Anfechtung wegen Aberglaubens?

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

G bucht per E-Mail ein Hotelzimmer. Dabei vertippt er sich und fragt anstelle seines „Stammzimmers 31 das gleichwertige Zimmer 13 an. Zimmer 13 möchte er jedoch nicht bewohnen, weil er meint, die Zahl 13 bringe Unglück.

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Einordnung des Falls

Anfechtung wegen Aberglaubens?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Wer in einem Hotel übernachtet, schließt einen typengemischten Vertrag (Beherbergungsvertrag) ab.

Ja, in der Tat!

Der Beherbergungsvertrag ist ein typengemischter Vertrag. Er enthält Elemente verschiedener Verträge: des Mietvertrages (§§ 535 ff., Zimmervermietung), des Kaufvertrags (§§ 433 ff., Speisen, Getränke), des Dienstvertrages (§§ 611 ff., Hotelservice, Bedienung), des Werkvertrages (§§ 631 ff., Halbpension) und des Verwahrungsvertrag (§§ 688 ff., im Zimmer belassene Gegenstände). Die rechtliche Behandlung richtet sich nach dem im Vordergrund stehenden Vertragstypus (sog. Absorptionsmethode). Der Beherbergungsvertrag ist damit regelmäßig nach den Regeln des Mietrechts zu beurteilen.
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2. G unterlag beim Absenden der E-Mail einem Erklärungsirrtum (§ 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB).

Ja!

Der Erklärungsirrtum (§ 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB) bezeichnet das unbewusste Auseinanderfallen von objektiv Erklärtem und subjektiv Gewolltem dadurch, dass der Erklärende eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn sich der Erklärende verschreibt, vergreift, verspricht, vertippt oder Ähnliches. Das Vertippen bei Abgabe der Willenserklärung mittels E-Mail stellt einen solchen Erklärungsirrtum dar.

3. G kann seine Willenserklärung wegen eines Erklärungsirrtums anfechten, obwohl beide Zimmer gleichwertig sind.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Erklärende kann die Erklärung nur anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde.“ (§ 119 Abs. 1 BGB). Das bedeutet, dass der Irrtum für die Abgabe der Willenserklärung ursächlich gewesen sein muss. Das Merkmal der „verständigen Würdigung des Falles“ verlangt zudem eine objektive Erheblichkeit des Irrtums. Die Rechtsprechung stellt auf die Sicht eines verständigen Menschen „frei von Eigensinn, subjektiven Launen und törichten Anschauungen“ ab. Ein solcher hätte auch Zimmer 13 gebucht, wenn er gewusst hätte, dass es mit Zimmer 31 identisch ist. Der Irrtum war daher nicht erheblich.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JO

JohannesU

16.1.2022, 17:36:17

Wenn es dem G doch aber konkret um die unglückbringende 13 geht, die er vermeiden möchte, dann hätte er doch selbst bei identischer Ausstattung der beiden Räume die 13 vermieden. Der Erklärungsirrtum ist doch dann gerade erheblich.

JUL

Julian_wrm

16.1.2022, 19:36:09

Lieber JohannesU, du musst noch die objektive Erheblichkeit des Irrtums berücksichtigen. Diese ist in diesem Fall nicht gegeben.

JO

JohannesU

16.1.2022, 19:50:34

Hallo Julian, Danke für die Antwort. Voraussetzung ist doch aber, dass der Erklärende sich bei Kenntnis der tatsächlichen Sachlage bzw. ohne Vorliegen des Irrtums etwas anderes erklärt hätte. Das heißt es kommt doch in erster Linie gerade auf subjektive Elemente bzw. die Sicht des Erklärenden an. Hier hätte G eben „31“ gebucht und nicht „13“, wenn er seinen Irrtum erkannt hätte. Welches Motiv letztlich dahinter steht, ist doch nicht relevant oder?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

17.1.2022, 17:10:29

Hallo Johannes, in der Tat spricht § 119 Abs. 1 BGB zunächst von der "Kenntnis der Sachlage". Bei dieser hätte G das Zimmer nicht gebucht. Gleichzeitig verlangt die Norm, dass die Erklärung bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben worden wäre. Hieraus folgert ein großer Teil der Literatur, dass nicht jeglicher Aberglaube und subjektive Laune einen Anfechtungsgrund darstellt. Nach überwiegender Auffassung ist in diesen besonderen Fällen das Motiv durchaus relevant. Teilweise (zB Rehberg, in BeckOGK, 1.12.2021, BGB, § 119 RdNr. 49.1) wird aber selbst ein irrationales Motiv als ausreichend für die Anfechtung erachtet, wenn ein Erklärungsirrtum vorliegt. Beste Grüße, Lukas -für das Jurafuchs-Team

QUIG

QuiGonTim

11.9.2023, 22:06:56

Widerspricht diese Auslegung des Merkmals der „verständigen Würdigung“ nicht dem Grundsatz der Privatautonomie? Denn so wird dem einzelnen vorgegeben, welche Beweggründe zur Anfechtung berechtigen.

Simon

Simon

26.10.2023, 23:06:45

Sicherlich liegt hierin eine Einschränkung der Privatautonomie. Allerding sollen die §§ 116 ff. gerade einen Ausgleich zwischen Privatautonomie und Verkehrsschutz erreichen. So berechtigt ja auch nicht jeder Irrtum zur Anfechtung - was die Privatautonomie am besten verwirklichen würde - sondern nur ein solcher iSd § 119. Vir diesem Hintergrund finde ich die normative Einschränkung hier durchaus konsequent.

Dr. Festd

Dr. Festd

13.6.2024, 08:42:22

Scheint es nicht unmöglich, dass die Zimmer identisch sind? Schon die Lage innerhalb des Gebäudes muss unterschiedlich sein. Bei lebensnaher Auslegung scheint es nur möglich, dass die Ausstattung zwar identisch ist aber nicht die Lage des Raumes, sodass ein anderer Blickwinkel aus eventuell vorhandenen Fenster vorliegen würde. Mir ist durchaus bewusst, dass es sich hierbei in der Klausur um eine unzulässige Sachverhaltsausdehnung handeln würde, sofern allerdings nicht der eindeutige Hinweis im Sachverhalt steht, dass die Zimmer "identisch" sind könnte man allerdings zu einem, zur Anfechtung berechtigenden, Erklärungsirrtum kommen mMn.

TI

Timurso

13.6.2024, 09:23:44

Wenn man es ganz wörtlich nimmt, ist "identisch" hier wohl das falsche Wort, ja. Im Sacherverhalt steht ja aber auch nur "gleichwertig". Wenn du es dadurch ersetzt, sind die Ausführungen richtig. An der Beurteilung im Rahmen der verständigen Würdigung ändert das nichts. Eine etwas andere Lage und Ausblick würden einen verständigen Hotelbesucher ebenso wenig von einem Vertragsschluss abbringen wie die Zahl "13".

Dr. Festd

Dr. Festd

13.6.2024, 09:35:56

Verstehe, vielen Dank für die Anmerkung. Ich denke diese Argumentation lässt sich durchaus sehen. Hier kommt es dann wohl darauf an, inwiefern Abweichungen vorhanden sind. Bei wenigen Anmerkungen dazu im Sachverhalt wird die Lösungsskizze wohl darauf abzielen, dass man zu dem von dir angesprochenen Ergebnis kommt.

WI

Wirst12

26.6.2024, 13:24:01

Liebes Jurafuchs-Team, wäre es möglich, dass eine religiös motivierte Anfechtung, anders als beim Aberglauben, die Erheblichkeit des Irrtums steigert? Denkbar wäre z.B ein nach Osten gerichtetes Zimmer (Gebet, Muslime) Wo zieht man die Grenze? Mir scheint der Auslegungsspielraum sehr unbestimmt. Mit freundlichen Grüßen

AN

Antonia

29.8.2024, 17:01:36

Das würde mich auch interessieren!

Skra8

Skra8

13.9.2024, 10:52:38

Hi @[Wirst12](231669) und @[Antonia](79449), Vorweg: Die Frage der Anfechtung im vorliegenden Fall (hier: Der Erklärende möchte Zimmer 31 buchen, vertippt sich aber und erklärt, er möchte Zimmer 13) wird nicht einheitlich so bewertet, wie es im Kapitel dargestellt wird. Es gibt durchaus Stimmen, die eine Anfechtung gerade wegen dieser Verwechslung annehmen (BeckOGK/Rehberg, 1.6.2024, BGB § 119, beck-online). Entsprechend würde ich das besonders bei religiös motivierten Anfechtungen relativ locker durchwinken, wenn es sich um etablierte Religionsgemeinschaften handelt; gerade hier fehlt es ja am Eigensinn, der subjektiven Laune oder der törichten Anschauung. Anders wird es in den Fällen sein, wo einzelne eine „Religion“ leben. Es gibt im Grundrechtskapitel zu Art. 4 Abs. 1, 2 GG einen Fall, in dem der Betroffene einen Aluhut trägt. Hier wäre – wie ich persönlich meine – unstreitig Eigensinn anzunehmen. Wie und wo man die Grenze zieht, habe ich in einem anderen Thread zu der Frage vergleichsweise größer aufgegriffen, falls es Euch darüber hinaus noch interessiert.

eichhörnchen II

eichhörnchen II

1.9.2024, 12:12:51

Ich verstehe die Argumentation des Gerichts, halt es aber durchaus für diskussionswürdig, ob hier auf Eigensinn, eine subjektive Laune oder „törichte Anschauungen“ abzustellen ist. Zweifelsfrei handelt es sich um Aberglaube, allerdings einen (insbesondere in der „westlichen“ Welt) extrem verbreiteten Aberglauben. Weil die Zahl 13 im Volksmund als Unglückszahl gilt, lassen viele Hotels sie auch aus und springen direkt von 12 auf 14. Wie wird denn beurteilt, ab wann ist eine Anschauung denn als töricht oder eigensinnig einzustufen ist? Was wäre, wenn eine Erhebung ergeben würde, dass der Großteil der Bevölkerung nicht in Zimmer 13 nächtigen will?

Skra8

Skra8

13.9.2024, 10:38:17

Hi @[eichhörnchen II](210324), Du hast meiner Ansicht nach einen sehr validen Punkt und sprichst einen – auch wenn er für die Prüfungspraxis nicht von enormer Bedeutung ist – heiklen Aspekt an. Vorweg: Dein Störgefühl täuscht Dich nicht. Die Frage der Anfechtung im vorliegenden Fall (Hier: Der Erklärende möchte Zimmer 31 buchen, vertippt sich aber und erklärt, er möchte Zimmer 13) wird nicht einheitlich so bewertet, wie es im Kapitel dargestellt wird. Es gibt durchaus Stimmen, die eine Anfechtung gerade wegen dieser Verwechslung annehmen (BeckOGK/Rehberg, 1.6.2024, BGB § 119, beck-online). Der Punkt ist heikel, da hier unterschiedliche und gewichtige Interessen aufeinandertreffen: Auf der einen Seite steht der individualistisch-liberale Charakter des BGB, also der Anspruch des BGB, das Partei- und nicht das Kollektivinteresse zu schützen (BeckOGK/Rehberg, 1.6.2024, BGB § 119 Rn. 51.2, beck-online). Auf der anderen Seite sollen die subjektiven Launen des Irrenden jedoch nicht zulasten des anderen Teils gehen (MüKoBGB/Armbrüster, 9. Aufl. 2021, BGB § 119 Rn. 151, beck-online), denn auch dieser ist schutzwürdig. Es ist also, wie so oft, problematisch, aber in der Klausur eher dankbar; solange Du nicht völlig abwegig argumentierst, wird das Ergebnis letztlich keine große Rolle spielen. Wichtig zu wissen ist, dass die verbreitete Ansicht stärker auf die „Wirtschaftlichkeit“ abstellt. Ich finde hierzu die Passage von Wendtland im BeckOK (BeckOK BGB/Wendtland, 71. Ed. 1.8.2024, BGB § 119 Rn. 45, beck-online) sehr treffend: „Erleidet der Erklärende durch den Irrtum keinen wirtschaftlichen Nachteil, wird ein Einfluss des Irrtums auf die Abgabe der Erklärung bei verständiger Würdigung regelmäßig verneint (Grüneberg/Ellenberger Rn. 31); das gilt jedoch nicht ohne weiteres in jedem Fall, da der rein wirtschaftliche Erfolg nicht zwangsläufig für jedes Geschäft allein maßgeblich ist (BGH NJW 1

988

, 2597 (2599)).“ Vielleicht hilft Dir diese Einordnung?


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