrrad ist verwertbar.

Nein, das trifft nicht zu!

Weil dem Beschuldigten durch eine fehlende Belehrung faktisch sein Schweigerecht genommen wird, führt ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht (§ 136 Abs. 1 S. 2 StPO) grundsätzlich zu einem unselbständigen Verwertungsverbot hinsichtlich der erlangten Aussage. Sofern bzgl. eines Beweismittels ein Beweisverwertungsverbot eingreift, ist dieses umfassend und darf auch nicht durch Rückgriff auf ein anderes Beweismittel umgangen werden. Da es sich um eine Beschuldigtenvernehmung handelte ist, war eine Belehrung erforderlich (§§ 136 Abs. 1 S. 2 iVm 163a Abs. 4 StPO). Eine solche ist nicht erfolgt. Weil hinsichtlich dieser Aussage des D vor dem P ein Beweisverwertungsverbot besteht, wäre es auch unzulässig, P darüber als Zeugen zu vernehmen, was der D seinerzeit gesagt habe.

4. D wurde bei der Vernehmung auf der Wache ausreichend belehrt.

Nein!

Ein vorheriger Belehrungsverstoß wird nicht schon dadurch geheilt, dass der Beschuldigte seine Angabe nach der Belehrung in einer Folgevernehmung wiederholt. Wegen der zentralen Bedeutung des Schweigerechts ist in einem solchen Fall eine qualifizierte Belehrung erforderlich. Der Beschuldigten muss nicht nur darüber belehrt werden, dass er schweigen darf. Sondern ergänzend auch darüber, dass das bisher Gesagte nicht verwertbar ist. Der Beschuldigte soll nicht dem Irrtum unterliegen, die frühere rechtswidrig erlangte Selbstbelastung nicht mehr aus der Welt schaffen zu können und deshalb auf sein Schweigerecht verzichten.

5. Die Aussage auf der Wache ist verwertbar

Nein, das ist nicht der Fall!

Ob auch die Folgevernehmung mangels qualifizierter Belehrung unverwertbar ist, hängt von einer Abwägung im Einzelfall ab. Denn ein Verstoß gegen die Pflicht zur qualifizierten Belehrung hat nicht dasselbe Gewicht wie der Verstoß gegen § 136 Abs. 1 S. 2 StPO. Für die Abwägung kommt es neben dem Gewicht des Verfahrensverstoßes einerseits und dem Interesse an der Sachaufklärung andererseits maßgeblich darauf an, ob der Vernommene davon ausgegangen ist, von seinen früheren Angaben nicht mehr abrücken zu können. Das ist regelmäßig dann der Fall, wenn es sich bei seiner zweiten Aussage lediglich um eine bloße Wiederholung der ersten handelt. D wiederholt hier lediglich seine erste Aussage.

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ALE

Alex1892

2.4.2021, 09:30:19

Müsste dann nicht bei der letzten Frage „die Aussage auf der Wache ist verwertbar“ , „stimmt“ als Antwort richtig sein ? Der D wiederholt ja nur seine Aussage oder ?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

9.4.2021, 10:23:40

Danke für Deine Rückfrage, Alex 😊. Wiederholt der Beschuldigte seine Aussage bloß, dann ist sie idR nicht verwertbar, wenn er nicht explizit darauf hingewiesen wurde, dass die vorangegangenen Äußerungen nicht verwertbar sind. Denn insoweit entfaltet die verspätete Belehrung keinen Schutz. Anders ist das nur, wenn der Beschuldigte neue Tatsachen offenbart, denn insoweit greift ja nun die erfolgte Belehrung. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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