Verpflichtung des Geschäftsführers kraft öffentlichem Rechts II


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Klassisches Klausurproblem

L ist Lastwagenfahrer für Heizölhändler H. Bei einer Auslieferungsfahrt baut er einen Unfall, wodurch ein Teil des geladenen Öls ausläuft. Der verantwortliche Verwaltungsträger V beseitigt das Öl sofort, um Schlimmeres zu verhindern. V will, dass H die Kosten dafür trägt.

Einordnung des Falls

Verpflichtung des Geschäftsführers kraft öffentlichem Rechts II

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Ölbeseitigung ist ein alleiniges Geschäft des H und damit für V objektiv fremd.

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein objektiv fremdes Geschäft fällt nach außen erkennbar ausschließlich in den Rechts- und Interesssenkreis eines anderen. Nach § 7 Abs. 1 Var. 3 StVG ist der Halter eines Kraftfahrzeugs zum Schadensersatz verpflichtet, wenn bei dessen Betrieb eine Sache beschädigt wird. H ist Inhaber des Heizölhandels und somit Halter der dafür eingesetzten LKWs. Er war somit zur Ölbeseitigung verpflichtet. Indem der V das Öl beseitigte, hat er ein Geschäft des H ausgeführt. Da die Ölbeseitigung jedoch gleichzeitig eine öffentlich-rechtliche Pflicht des V als Verwaltungsträger darstellt, war sie auch ein Geschäft des V und nicht ausschließlich ein Geschäft des H. Somit war das Geschäft für V auch-fremd. Im Originalfall hatte die Verwaltungsträgerin gegen die Haftpflichtversicherung des L geklagt. Da die Beseitigung kein Geschäft der Versicherung darstellt, scheiterte es bereits hieran.

2. Der Fremdgeschäftsführungswille wird bei auch-fremden Geschäften nach Auffassung des BGH widerlegbar vermutet.

Ja, in der Tat!

Der Fremdgeschäftsführungswille wird laut BGH bei auch-fremden Geschäften genauso wie bei objektiv fremden Geschäften grundsätzlich widerlegbar vermutet. Eine gegebenenfalls hierdurch zu weitreichende Bejahung von Ansprüchen aus GoA werde durch wertende Korrekturen an anderen Stellen verhindert. Die Ölbeseitigung stellt ein für V auch fremdes Geschäft dar. Dieser Lösungsweg entspricht der BGH-Rechtsprechung. Nach Ansicht der Literatur wird der Fremdgeschäftsführungswille bei auch fremden Geschäften dagegen nicht widerlegbar vermutet, sondern muss positiv festgestellt werden.

3. Liegen die Grundvoraussetzungen einer echten GoA nach § 677 BGB vor?

Ja!

Nach § 677 BGB setzen Ansprüche aus echter GoA (egal, ob berechtigt oder unberechtigt) voraus, dass ein Geschäftsführer (1) ein fremdes Geschäft (2) mit Fremdgeschäftsführungswillen ausführt, (3) ohne vom Geschäftsherrn beauftragt oder ihm gegenüber sonst dazu berechtigt zu sein. Die Ölbeseitigung ist ein für V auch-fremdes Geschäft. Der Fremdgeschäftsführungswille wird vermutet. H hat V weder zur Ölbeseitigung beauftragt, noch war V gegenüber H sonst dazu berechtigt.

4. Die Ölbeseitigung stellt eine berechtigte GoA im Sinne des § 683 S. 1 BGB dar.

Genau, so ist das!

Eine GoA ist nach § 683 S. 1 BGB berechtigt, wenn sie dem Interesse und dem wirklichen oder dem mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn entspricht. Der wirkliche Wille des Geschäftsherrn ist dabei stets vorrangig zu prüfen. Sein mutmaßlicher Wille wird erst relevant, wenn sein wirklicher Wille nicht ermittelbar ist, weil er diesen nicht geäußert hat. Der mutmaßliche Wille des Geschäftsherrn ergibt sich in der Regel aus seinem objektiven Interesse. Der H konnte seinen Willen nicht äußern, da er abwesend war. Die Ölbeseitigung entsprach Hs objektivem Interesse, da er nach § 7 Abs. 1 StVG hierzu verpflichtet war und auch seinem mutmaßlichen Willen. Die Voraussetzungen der berechtigten GoA liegen somit vor.Ein Anspruch schiede nach Auffassung des BGH nur aus, sofern öffentlich-rechtliche Vorschriften die Kostenfolge der Ölbeseitigung abschließend regeln würden.

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ASA

asanzseg

3.3.2023, 10:49:03

Ihr sagt, dass die GoA im Bereich öffentlich rechtlichem Handeln dann ausgeschlossen ist, wenn öffentlich rechtliche Regelungen den KONKRETEN (?) Fall Regeln. Sind das dann die Fälle beispielsweise im Polizeirecht im Rahmen der Kosten der Verwahrung oder Sicherstellung von Sachen?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

3.3.2023, 11:55:57

Hallo asanzseg, danke für deine Frage. Eine Konstellation ist beispielsweise, dass eine Behörde für eine andere Behörde tätig wird. Grundsätzlich sind die Zuständigkeiten aber abschließend geregelt, sodass nicht einfach eine Behörde tätig werden kann wenn es sich gerade so anbietet. Die GoA ist abgesehen von absoluten Extremfällen, in dieser Konstellation daher ausgeschlossen. Die GoA ist im Rahmen der öffentlichen Gewalt auch nur analog anwendbar, es ist also Regelungslücke erforderlich. Auch sonst ist die Anwendbarkeit der öffentlich rechtlichen GoA aber sehr eingeschränkt. Dies hängt mit folgenden Überlegungen zusammen: Wird ein Bürger für eine Behörde tätig, ist es auch grundsätzlich Aufgabe der Behörde diese Aufgabe umuzusetzen. Der Bürger kann also nur im Wege einer GoA tätig werden, wenn in einem Eilfall die Behörde partout nicht erreichbar oder n der Lage sein sollte die Aufgabe wahrzunehmen. Ähnliches gilt für die Konstellation in der die Behörde für den Bürger tätig wird ist nach dem Rechtsstaatsprinzip grundsätzlich eine Ermächtigungsgrundlage für Eingriffe notwendig. Das Fehlen einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage kann nicht durch Anwendung der Vorschriften zur GoA umgangen werden. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

HGWrepresent

HGWrepresent

12.7.2024, 19:23:57

Sagt die Literatur nicht, dass eine GoA bei Amtshandlungen bereits tatbestandluch nicht erfüllt ist, weil die Erfüllung einer öffentlichen Pflicht hier für V alleinig berücksichtigt wird und nicht das Interesse des H? warum ist die Antwort dann falsch?


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