Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Objektive Zurechnung

Eigenverantwortliches Dazwischentreten eines Dritten („Amoklauf von Winnenden“)

Eigenverantwortliches Dazwischentreten eines Dritten („Amoklauf von Winnenden“)

9. Juli 2025

11 Kommentare

4,7(44.180 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
Tags
Klassisches Klausurproblem

V bewahrt - ohne die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen (nach § 36 Abs. 1 WaffG) - seine Schusswaffe offen zugänglich im Kleiderschrank im Schlafzimmer auf. Sein minderjähriger Sohn S erschießt mit der Waffe 15 ehemalige Mitschüler und Lehrer.

Diesen Fall lösen 79,0 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Amoklauf von Winnenden, BGH NStZ 2013, 238 (Eigenverantwortliches Dazwischentreten eines Dritten)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. V hat den Tod der 15 Menschen kausal verursacht.

Ja!

Rspr. und hL bestimmen die Kausalität überwiegend nach der Äquivalenztheorie (= conditio-sine-qua-non-Formel). Eine Handlung ist danach kausal, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.Hätte V seine Waffe nicht offen zugänglich im Kleiderschrank aufbewahrt, hätte S die 15 Menschen damit nicht erschossen.
Strafrecht-Wissen in 5min testen
Teste mit Jurafuchs kostenlos dein Strafrecht-Wissen in nur 5 Minuten.

2. Im Erfolg hat sich eine neue, von S eigenverantwortlich geschaffene Gefahr realisiert, die die objektive Zurechnung gegenüber V ausschließt.

Nein, das ist nicht der Fall!

Beim eigenverantwortlichen Dazwischentreten eines Dritten ist nach Verantwortungsbereichen abzugrenzen. Knüpft er an das Verhalten des Ersttäters dergestalt an, dass er eine neue, selbstständig auf den Erfolg hinwirkende Gefahr schafft, die sich dann allein im Erfolg realisiert, ist der Erfolg ausschließlich ihm zuzurechnen. Wenn aber die vom Ersttäter gesetzte Gefahr gerade das Risiko des Eingreifens Dritter beinhaltet, ist die objektive Zurechnung gegenüber dem Ersttäter zu bejahen.V hat Sicherheitsvorschriften verletzt, welche gerade dem Schutz vor Straftaten Dritter dienen. Die von V gesetzte Gefahr umfasst mithin die tödlichen Schüsse des S, die aus V's Waffe abgefeuert wurden. S hat gerade keine völlig neue Gefahr begründet.
Dein digitaler Tutor für Jura
Strafrecht-Wissen testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

GEL

gelöscht

10.4.2022, 14:34:06

An dieser Beurteilung ändert sich auch nichts, wenn nicht der Sohn, sondern irgendein Einbrecher bzw. eine haushaltsfremde Person die unzulänglich gesicherte Waffe an sich nimmt und damit jemanden erschießt, oder?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

11.4.2022, 16:40:47

Hi streuner, auch in dem von Dir gebildeten Fall wäre durch eine ordnungsgemäße Sicherung der Zugriff auf die Waffe erschwert worden. Insoweit wäre aufgrund der Verletzung der Sorgfaltspflicht auch in diesem Fall eine objektive Zurechnung möglich. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

IS

IsiRider

8.11.2023, 18:05:49

Zumal Waffe und Munition getrennt und gesichert zu lagern sind, soweit ich weiß.

Edward Hopper

Edward Hopper

5.7.2022, 18:21:41

Liebes Jura Fuchs Team. Ich verstehe dass die Fälle recht einfach gestaltet sind um Probleme genauer einzugrenzen allerdings hat mich hier die Antwort überrascht und ich habe mir das Urteil und den Aufsatz durchgelesen. Tatsächlich geht es hier hier um den Amoklauf von Winnenden. Der BGH hat explizit offen gelassen ob die obj. Zur. zu bejahen ist wenn (wie hier im Jurafuchs Fall) keine mentalen Auffälligkeiten vorliegen, sondern bejahte dies jedenfalls im Originalfall, da hier der Sohn mehrmals Tötungsphantasien äußerte, psychisch labil war und mehrmals in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht war. Im Aufsatz wird die obj Zurechnung einfach verneint jedoch deutlich gemacht, dass dies nicht unumstritten ist. Hier wäre ein kurzer Vermerkt gut dass zusätzliche Umstände dazukamen im Originalfall und (nur) ein Verstoß gegen das WaffenG eben nicht die obj. Zur. Bejaht bzw es auf den Einzelfall ankommt.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

19.7.2022, 16:29:44

Hallo Edward Hooper, vorliegend ist nur ein Teil des strafrechtlichen Prüfungsschemas Teil unseres Falls. Unsere Methode ist es, dass sich die Nutzer peu a peu die einzelnen Elemente einer strafrechtlichen Prüfung erarbeiten. Dafür werden manche Originalfälle verkürzt dargestellt, weil es für die konkrete Aufgabe auf den Rest nicht ankommt. So auch hier. Für die, die sich vertieft damit beschäftigen möchten sind die Vertiefungshinweise gedacht. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

sy

sy

15.3.2025, 16:40:12

@[Nora Mommsen](178057) sorry, jedoch finde ich, dass diese Antwort nicht angemessen ist. Die Umstände die der Kollege dartut wären super als weitere Frage der Einarbeitung zugänglich. Das Anliegen hatte einen konkreten und relevanten Bezug zu der Frage, ob eine objektive Zurechenbarkeit angenommen werden kann oder nicht. Ein pauschaler Hinweis auf didaktische Motivation passen nicht , meiner Meinung nach , zu dem Lehrbild von Jurafuchs, welchem ich einen hohen Stellenwert beimesse.

Tim Gottschalk

Tim Gottschalk

18.6.2025, 09:50:29

Hallo @[Edward Hopper](174080) und @[sy](30718), die nicht auf eure Punkte eingehende Antwort von Nora möchte ich ent

schuld

igen. Ich sehe es aber anders als @[Edward Hopper](174080): Der BGH hat sich zur objektiven Zurechnung gar nicht in dem Urteil geäußert. Was du ansprichst, thematisiert der BGH im Hinblick auf die für die Fahrlässigkeitsstrafbarkeit erforderliche Vorhersehbarkeit des Erfolges. "Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass die Annahme der Strafkammer, der Angeklagte hätte voraussehen können, dass sein Sohn als Folge der unzulänglichen Sicherung von Waffen und Munition auf Menschen schießen wird, nicht notwendig davon abhängig sein muss, wie präzise die Kenntnis des Angeklagten über das Maß der psychischen Erkrankung seines Sohnes war. Schon diese unzulängliche Sicherung von Waffen und Munition unter Verstoß gegen die spezifischen waffenrechtlichen Aufbewahrungspflichten kann den Vorwurf der Fahrlässigkeit für Straftaten begründen, die vorhersehbare Folge einer ungesicherten Verwahrung sind. Für die Vorhersehbarkeit könnte hier zudem ...". Das hat mit der objektiven Zurechnung nichts zu tun. Auch der Aufsatz verneint die Zurechnung nicht, sondern bejaht diese: "Das Risiko dieser Tat hat Jörg K. durch sein sorgfaltspflichtwidriges Verhalten geschaffen. Im Tod der 15 von Tim K. erschossenen Menschen hat sich dieses Risiko realisiert. Dies ist Jörg K. objektiv zuzurechnen. Deshalb ist er wegen fahrlässiger Tötung strafbar.". Ich würde daher sagen, dass die herrschende Meinung in unserem Fall richtig dargestellt ist. Für die objektive Zurechnung kommt es nicht darauf an, ob der Erfolg vorhersehbar ist (mit Ausnahme des atypischen Kausalverlaufs vielleicht, aber wenn es die Pflicht des Täters ist, die Waffen vor anderen zu sichern, damit die damit keinen Unfug treiben, wird es wohl kaum ein

atypischer Kausalverlauf

sein, wenn genau das eintritt). Liebe Grüße Tim - für das Jurafuchs-Team

HA03

Harvey Specter 03

15.3.2025, 12:08:45

Liebes Team, folgender, zugegeben etwas kleinkarierter, Hinweis: Die Formulierung XY hat etwas "kausal verursacht" ist eine Redundanz. Verursachung meint immer Kausalität. Strenggenommen wird hier also gesagt: XY ist kausal kausal geworden. Daher böte es sich m.E. an, von "hat verursacht" oder "ist kausal geworden" und nicht von beidem zugleich zu sprechen.


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community
Dein digitaler Tutor für Jura
Strafrecht-Wissen testen