Strafrecht

BT 1: Totschlag, Mord, Körperverletzung u.a.

Totschlag, § 212 StGB

Beschleunigen des Todes eines nicht Lebensfähigen als "Tötung"

Beschleunigen des Todes eines nicht Lebensfähigen als "Tötung"

12. Februar 2025

9 Kommentare

4,7(15.123 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

S versucht im 6. Schwangerschaftsmonat eigenständig ihre Schwangerschaft abzubrechen. Dabei setzen Wehen ein und die Leibesfrucht wird ausgestoßen. Um den Tod des atmenden, aber nicht dauerhaft lebensfähigen Neugeborenen N zu beschleunigen, erstickt S es mit einem Kissen.

Diesen Fall lösen 98,4 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Beschleunigen des Todes eines nicht Lebensfähigen als "Tötung"

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das Neugeborene N ist ein "Mensch" (§ 212 Abs. 1 StGB).

Genau, so ist das!

Tatopfer der Tötungsdelikte (§§ 211-216 StGB) ist der Mensch als geborenes Leben. Der Gesetzgeber stellt hinsichtlich des Beginns des menschlichen Lebens auf die Geburt (Beginn der Eröffnungswehen) ab. Die Lebensfähigkeit des Neugeborenen ist nicht entscheidend. Die Einstufung als Mensch setzt lediglich voraus, dass das Kind – wenn auch nur für kurze Zeit (z.B. nach einer Frühgeburt oder einem Schwangerschaftsabbruch) – unabhängig von der Mutter lebt. N lebt nach der Geburt.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. S hat einen Menschen "getötet" (§ 212 Abs. 1 StGB).

Ja, in der Tat!

Töten bedeutet das ursächliche Herbeiführen des Todes. Es geht um die zurechenbare Verursachung des Todes durch eine beliebige Handlung, die dazu geeignet ist, das Leben des Opfers zu beenden. Die bloße Lebensverkürzung bzw. Beschleunigung des Todeseintritts reicht hierfür aus. Indem S den N erstickt hat, hat sie eine neue Kausalkette in Gang gesetzt. Ohne diese Handlung wäre N nicht durch Ersticken, sondern erst kurze Zeit später gestorben.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

ri

ri

8.8.2021, 23:40:33

Kann mir jemand das Verhältnis von

Schwangerschaftsabbruch

und Mord/Totschlag in diesen Fällen erklären? Soweit ich weiß, ist es umstritten.

S.

s.t.

1.9.2021, 10:07:15

Würde wohl den versuchten

Schwangerschaftsabbruch

durch Schwangere nach 218 I i.V.m. 218 III ansprechen, als auch

niedrige Beweggründe

, wobei die Frage ist, da keine schwere Gesinnung + hoher Strafrahmen dies doch zu verneinen wäre..

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

29.11.2021, 12:34:19

Hallo ihr beiden, der

Schwangerschaftsabbruch

und Mord/Totschlag bzgl. des Kindes stehen in einem Exklusivitätsverhältnis.

Tatbestand

lich kann nur einer der beiden Tatbestände erfüllt sein. Denn Mord/Totschlag setzen voraus, dass das Opfer ein Mensch im strafrechtlichen Sinne ist, während der

Schwangerschaftsabbruch

auf die "

Leibesfrucht

" abstellt. Nach überwiegender Auffassung wird die Schwelle mit Eintritt der Eröffnungswehen überschritten. Argumentiert wird insoweit damit, dass die vorherige symbiotische Beziehung zwischen Schwangerer und Fötus sich hier beginnt zu trennen und insofern der Übergang zum Menschsein beginnt (vertiefend zu anderen Ansichten: Merkel, in: NK-StGB, 5.A. 2017, § 218 RdNr. 31 ff). Der strafrechtliche "Menschbegriff" ist insofern ein anderer, als der verfassungsrechtliche (bereits mit Einnistung in die Eizelle). Beste Grüße, Lukas- für das Jurafuchs-Team

ANY

ANY

28.11.2021, 23:19:02

In der ersten Erklärung wird eine Lebensfähigkeit unabhängig von der Mutter beschrieben, während ansonsten auf die Eröffnungswehen abgestellt wird. Wie begründet dich diese Differenzierung?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

29.11.2021, 12:54:55

Hallo Any, in der Tat wird im Strafrecht die Schwelle zum Menschsein nach herrschender Auffassung in erster Linie durch den Beginn der Eröffnungswehen geprägt. Zuvor ist

tatbestand

lich nur der

Schwangerschaftsabbruch

möglich, danach nur die Kindstötung (Totschlag/Mord). Schwieriger ist allerdings die Frage zu beantworten, wie damit umzugehen ist, wenn ein

Schwangerschaftsabbruch

"versucht" wird, das Kind aber "lebend" zur Welt kommt. Denn wird ein "lebensfähiges" Kind geboren, so liegt allenfalls ein strafbarer Versuch des

Schwangerschaftsabbruch

vor. Sofern aber ein ersichtlich nicht lebensfähiges Kind zur Welt kommt, wird vertreten, dass in diesem Fall der Tod des Kindes noch dem

Schwangerschaftsabbruch

zuzuordnen sei. Es läge dann kein versuchter

Schwangerschaftsabbruch

(ggfs. in

Tateinheit

mit Totschlag) vor, sondern ein vollendeter

Schwangerschaftsabbruch

. Wie diese Trennung aber im Einzelnen vorgenommen werden kann, ist in der Rechtsprechung und Lehre nach wie vor ungeklärt (vgl. Merkel, in: NK-StGB, 5.A. 2017, § 218 RdNr. 75 ff). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Pilea

Pilea

12.2.2023, 15:13:24

Das heißt, hier wird auf die Handlung des Erstickens abgestellt, und nicht auf den

Schwangerschaftsabbruch

? Wie würde es sich mit den Konkurrenzen verhalten?

Edward Hopper

Edward Hopper

13.8.2023, 21:58:54

Ein

Schwangerschaftsabbruch

218 liegt ja gerade nicht vor

Mephisto

Mephisto

26.3.2024, 17:26:10

Allerdings liegt hier dem Grunde nach ein versuchter

Schwangerschaftsabbruch

t vor, der jedoch nach § 218 IV 2 StGB nicht strafbewährt ist.

JUDI

judith

6.1.2025, 15:53:25

Würde in solchen Fällen der Kindstötung, die unmittelbar nach der Geburt stattfinden, die Mutter aufgrund der psychischen und physischen Ausnahmesituation von

Strafmilderungsgründe

n §§ 212,

213 StGB

profitieren?


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen