Zivilrecht
BGB Allgemeiner Teil
Anfechtung der Willenserklärung
Error in obiecto: Rindfleisch/Pferdefleisch
Error in obiecto: Rindfleisch/Pferdefleisch
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
K bestellt in der Metzgerei des M eine Salami. Dabei übersieht sie, dass es sich um eine Pferdefleischmetzgerei handelt. Üblicherweise wird Salami aus Schweinefleisch hergestellt.
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Einordnung des Falls
Error in obiecto: Rindfleisch/Pferdefleisch
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. K und M haben einen Kaufvertrag über eine Salami vom Pferd geschlossen (§ 433 BGB).
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. K kann ihre Willenserklärung wegen eines Eigenschaftsirrtums anfechten (§ 119 Abs. 2 BGB).
Ja, in der Tat!
3. Ein Irrtum über Eigenschaften einer Sache ist zugleich ein Inhaltsirrtum, wenn die Eigenschaften Bestandteil der abgegebenen Willenserklärung geworden sind.
Ja!
4. K unterlag einem Inhaltsirrtum (§ 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB).
Genau, so ist das!
5. Der Eigenschaftsirrtums (§ 119 Abs. 2 BGB) schließt als lex specialis eine Anfechtung wegen eines Inhaltsirrtums aus.
Nein, das trifft nicht zu!
Jurastudium und Referendariat.
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Daniel
9.4.2022, 19:14:22
Ist hier nicht eine Anfechtung wegen des Vorranges der kaufrechtlichen Mängelgewährleistung ausgeschlossen, zumindest bezüglich § 119 Abs. 2 BGB?
Lukas_Mengestu
11.4.2022, 16:56:31
Hallo Daniel, sofern es hier bereits zur Übergabe der Salami gekommen ist (Gefahrübergang), so würde in der Tat der Vorrang des Kaufmängelgewährleistungsrechts gelten und die Anfechtung wegen
Eigenschaftsirrtumsperren. Hier ist aber bislang lediglich der Kaufvertrag zustande gekommen. Die
Kaufsachewurde noch nicht übergeben, weshalb insoweit eine Anfechtung noch möglich ist. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
QuiGonTim
12.4.2022, 09:22:22
Liegt hier überhaupt ein Sachmangel vor? Aus Sicht eines objektiven Dritten haben K und M einen Vertrag über den Kauf einer Salami vom Schwein geschlossen. Das Wursterzeugnis entsprach also sowohl den subjektiven als auch den objektiven Anforderungen im Sinne des 434 Abs. 1 BGB und war damit (ggf. im Zeitpunkt des Gefahrenübergangs) frei von Sachmängeln.
deliaco
17.1.2024, 23:53:26
Die Frage von QuiGonTim habe ich mir auch gestellt. Wie kann man denn hier zu einem Mangel gelangen, wenn man annimmt, dass Übergabe bereits erfolgt ist? Was wäre ein Beispiel für ein Fall, in dem ein
Eigenschaftsirrtumeigentlich vorliegt, aber aufgrund Vorrangs des Mängelgewährleistungsrechts verdrängt wird und dann ein Mangel bejaht wird?
Pilea
7.10.2022, 09:06:32
Wäre es bereits zu einer Übergabe gekommen - wie wäre dann die (mangelrechtliche) Lage der K?
deliaco
18.1.2024, 00:01:15
Push
luc1502
15.3.2024, 09:26:02
Servus, hab vlt. gerade einen richtigen Hänger, aber ich verstehe partout nicht, wann die „Eigenschaft Bestandteil der WE“ ist. Müsste man z.B in seiner WE sagen/erklären „Salami vom Schwein“? oder ist etwas anderes gemeint mir „Eigenschaft als Bestandteil der WE“?
Unterfertigter
25.3.2024, 17:17:43
Habe ich mich auch gefragt. Ich vermute Folgendes: Wenn A denkt, er kaufe einfach nur eine Salami und erst danach feststellt, dass sie aus Pferdefleisch ist, er sich also beim Kaufentschluss gar keine Gedanken darüber gemacht hat, welches Fleisch vorliegt, kann es sich um keinen Inhaltsirrt handeln, weil er sich keine Vorstellungen gemacht hat, mithin nicht irren kann. Wenn A sich denkt, er kaufe nun Schweinesalami, obwohl es sich um Pferdesalami handelt, hat er sich Vorstellungen über das Fleisch gemacht, über die er irrte.
Unterfertigter
25.3.2024, 17:19:02
Kurz gesagt: ausdrücklich sagen muss er es nicht, aber es muss im Zuge der internen Entscheidungsfindung bewusst Bestandteil der WE geworden sein
caulpoy
22.8.2024, 17:58:20
Angenommen die Übergabe sei erfolgt: Wäre dann aufgrund der Konkurrenzverhältnisse mit dem Mangelrecht ein
Eigenschaftsirrtumausgeschlossen und ein gegebenenfalls vorliegender Inhaltsirrtum möglich (dieser ist ja nicht gesperrt)?
caulpoy
22.8.2024, 18:02:59
Falls ja, erscheint mir das in folgender Hinsicht widersprüchlich: der Inhaltsirrtum ist ja erst durch vorliegen einer verkehrswesentlichen Eigenschaft denkbar. Nun wäre ab Gefahrübergang eine Anfechtung wegen Inhaltsirrtum, nicht jedoch wegen
Eigenschaftsirrtummöglich.
Skra8
27.9.2024, 12:50:15
Hi @[caulpoy](245038), lass uns mal kurz einen Schritt zurückgehen, denn nur wenn man die dogmatische Einordnung des Inhaltsirrtums gem. § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB und des
Erklärungsirrtums gem. § 119 Abs. 2 BGB von der Konkurrenzenfrage trennt, wird denklogisch da ein Schuh draus: Es sind sicherlich einige Konstellationen denkbar, in denen der Erklärende sowohl einem
Eigenschaftsirrtumgem. Abs. 2 als auch einem Inhalts- oder gar
Erklärungsirrtumnach Abs. 1 unterliegt. Hieraus lässt sich aber nicht der Umkehrschluss ziehen, dass jeder
Eigenschaftsirrtumauch automatisch ein Inhaltsirrtum ist. Dies begründet sich insofern, als nicht sämtliche Eigenschaften rechtsgeschäftlich geschuldet werden; vielmehr stellen die meisten Eigenschaften ein bloßes Motiv für den Erwerb eines Gegenstands dar und stimmen dann entsprechend mit der objektiven Erklärung und dem Geschäftswillen überein. (BeckOGK/Rehberg, 1.6.2024, BGB § 119 Rn. 144, beck-online) Entsprechend erfasst der
Eigenschaftsirrtumi.S.d. § 119 Abs. 2 BGB auch Fälle jenseits der Irrtümer i.S.d. § 119 Abs. 1 BGB. (BeckOGK/Rehberg, 1.6.2024, BGB § 119 Rn. 144, beck-online) Gerade diese über § 119 Abs. 1 BGB hinausgehenden Fälle, also die, die von Abs. 2 erfasst werden, stehen im lex-specialis-Verhältnis zu den Regelungen nach §§ 434 ff. BGB. (BeckOGK/Rehberg, 1.6.2024, BGB § 119 Rn. 166, beck-online) Um es plastischer zu machen, ein Klassiker: Sachverhalt: A irrt über die Echtheit eines Kunstwerkes beim Kauf von einem Galeristen. Nach Übergabe des Kunstwerkes wird sich A dem Irrtum bewusst. Die Irrtümer aus Abs. 1 scheiden aus, denn dem A missglückt weder die praktische Umsetzung seines Erklärungswillens in eine dem Willen entsprechende Äußerung (MüKoBGB/Armbrüster, 9. Aufl. 2021, BGB § 119 Rn. 46, beck-online), noch irrt A über den Bedeutungsgehalt, der seiner Kauferklärung nach dem
Empfängerhorizontobjektiv zugemessen wird (MüKoBGB/Armbrüster, 9. Aufl. 2021, BGB § 119 Rn. 60, beck-online). A irrt lediglich über eine verkehrswesentliche Eigenschaft der Urheberschaft. In dieser Konstellation ist die Anfechtung aus § 119 Abs. 2 BGB ausgeschlossen, weil ein Sachmangel i.S.d. §§ 434 ff. BGB vorliegt, der nach dem lex-specialis-Prinzip Vorrang hat. Also ja, im Ergebnis ist es richtig, dass eine Anfechtung gemäß § 119 Abs. 2 BGB ausgeschlossen sein kann, aber eine Anfechtung im Rahmen des § 119 Abs. 1 BGB möglich, gerade weil die Anfechtunsgründe sich unterscheiden. Vielleicht hilft dir diese Einordnung?