Anfängliche Rechtsgrundlosigkeit, § 812 Abs.1 S.1 Alt.1 (Anfechtung)


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V verkauft K formwirksam eine Immobilie. V behauptet wahrheitswidrig, die Immobilie werde sich (wg. Steuerersparnis und Mieteinnahmen) von selbst tragen. K überweist den Kaufpreis. Als er die Täuschung erkennt, erklärt K die Anfechtung.

Einordnung des Falls

Anfängliche Rechtsgrundlosigkeit, § 812 Abs.1 S.1 Alt.1 (Anfechtung)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K kann seine Willenserklärung, gerichtet auf den Abschluss des Kaufvertrags über die Immobilie, anfechten, wenn V ihn durch arglistige Täuschung zur Abgabe bestimmt hat (§ 123 Abs. 1 BGB).

Ja!

§ 123 BGB ermöglicht es, eine Willenserklärung anzufechten, wenn infolge missbilligenswerten Verhaltens des Geschäftsgegners die Freiheit der Willensentschließung des Erklärenden fehlte. Die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung setzt voraus: (1) Der Geschäftsgegner muss den Erklärenden getäuscht haben, (2) die Täuschung muss sich auf Tatsachen beziehen, (3) widerrechtlich gewesen sein und (4) zu einem Irrtum des Getäuschten geführt haben, der (5) mitursächlich war für die Abgabe der Willenserklärung. (6) Arglist erfordert einen Täuschungswillen, aber im Gegensatz zum Betrug (§ 263 Abs. 1 StGB) keinen Schädigungsvorsatz.

2. Bei der Aussage des V, dass sich die Immobilie mit der Steuerersparnis und den Mieteinnahmen von selbst tragen werde, handelt es sich um eine Tatsache (§ 123 Abs. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Der Umstand, dass sich eine Immobilie von selbst tragen wird, ist eine Prognose. Prognosen sind grundsätzlich von Unsicherheiten geprägt und deswegen nicht dem Beweis zugänglich. Anderes gilt, wenn diese Angaben einen nachprüfbaren Tatsachenkern enthalten oder der Erklärende über seine innere Überzeugung hinwegtäuscht. Wenn V für den Kauf einer Eigentumswohnung mit dem Argument wirbt, dass sich das Objekt aus Mieteinnahmen und Steuervorteilen selbst tragen werde, so handelt es sich dabei nicht um unverbindliche werbemäßige Anpreisungen, sondern um objektiv nachprüfbare Angaben.

3. K kann seine Willenserklärung, gerichtet auf den Abschluss des Kaufvertrags über die Immobilie, wirksam anfechten (§ 123 Abs. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

V hat K widerrechtlich über Tatsachen getäuscht. K unterlag infolgedessen einem Irrtum, der ihn zur Abgabe der Willenserklärung veranlasst hat. Da V wusste, dass die Steuervorteile und Mieteinnahmen die Immobilienkosten nicht übersteigen und er K hierüber täuschen wollte, handelte er auch arglistig.

4. V hat „etwas erlangt“ (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).

Ja!

„Etwas“ im Sinne von § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB ist jede vorteilhafte Rechtsposition. Der Vorteil muss tatsächlich in das Vermögen des Schuldners übergegangen sein. Man kann vier Kategorien unterscheiden: (1) Rechte (z.B. Eigentum), (2) vorteilhafte Rechtsstellungen (z.B. Besitz), (3) Befreiung von Verbindlichkeiten, (4) erlangte Nutzungen an fremden Sachen oder Rechten. V hat dadurch eine Gutschrift auf seinem Konto und die Verfügungsgewalt über diesen Betrag erlangt. In der Gutschrift auf seinem Konto liegt rechtlich ein abstraktes Schuldversprechen seiner Bank, ihm im Kontokorrent einen Betrag in Höhe des Kaufpreises 300.000 € zu schulden, und zwar unabhängig vom zugrundeliegenden Kausalverhältnis der Überweisung.

5. V hat die Gutschrift auf seinem Konto „durch Leistung“ des K (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB) erlangt.

Genau, so ist das!

Eine Leistung ist jede bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens. Für das Leistungsbewusstsein ist ein rechtsgeschäftlicher Wille nicht erforderlich. Es genügt natürliche Einsichtsfähigkeit. K wollte mit der Überweisung seine Verbindlichkeit aus dem Kaufvertrag begleichen (solvendi causa). Er hat dazu bewusst und zielgerichtet das Vermögen des V gemehrt.

6. Infolge einer Anfechtung fehlt der Rechtsgrund der Leistung von Anfang an. Die Rückabwicklung erfolgt nach der condictio indebiti (§ 812 Abs. 1 S. 1. Alt. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Ob der Rechtsgrund bei einer Anfechtung von Anfang an fehlt (dann condictio indebiti) oder nachträglich wegfällt (dann condictio ob causam finitam), ist umstritten. Die hM wendet die condictio indebiti an, da § 142 Abs. 1 BGB klarstellt, dass die Anfechtung das anfechtbare Rechtsgeschäft „von Anfang an (ex tunc) entfallen lässt. Der Streit ist im Ergebnis unerheblich, solange der Leistende seine Nichtschuld nicht kennt (§ 814 BGB). Der BGH hat die Frage deshalb offen gelassen.f

7. K hat die Leistung an V „ohne rechtlichen Grund“ (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB) erbracht.

Ja!

Es gibt keine einheitliche Definition der Rechtsgrundlosigkeit, die für alle Leistungskondiktionen gelten würde. Es sind zu unterscheiden: (1) anfängliches Fehlen einer Verbindlichkeit (condictio indebiti), (2) Rechtsgrund bestand, ist aber nachträglich entfallen (condictio ob causam finitam), (3) Leistung verfolgt einen Zweck, der über Befreiung von einer Verbindlichkeit hinausgeht (condictio ob rem) und (4) Gesetzes- oder Sittenverstoß des Leistungsempfängers (condictio ob turpem vel iniustam causam). Zu 1:Bei der condictio indebiti fehlt der Rechtsgrund, wenn der mit der bewussten Vermögensmehrung verfolgte Zweck verfehlt worden ist. Mit der Überweisung wollte K von seiner Kaufpreiszahlungspflicht frei werden. Diese Pflicht bestand infolge seiner Anfechtung ex tunc nicht. Der Zweck ist damit verfehlt.

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DIAA

Diaa

24.8.2023, 14:39:22

Wieso wird auf die Überweisung und nicht auf den Vertrag abgestellt 😅

BENED

Benedikt

30.9.2023, 09:44:05

Du meinst warum die Leistung nicht in der Abgabe der zur Zahlung des Kaufpreises verpflichtenden Willenserklärung liegt?

BENKE

BenKenobi

20.11.2023, 22:29:58

Der Vertragsabschluss, bzw. die sich daraus ergebende Forderung könnte als obligatorisches Recht ein "Etwas" sein, allerdings wäre ein Bereicherungsanspruch hier angesichts der Zielsetzung verfehlt. Ziel ist nicht die Forderung aus dem Vertrag, sondern die Rückerstattung des Kaufpreises. Daher ist es richtig, den Vertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten und den Bereicherungsgegenstand, also das erlangte etwas nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zu verlangen. Anstelle einer Anfechtung wäre es auch möglich, Schadensersatz in Form der Vertragsaufhebung nach §§ 280 I, 241 II, 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB oder §

826 BGB

zu fordern und dann § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB geltend zu machen.

AR

Artimes

20.2.2024, 10:55:12

Warum ist §

814 BGB

nur auf die condictio indebeti und nicht auf die condictio ob causam finitam anwendbar?

luzienator

luzienator

29.3.2024, 20:21:12

Der Ausschluss der Rückforderung des §

814 BGB

bezieht sich nur auf Fälle, in denen im Zeitpunkt der Leistung keine Verpflichtung zur Leistung bestand. Bei der Conditio ob causa finitam, steht beim Zeitpunkt der Leistung nicht fest, dass keine Verpflichtung zur Leistung besteht, da der Grund eben erst später wegfällt.

PH

Phil

9.6.2024, 12:29:21

Vielleicht könnte hier noch im Sachverhaltstext dazugeschrieben werden, wie hoch der Verkaufspreis ist und, dass der V diesen durch Überweisung erlangt. Dies erschließt sich nämlich erst durch einen Erklärungtext unter einer der Fragen.

PH

Phil

9.6.2024, 12:30:20

nachtrag: die Überweisung steht im Text ;) damit hat es sich mehr oder weniger erledigt. lg

LELEE

Leo Lee

10.6.2024, 05:48:53

Hallo Phil. Vielen Dank für dein Feedback! In der Tat könnte hier auch er Verkaufspreis stehen. Wir haben allerdings bei dieser Aufgabe darauf verzichtet, weil die Höhe des Verkaufspreises an sich keine Relevanz hat bzgl. der Täuschung durch den V. Falls du etwas anderes gemeint haben solltest, freuen wir uns auf eine kurze Rückmeldung :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

STE

Stella2244

27.6.2024, 15:11:10

Im Antworttext ist von 300.000€ die Rede, diese Zahl geht nicht aus der Aufgabe hervor. Ist aber auch nicht wichtig, trotzdem eine kleine Ungenauigkeit, könnte man also entweder in der Antwort weglassen oder mit in die Aufgabe aufnehmen


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