+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

V lässt seinen Gebrauchtwagen über den Gebrauchtwagenhändler G als Vermittler an K verkaufen (sog. Agenturgeschäft). Dabei macht G "ins Blaue hinein“ falsche Angaben zur Unfallfreiheit des PKW. Aufgrund eines Unfallschadens ist das Auto weniger Wert.

Einordnung des Falls

Gebrauchtwagenhändler

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Da G nicht Vertragspartei ist, scheiden vertragliche und quasi-vertragliche Ansprüche des K gegen G aus.

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Nein, das trifft nicht zu!

Verträge begründen Verpflichtungen grundsätzlich allein zwischen den am Vertrag beteiligten Parteien (Relativität der Schuldverhältnisse). Für die cic gilt nichts anderes: Dritte werden daraus grundsätzlich weder berechtigt noch verpflichtet. Eine Ausnahme bildet § 311 Abs. 3 BGB, wonach ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 auch zu Personen entstehen kann, die nicht selbst Vertragspartei werden sollen. Ein solches Schuldverhältnis "entsteht insbesondere, wenn der Dritte in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch nimmt und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst."(§ 311 Abs. 3 S. 2 BGB).

2. G ist Sachwalter. Zwischen G und K besteht ein vorvertragliches Schuldverhältnis (§ 311 Abs. 3 BGB).

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Ja!

Bei dem vorvertraglichen Schuldverhältnis nach § 311 Abs. 3 BGB handelt es sich um eine Eigenhaftung von Vertretern und Verhandlungsgehilfen. Die wichtigsten Fälle sind: (1) der Prokurator in rem suam (insbesondere der Vertreter mit eigenem wirtschaftlichen Interesse) und (2) die Sachwalterhaftung. Sachwalter sind solche Personen, die wegen ihrer besonderen Sachkunde in hohem Maße das persönliche Vertrauen des Vertragspartners in Anspruch nehmen und diesem erst dadurch die Gewähr für eine ordnungsgemäße Durchführung riskanter Geschäfte geben. G nahm als Verkaufsvermittler und Kraftfahrzeughändler in besonderem Maße Vertrauen für sich persönlich in Anspruch und hat dadurch eine zusätzliche persönliche Gewähr für den Wert des Autos übernommen. Er haftet somit als Sachwalter.

3. K hat gegen G einen Schadenersatzanspruch aus cic (§§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 3 S. 2, 241 Abs. 2, 249 Abs. 1 BGB).

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Genau, so ist das!

G hat vorsätzlich (Angaben "ins Blaue hinein" begründen Eventualvorsatz) falsche Angaben zur Unfallfreiheit des Autos gemacht und somit seine Schutzpflicht schuldhaft verletzt. Der Schaden des K besteht in der Belastung mit einem nicht (in dieser Form) gewollten Kaufvertrag. K ist so zu stellen, wie er stünde, hätte G diese falschen Angaben nicht gemacht. Entweder wäre dann gar kein Kaufvertrag zustande gekommen oder aber es wäre K bei ordnungsmäßiger Aufklärung gelungen, einen für ihn günstigeren Vertrag abzuschließen. Da G keine Vertragspartei ist, kann er den Vertrag nicht aufheben. K kann von G aber zumindest die Wertdifferenz zwischen dem hypothetischen und dem tatsächlichen Kaufpreis verlangen.

4. K hat gegen G einen deliktischen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB.

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Nein, das trifft nicht zu!

Schadenersatzansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB scheiden aus, da das bloße Vermögen kein absolut geschütztes Recht darstellt. Ein Schadenersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB scheitert mangels Absicht stoffgleicher Bereicherung. Ein Anspruch aus § 826 BGB kommt bei entsprechendem Vorsatz in Betracht.

5. K kann den Kaufvertrag mit V wegen arglistiger Täuschung anfechten (§ 123 Abs. 1 BGB).

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Ja!

K wurde von G über die Unfallfreiheit des PKW getäuscht. Die Täuschung war auch arglistig, da G bedingt vorsätzlich eine Aussage „ins Blaue hinein“ tätigte. K unterlag insofern einem Irrtum und wurde dadurch zum Abschluss des Kaufvertrages veranlasst. G steht als Verkaufsvermittler auch „im Lager“ des V. Seine Täuschung wird V wie eine eigene Täuschung nach § 123 Abs. 1 BGB zugerechnet; G ist gerade nicht Dritter im Sinne des § 123 Abs. 2 BGB (dies ist nur jeder am Vertragsschluss gänzlich Unbeteiligte, vgl. Palandt-Ellenberger, 74. Aufl. § 123 Rdn. 13). K kann seine Willenserklärung gerichtet auf Abschluss des Kaufvertrages anfechten.

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TR

Tr(u)mpeltier

4.2.2020, 17:48:00

Ich hätte grds. zur Verwendung des Begriffes vorvertragliches schuldverhältnis bzw c.i.c. Im gesamten Kapitel eine Frage. Vielleicht liege ich ja falsch und gehe von einem falschen begriffsverständnis aus, aber nach meinem Kenntnisstand wurde die von der Rspr. entwickelte Figur der cic im Zusammenhang mit der Schuldrechtsmodernisierung nur in 311 Abs 2 kodifiziert. Die in Abs. 3 u.a. geregelteSachwalterhaftung hat damit nur entfernt etwas zu tun. Sie dehnt die Haftung im Vergleich zur cic nicht in zeitlicher, sondern vor allem in personeller Sicht aus. Insoweit halte ich es für irreführend bzw falsch, bei 311 abs 3 mit den Begriffen cic oder vorvertragliches schuldverhältnis zu arbeiten.

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

16.7.2020, 10:38:37

Hallo Trumpeltier, da die Haftung nach 311 III auch zeitlich vor Vertragsabschluss begründet wird, handelt es sich dabei auch um einen Fall der cic (vgl. Palandt-Grüneberg, 74. Aufl., 311 Rn. 60), die sogenannte "Dritt-culpa".

IH

Ihering92

15.4.2020, 13:46:13

Der Sachverhalt gibt nicht her, ob V die Täuschung kannte oder kennen musste (123 II BGB)..

Dennis Kostak

Dennis Kostak

20.6.2020, 20:41:03

V ist hier wohl der Halter des zu verkaufenden PKW. Also kann man sich denken, dass er über den Unfallschaden seines eigenen Fahrzeugs Kenntnis hat. =)

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

16.7.2020, 10:32:23

Hallo ihr beiden, danke für die Kommentare. Ganz wichtig - bitte beachtet, dass Dritter iSd § 123 II BGB nur jeder am Vertragsschluss gänzlich Unbeteiligte ist. Als Verkaufsvermittler steht G im Lager des V und ist gerade nicht Dritter. Die Täuschung des G wird V daher wie eine eigene zugerechnet! Der Anfechtungsgrund ist daher auch 123 I (NICHT II) BGB! Wir haben das, weil das sehr wichtig ist auch noch einmal zur Verdeutlichung in der letzten Antwort ausgeführt.

LA

Lalala

27.7.2020, 19:26:22

Wäre hier eine Haftung des G aus §831 BGB möglich?

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

28.7.2020, 17:46:58

Hallo Lalala164, danke für die gute Frage! Die Haftung nach § 831 BGB erfordert einen Verrichtungsgehilfe. Dies ist eine Person, die für einen Geschäftsherren in dessen Interesse tätig wird und abhängig von dessen Weisungen ist. Zwar könnte man hier daran denken, weil der Verkäufer sicher dem Vermittler einzelne (An)weisungen erteilt hat. Allerdings umfasst die Haftung nach 831 BGB nur die weisungsgebundenen Beschäftigung, mit einer gewissen Abhängigkeit. Klassischerweise der Arbeitnehmer. Bei einem Agenturgeschäft ist dies nicht anzunehmen.

GE

gelöscht

21.8.2020, 01:45:07

Es wäre noch ein Hinweis möglich, dass K auch gegen V über die c.i.c. vorgehen und so eine Vertragsaufhebung verlangen kann, da PV und Verschulden des G dem V über 278 BGB zugerechnet werden.

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

21.8.2020, 12:44:56

Hallo 18 Punkte Kandidat, danke für den Kommentar. Verstehe ich das richtig? Du würdest den Verkäufer V hier aus cic § 311 II BGB dem Käufer K gegenüber haften lassen, wegen eines Verschuldens des G. Du begründest das damit, dass G Erfüllungsgehilfe des V sei und deswegen sein Verschulden dem V zugerechnet werden soll. Stimmt das?

GE

gelöscht

21.8.2020, 13:21:31

Ja genau. Wenn der G die Vertragsverhandlungen für den V führt, dann wird er mit Wissen und wollen im Pflichtenkreis des V aus dem vorvertraglichen SV mit Pflichten nach 241 II tätig und verletzt diese durch das ins Blaue hinein raten.

Ira

Ira

3.11.2020, 15:17:39

Hier wieder wie bei der vorherigen Frage.. Antworten des Moderators nicht zufriedenstellend

QU

QuiGonTim

25.7.2022, 19:09:08

Könnte man G hier auch als Procurator in rem suam sehen? Als Vermittler hat er doch ein eigenes wirtschaftliches Interesse an dem Verkauf des Fahrzeugs.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

11.8.2022, 11:31:59

Hallo QuiGonTim, ein eigenes wirtschaftliches Interesse im Sinne des § 311 b Abs. 3 BGB ist nicht lediglich irgendein wirtschaftlicher Vorteil. Dies beschränkt sich auf auf Ausnahmefälle, in denen der Dritte bei den Verhandlungen im Grunde in eigener Sache tätig wird, etwa, weil er von vornherein die Absicht hat, die Gegenleistung des anderen Teils nicht an den Vertretenen weiterzuleiten, sondern für eigene Zwecke zu verwenden. Ein lediglich mittelbares wirtschaftliches Interesse, etwa in Gestalt von Provisionen oder Gewinnen der vertretenen Gesellschaft, reicht dagegen nicht aus. Daher scheidet G hier als procurator in rem suam aus. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Burumar🐸

Burumar🐸

30.10.2022, 12:59:27

Warum ist G hier nicht Erfüllungsgehilfe?

CR7

CR7

5.4.2023, 18:11:44

Wer sagt, dass er es nicht ist? :) G ist Erfüllungsgehilfe des V, da dieser für den V in seinem Pflichtkreis mit Wissen und Wollen tätig ist. Die Frage des Erfüllungsgehilfen ist jedoch nur für die Zurechnung von Verschulden relevant: Wenn V nicht wusste, dass der Wagen einen Unfallwagen hat und G bspw. garantiert, dass der Wagen unfallfrei ist, dann liegt hier eine (verschuldensunabhängige Garantiezusage, § 276 I S. 1 Hs. 2 BGB) vor und die Willenserklärung wird dem V zugerechnet. Aber zugleich besteht *neben* dem Anspruch K gegen V ein Anspruch K gegen G, weil dieser *nicht* auf die Schutzgüter des K Rücksicht genommen hat (§ 241 II) und derart viel Vertrauen für sich in Anspruch genommen hat und ein wirtschaftliches Intersse am Vertragsschluss hatte (§ 311 III), dass dieser eigentständig aus c.i.c. hierfür haftet. K darf das Geld nicht zweimal bekommen, so dass K und G nach § 840 BGB analog als Gesamtschuldner haften.


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