Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Anfechtung der Willenserklärung

Eigenschaftsirrtum – Urheberschaft als verkehrswesentliche Eigenschaft

Eigenschaftsirrtum – Urheberschaft als verkehrswesentliche Eigenschaft

21. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

V verkauft K auf dem Flohmarkt handschriftlich erstellte Musiknoten für €5. Zwei Wochen später stellt sich heraus, dass die Notenblätter von Wolfgang Amadeus Mozart angefertigt wurden. V verlangt die Noten sofort nach Erkennen des Irrtums von K zurück.

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Einordnung des Falls

Eigenschaftsirrtum – Urheberschaft als verkehrswesentliche Eigenschaft

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K und V haben einen Kaufvertrag über die Musiknoten zu €5 geschlossen.

Ja!

Ein Vertrag kommt zustande durch zwei inhaltlich übereinstimmende Willenserklärungen: Angebot und Annahme (§§ 145, 147 BGB). Diese liegen hier vor.
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2. V kann sein Angebot auf Abschluss eines Kaufvertrags anfechten (§§ 142 Abs. 1, 119 Abs. 2 BGB), weil der Wert einer Sache eine verkehrswesentliche Eigenschaft ist.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Eigenschaftsirrtum berechtigt zur Anfechtung, wenn der Erklärende über verkehrswesentliche Eigenschaften der Sache irrt. Verkehrswesentliche Eigenschaften einer Sache sind alle wertbildenden Faktoren, die von der Verkehrsanschauung oder der Parteienabrede als wesentlich anzusehen sind. Der Wert der Sache selbst haftet ihr jedoch nicht auf Dauer an, sondern unterliegt marktwirtschaftlichen Schwankungen. Der Wert einer Sache stellt keine verkehrswesentliche Eigenschaft dar. Ein Irrtum hierüber berechtigt nicht zur Anfechtung. Allerdings kann der Irrtum über den Wert auf einer Fehleinschätzung von verkehrswesentlichen Eigenschaften beruhen.

3. Da V sich über den Urheber der Noten geirrt hat, liegt ein Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft vor (§§ 142 Abs. 1, 119 Abs. 2 BGB).

Ja, in der Tat!

Der Eigenschaftsirrtum stellt eine Ausnahme von der Regel dar, dass die Motive, die den Erklärenden zum Vertragsschluss bewegen, nicht zur Anfechtung berechtigen. Dazu muss der Erklärende jedoch über verkehrswesentliche Eigenschaften der Sache geirrt haben. Eigenschaften einer Sache sind alle wertbildenden Faktoren. Sie sind verkehrswesentlich, wenn sie von der Verkehrsanschauung oder der Parteienabrede als wesentlich anzusehen sind. Die Urheberschaft von Musiknoten stellt eine solche verkehrswesentliche Eigenschaft dar, da sie immense Auswirkungen auf deren Wert hat.

4. V hat die Anfechtung seiner Willenserklärung gerichtet auf Abschluss des Kaufvertrags innerhalb der Anfechtungsfrist erklärt (§§ 143, 121 BGB).

Ja!

Die Anfechtung muss bei einem Inhalts-, Erklärungs-, Eigenschafts- oder Übermittlungsirrtum ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich) erfolgen, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat. Die Anfechtung erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Anfechtungsgegner. Bei einem Vertrag ist das der andere Teil. Dabei muss das Wort „Anfechtung“ nicht benutzt werden, solange sich aus den Umständen der eindeutige Wille des Erklärenden ergibt, an den Vertrag nicht mehr gebunden sein zu wollen (§§ 133, 157 BGB). In dem sofortigen Zurückverlangen des V nach Erkennen des Irrtums liegt eine fristgerechte Anfechtungserklärung.

5. V kann Rückübergabe und -übereignung der Noten verlangen (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).

Genau, so ist das!

K hat Eigentum und Besitz an den Noten durch Leistung des V erlangt. Durch die Anfechtung wird der Kaufvertrag als Rechtsgrund von Anfang an (ex tunc) nichtig, sodass er nie bestanden hat. Nach hM kann V somit nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB Übergabe und Übereignung der Noten verlangen (nicht nach § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB wegen Wegfall des rechtlichen Grundes).

6. V kann auch seine Willenserklärung gerichtet auf Übereignung der Noten anfechten (§§ 142 Abs. 1, 119 Abs. 2 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Grundsätzlich ist auch eine Anfechtung der Übereignungserklärung möglich, wenn ein Anfechtungsgrund vorliegt, auf dem die abgegebene Willenserklärung kausal beruhte. Allerdings hat V die Noten nicht übereignet, weil er sie für wertlos hielt oder sich über den Urheber irrte, sondern um seine Verpflichtung aus dem geschlossenen Kaufvertrag zu erfüllen. Der Eigenschaftsirrtum war also nicht kausal für die Abgabe der Übereignungserklärung. Eine aA bejaht dagegen bei solchen Konstellationen beim Eigenschaftsirrtum die Anfechtbarkeit auch des dinglichen Rechtsgeschäfts mit dem Argument, dass die Fehlvorstellung auch bei der Abgabe der dinglichen Eiinigungserklärung mitbestimmend (kausal) war. Dem setzt die wohl hM entgegen, dass Vorstellungen und Abreden aus dem zugrundeliegenden Verpflichtungsgeschäft wegen des Trennungs- und Abstraktionsprinzips nicht auf die Einigung übertragen werden dürfen. Es liegt insoweit nur eine "mittelbare" Kausalität vor. Die Einigungserklärung erschöpft sich darin, die Verpflichtung aus dem Kaufvertrag zu erfüllen und ist damit an sich wertneutral. Daher kann nicht wegen § 119 Abs. 2 BGB angefochten werden.

7. V steht vorliegend unstreitig ein Anfechtungsgrund zu, da er sich über eine verkehrswesentliche Eigenschaft geirrt hat (§ 119 Abs. 2 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein Teil der Literatur lehnt eine Anfechtung ab, wenn ein Irrtum über die Eigenschaft gerade zum vertragstypischen Risiko gehöre.Der Kauf von Gegenständen auf dem Flohmarkt zeichnet sich aus Käufersicht regelmäßig gerade durch die Chance aus, wertvolle Gegenstände zu einem unverhältnismäßig geringen Preis zu erwerben. Dies setzt in der Regel aber voraus, dass der Verkäufer sich über einen wertbildenden Faktor irrt. Soweit man diese Einschränkung nicht vornimmt oder den Flohmarktverkauf nicht als Risikogeschäft ansieht (vertretbar), so muss man die Prüfung fortsetzen.
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