Bedingter Tötungsvorsatz bei objektiv äußerst gefährlichen Tathandlungen, bei denen die Handlung nur noch zum Tod des Opfers führen kann


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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T stranguliert den O mit seinem Gürtel fünf Minuten lang. Danach wirft er den bewusstlosen O in die Büsche und läuft weg. O stirbt.

Einordnung des Falls

Bedingter Tötungsvorsatz bei objektiv äußerst gefährlichen Tathandlungen, bei denen die Handlung nur noch zum Tod des Opfers führen kann

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T hat den objektiven Tatbestand des Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) erfüllt.

Ja, in der Tat!

Der Tatbestand des Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) erfordert die Tötung eines Menschen. Töten bedeutet das ursächliche Herbeiführen des Todes. Das Verb "tötet" beinhaltet zugleich die Umschreibung von Tathandlung und Taterfolg. Indem T den O stranguliert hat, hat er kausal und objektiv zurechenbar dessen Tod herbeigeführt.

2. Für den subjektiven Tatbestand des Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) genügt bedingter Vorsatz.

Ja!

Vorsatz liegt vor, wenn der Täter mit dem Willen zur Verwirklichung des Straftatbestandes in Kenntnis aller objektiven Tatumstände handelt. Der Täter hat bedingten Vorsatz, wenn er sich mit dem als möglich erkannten Erfolg abfindet (Ernstnahmetheorie (h.L.)) bzw. den als möglich erkannten Erfolg billigend in Kauf nimmt (Billigungstheorie (Rspr.)).

3. T war bewusst (kognitives Element), dass die Möglichkeit besteht, dass O durch die Strangulation zu Tode kommt.

Genau, so ist das!

Vorsatz ist ein individuelles, subjektives Phänomen. Die Rechtsprechung rekonstruiert das Bewusstsein des Täters im Zeitpunkt der Tat wie folgt: (1) Offensichtlich lebensgefährliche Handlungen sind Indiz, dass der Täter die Möglichkeit des Erfolgseintritts erkannt hat. Es wird unterstellt, dass die Vorstellung darüber auch dem Täter als jedermann zur Verfügung stehendes Erfahrungswissen als sachgedankliches Mitbewusstsein zur Verfügung stand. (2) Für Tötungsdelikte gelte eine besonders hohe Hemmschwelle. Deshalb bleibe eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalls erforderlich. (3) Die Indizwirkung der Gefährlichkeit der Handlung kann erschüttert werden durch die konkrete Tatsituation, die Angriffsweise, die Beweggründe, die Gefährlichkeit der Tat, die psychische Verfassung und Persönlichkeit des Täters sowie die Situation des Opfers. Fünf Minuten langes Würgen ist objektiv hoch lebensgefährlich. Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die die Indizwirkung erschüttern könnten.

4. T hat billigend in Kauf genommen (voluntatives Element), dass O durch die Strangulation zu Tode kommt.

Ja, in der Tat!

Die Rechtsprechung rekonstruiert das Bewusstsein des Täters im Zeitpunkt der Tat wie folgt: (1) Offensichtlich lebensgefährliche Handlungen sind Indiz, dass der T den Todeseintritt billigend in Kauf genommen hat. (2) Für die Ermittlung ist eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalls erforderlich. (3) Der Täter billige trotz objektiv hochgefährlichen Handlungen den Todeseintritt dann nicht, wenn Anhaltspunkte darauf hindeuten, dass er ernsthaft darauf vertraut hat, das Opfer werde nicht zu Tode kommen. (4) Dies gelte ausnahmsweise dann nicht, wenn T weiß, dass nur noch ein glücklicher Zufall den Eintritt des Todes verhindern kann. BGH: Indem T den O über eine außerordentlich lange Dauer von 5 Minuten stranguliert habe, habe T sein Opfer in einer Weise verletzt, die ganz sicher – einem Stich ins Herz vergleichbar – zum Tod führte. Damit habe die Drosselung nur noch zur Tötung führen können. Ein Vertrauen auf den Nichteintritt des Todes sei bei Vornahme einer solch gefährlichen Handlung ausgeschlossen (RdNr. 3).

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DAR

Dario

28.7.2020, 15:31:17

Ist dann nicht schon von Mord die Rede? Motiv ist gegeben, das 5 minütige Strangulieren reicht da ja schon aus.

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

28.7.2020, 16:26:16

Hallo Dario! Mord unterscheidet sich von Totschlag durch das Vorliegen von Mordmerkmalen. Bei diesem kurzen Sachverhalt sehe ich keines der in Frage kommenden Mordmerkmale (Heimtücke, Grausamkeit) als gegeben an.

N00B

n00b

22.2.2022, 23:26:30

Etwas irreführend. Weder enthält der SV Indizien für Tötingseventualvorsatz, noch kann dieser überhaupt "unterstellt" werden. Ferner ist die Abwägung aller für und gegen das Vorliegen von Tatsachen sprechender Umstände stets und bei jedem Delikt erforderlich.

N00B

n00b

22.2.2022, 23:29:55

(Versehentlich beim obj. TB gepostet, meinte das in Bezug auf das billigend Inkaufnehmen)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

23.2.2022, 15:48:00

Danke n00b, grundsätzlich hast Du völlig recht, dass es für die Prüfung neben Angaben zur objektiven Tathandlung auch Angaben zur subjektiven Tatbestandsseite bedarf. Die Gefährlichkeit der Tathandlung ist dabei regelmäßig lediglich ein Indiz für das Vorliegen des entsprechenden Eventualvorsatzes. Eine Ausnahme hat der BGH in diesem besonderen Fall gemacht. Hier hat er ausgeführt, dass auch ohne Hinzutreten weiterer Darlegungen zu der inneren Tatseite allein aus der Gefährlichkeit der Handlung der Eventualvorsatz abzuleiten ist, wenn die Handlung "ganz sicher zum Tode führe". Nur - und wirklich nur - in diesem Ausnahmefall, kann man also auf weitere zusätzliche Angaben zur inneren Tatseite verzichten. In allen anderen Fällen hast Du völlig recht, dass die Gefährlichkeit der Tathandlung lediglich ein Indiz ist und in der Gesamtschau mit übrigen Indizien zu würdigen ist. Dies wird vor allem im Referendariat bei der Staatsanwaltsklausur relevant. Für das erste Examen helfen noch Signalwörter, wie "vertraute darauf, dass der Erfolg ausbleibt" (=bewusste Fahrlässigkeit) oder "nahm den Erfolg billigend in Kauf" (=Eventualvorsatz). Beste Grüße, lukas - für das Jurafuchs-Team

N00B

n00b

6.3.2022, 07:03:03

Besten Dank für die schnelle Antwort, jetzt kann ich mit dem Fall etwas anfangen.

MARE

Malte Reinhart

6.6.2024, 21:57:07

Damit man eindeutig den Vorsatz bejahen kann, fehlen hier Angaben im Sachverhalt.

TI

Timurso

6.6.2024, 22:06:38

Siehe die Erklärung von Lukas im Kommentar darunter. Kurz zusammengefasst: Im 1. Examen hat man diese Angaben für gewöhnlich, ja. Dieser Fall bildet mehr die Praxis ab, wo die Gerichte oft keine Anhaltspunkte bezüglich des Vorsatzes haben. Dafür hat der BGH die hier dargestellten Grundsätze aufgestellt, um (mangels Möglichkeit, in die Leute reinzuschauen) von objektiven Umständen auf den Vorsatz zu schließen.


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