Mitverschulden eines verunfallten Radfahrers, der zu spät vor einem über einen Feldweg gespannten Stacheldraht bremst


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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K fährt mit seinem Fahrrad auf einem Feldweg der Gemeinde B. Über diesen hatte Pächter P mit Bs Zustimmung eine schlecht sichtbare Absperrung mit Stacheldraht und Schild errichtet. Als K den Stacheldraht sieht, bremst er stark, kann aber nicht mehr rechtzeitig anhalten und stürzt schwer.

Einordnung des Falls

Mitverschulden eines verunfallten Radfahrers, der zu spät vor einem über einen Feldweg gespannten Stacheldraht bremst

Dieser Fall lief bereits im 1./2. Juristischen Staatsexamen in folgenden Kampagnen
Examenstreffer NRW 2022

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K hat gegen B einen Anspruch auf Schadensersatz, wenn B ihre Verkehrssicherungspflicht schuldhaft verletzt hat.

Ja!

K könnte gegen B einen Amtshaftungsanspruch aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 S. 1 GG haben. Der Anspruch hat folgende Voraussetzungen: (1) Handeln in Ausübung eines öffentlichen Amtes, (2) Verletzung einer Amtspflicht, (3) Drittbezogenheit der Amtspflicht, (4) Kausalität, (5) Verschulden, (6) Schaden. Im Rahmen der Amtspflichtverletzung kommt hier eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht der Gemeinde B in Betracht.Ansprüche wegen Verletzungen von Verkehrssicherungspflichten sind in Prüfungen beliebt. Hier musst Du die Verkehrssicherungspflicht stets besonders sauber herausarbeiten.

2. B trifft eine Verkehrssicherungspflicht in Bezug auf die Absperrung.

Genau, so ist das!

Wer eine Gefahrenlage schafft, ist verpflichtet, notwendige und zumutbare Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. BGH: Eine Verkehrssicherungspflicht treffe auch denjenigen, der in seinem Verantwortungsbereich eine eingetretene Gefahrenlage andauern lässt (RdNr. 25). Als Trägerin der Straßenbaulast und Eigentümerin des Weges sei B für die Sicherheit des Feldwegs verantwortlich. Dass B die Absperrung nicht selbst errichtet hat, sei unerheblich, da dies mit ihrer Zustimmung geschah. In jedem Fall verblieben für B Kontroll- und Überwachungspflichten in Bezug auf die Absperrung, die ebenfalls eine Verkehrssicherungspflicht begründen würden (RdNr. 29).

3. B hat ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt, indem sie eine eindeutige, weithin sichtbare Kennzeichnung der Absperrung unterlassen bzw. vom Pächter nicht eingefordert hat.

Ja, in der Tat!

Eine Verkehrssicherungspflicht ist verletzt, wenn der Verpflichtete diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren, unterlässt. BGH: Ein quer über einen für die Nutzung durch Radfahrer zugelassenen Weg gespannter, nicht auffällig gekennzeichneter doppelter Stacheldraht sei im wörtlichen wie auch im rechtlichen Sinn verkehrswidrig. Ein solches Hindernis sei angesichts seiner schweren Erkennbarkeit völlig ungewöhnlich und geradezu tückisch. Unerheblich sei, ob der Weg nur wenig benutzt werde, da er der Allgemeinheit zur Verfügung stehe (RdNr. 27f.).

4. K muss sich ein Mitverschulden (§ 254 BGB) anrechnen lassen, wenn er gegen das Sichtfahrgebot (§ 3 Abs. 1 S. 4 StVO) verstoßen hat.

Ja!

Das auch für Fahrradfahrer geltende Sichtfahrgebot besagt, dass der Fahrer vor einem Hindernis, das sich innerhalb der übersehbaren Strecke auf der Straße befindet, anhalten können muss. Ein Verstoß begründet regelmäßig ein Mitverschulden (§ 254 BGB), das sich der Verletzte anrechnen lassen muss. Ein Mitverschulden ist jedoch ausgeschlossen bei solchen Hindernissen, mit denen der Fahrer unter keinem vertretbaren Gesichtspunkt rechnen muss. BGH: Dies betreffe Hindernisse, die wegen ihrer besonderen Beschaffenheit ungewöhnlich schwer erkennbar sind oder deren Erkennbarkeit in atypischer Weise besonders erschwert ist (RdNr. 38). Hier in der Prüfung sauber und lebensnah mit dem Sachverhalt arbeiten!

5. K hat gegen das Sichtfahrgebot (§ 3 Abs. 1 S. 4 StVO) verstoßen. Er muss sich ein Mitverschulden (§ 254 BGB) anrechnen lassen.

Nein, das ist nicht der Fall!

BGH: Das Hindernis sei eine völlig atypische, geradezu verkehrsfeindliche Sperrvorrichtung, die leicht zu übersehen sei und mit dem K nicht habe rechnen müssen. Ein Verstoß des K gegen das Sichtfahrgebot liege nicht vor. Frühzeitig erkennbar sei für K lediglich das Verkehrsschild gewesen, das aber eine Absperrung nicht erwarten ließ. Zu einer besonderen Aufmerksamkeit des K habe daher kein Anlass bestanden (RdNr. 39f.). Im Fall war es überdies so, dass die Holzlatten des Schildes den Eindruck erwecken konnten, das Schild stehe auf dem Boden und hänge nicht an einem Stacheldrahtzaun. Auch das wirkte sich auf die fehlende Erkennbarkeit aus.

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CPE

Christoph Pentenrieder

8.9.2020, 15:44:05

Die Sachverhaltsdarstellung erweckte für mich den Eindruck, dass es sich bei dem Schild um ein Warn- bzw. Hinweisschild handeln würde. Damit war die Frage nach der Verkehrssicherungspflicht nicht mehr klar zu beantworten.

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

9.9.2020, 14:09:14

Hi Christoph, danke für die Anmerkung! Was auf dem Schild steht, sieht man doch auf der Zeichnung, oder? Besten Gruß, - Christian

CPE

Christoph Pentenrieder

9.9.2020, 14:29:38

Oh ja, da hatte ich tatsächlich nicht drauf geachtet. Ich bin aber nicht sicher ob ich das direkt richtig interpretieren hätte. Jedenfalls werde ich zukünftig genauer auf die Bilder achten. Vielen Dank

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

9.9.2020, 14:31:27

Gern! Bei Jurafuchs gehören die Zeichnungen mit zum Sachverhalt.

Jurafee

Jurafee

6.1.2021, 14:06:57

Evtl. könnte man für Erstnutzer darauf hinweisen, dass die Bilder SV-relevante Infos liefern, die sich im Text nicht befinden.

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

6.1.2021, 15:15:11

Gute Idee, danke!

Isabell

Isabell

9.9.2020, 13:36:27

Die Info, was auf dem Schild steht, taucht erstmals im Antworttext auf. Obwohl es für die Beantwortung relevant ist.

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

9.9.2020, 14:08:40

Hi Isabel, danke für die Anmerkung! Was auf dem Schild steht, sieht man doch auf der Zeichnung, oder? Besten Gruß, - Christian

APhM

APhM

27.9.2020, 20:25:50

Ok. Jetzt weiß ich auch, dass man eure Zeichnungen anscheinend für die Fallbearbeitung nutzen soll. Für die Zukunft geht das klar. Doch normalerweise zählt für uns nun einmal das geschriebene Wort ;)! Nur weil deine/eure Antwort so rüberkommt als hätte man wissen müssen, dass eine Zeichnung wichtige Sachverhaltsinformationen liefert. Ist ne coole Lösung für hier. Es kam mir so allerdings noch nie unter... Liebe Grüße

Clawdia

Clawdia

9.10.2020, 14:58:18

genau das mit den Zeichnungen ging mir auch gerade auf! Danke für den Hinweis!!

ri

ri

28.7.2021, 16:49:51

Müsste man hier auch zunächst, wie in dem anderem Fall in dem es um eine Straßenbegrenzung ging, zwischen allgemeiner Verkehrssicherungspflicht und Straßenverkehrssicheeubgapflicht unterscheiden?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

6.1.2022, 11:16:41

Hallo ri, meintest Du diesen Fall: https://applink.jurafuchs.de/fGNFO2LSAmb? Die Ausführungen dienten hier primär der Erläuterung, warum wir nicht auf § 823 BGB abgestellt haben. Dies könnte man in einer Klausur im Rahmen der Amtspflicht abgrenzen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

PPAA

Philipp Paasch

14.6.2022, 23:19:34

Um was für ein Pflicht geht es oben? 🤔

GEK

Gesa Krüger

20.10.2022, 09:05:06

Dieses Urteil lag der Z1-341 zugrunde, die diesen Monat (Okt. 2022) im zweiten Examen in NRW gelaufen ist.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

26.10.2022, 11:49:16

Vielen Dank für den Hinweis, Gesa!


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