Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
Entscheidungen von 2022
Eventualvorsatz vs. direkter Vorsatz: Reicht auch der bedingte Vorsatz für die Annahme einer Verdeckungsabsicht aus?
Eventualvorsatz vs. direkter Vorsatz: Reicht auch der bedingte Vorsatz für die Annahme einer Verdeckungsabsicht aus?
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Stammfreier F zahlt nach dem Geschlechtsverkehr mit der Prostituierten P, wie von Anfang an geplant, nicht das vereinbarte Entgelt. Als F daraufhin lautstark von P beschimpft wird, befürchtet F, dass andere Menschen von seiner Tat erfahren könnten und würgt deswegen die P, wobei er Ps Tod billigend in Kauf nimmt. P stirbt.
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Einordnung des Falls
Trotz des Wortlautes Verdeckungs“absicht“ entspricht es der ständigen Rechtsprechung des BGH, dass es im Hinblick auf den subjektiven Tatbestand grundsätzlich genügen soll, wenn der Täter hinsichtlich des Todes des Opfers lediglich mit bedingtem Vorsatz handelt. Im vorliegenden Fall hatte sich der BGH allerdings mit der besonderen Konstellation zu beschäftigen, dass nur der Tod des Opfers die Aufdeckung des Täters sicher verhindern konnte. Er bestätigte dabei seine Rechtsprechung, dass es in diesem besonders gelagerten Fall subjektiv der Tötungsabsicht und nicht bloß des Eventualvorsatzes bedürfe.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Hat F sich wegen Betruges gemäß § 263 Abs. 1 StGB strafbar gemacht, indem sie die sexuellen Dienstleistungen des P in Anspruch nahm, ohne dafür zu bezahlen?
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Könnte F sich ferner wegen Mordes gemäß § 211 StGB strafbar gemacht haben?
Ja!
3. Muss der Täter nach der Rspr. des BGH für die Annahme eines Verdeckungsmords i.S.d. § 211 Abs. 2 Gruppe 3 Var. 2 StGB mit direktem Vorsatz handeln, also zielgerichtet durch den Tod des Opfers eine Straftat verdecken wollen?
Nein, das ist nicht der Fall!
4. Genügt in Fällen, in denen für eine erfolgreiche Verdeckung der vorangegangenen Tat der Tod des Opfers zwingend erforderlich ist, ein bedingter Tötungsvorsatz nach der Rspr. des BGH nicht aus?
Ja, in der Tat!
5. F war bewusst, dass P ihn kannte und im Falle ihres Überlebens identifizieren könnte. Hat F durch den mit bedingtem Tötungsvorsatz geführten Würgeangriff das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht verwirklicht?
Nein!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Volldeliktisch
20.1.2023, 21:21:16
Also zunächst einmal finde ich es gut, dass der Fall auch hierher gefunden hat. Das Urteil eignet sich sehr gut für das Format. Zwei Anmerkungen hätte ich aber noch: 1. Auf dem Bild sitzt die P auf dem Fahrersitz und F ist Beifahrer. Das ist wirklich etwas befremdlich und passt nicht zum Geschensablauf. P muss ja zugestiegen sein, es sei denn sie hätten die Plätze getauscht, was sich aber nicht aus den BGH Urteil(en) ergibt. Da ist es komisch wenn sie hier nun am Steuer sitzt… 2. Kommt auch die vorherige Entscheidung BGH 4 StR 586/19 - Urteil vom 7. Mai 2020 zu dem Fall auf Jurafuchs? Ist thematisch auch Interessant.
Volldeliktisch
20.1.2023, 21:26:18
Sorry sehr erst jetzt wie die Personen mit „P“ und „F“ beschriftet sind. Der 1. Punkt hat sich damit erledigt.
Nora Mommsen
25.1.2023, 13:27:09
Hallo volldeliktisch, wie schön, dass sich der erste Punkt so schnell erledigt hat. Wir nehmen das zweite Urteil mal mit auf und prüfen, ob es eine gute Ergänzung der bisherigen Sammlung darstellt. Danke für den Anstoß! Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Benji
25.1.2023, 19:12:42
Hat es in diesem Fall wirklich die Freierin vollbracht, einen Mann zu erwürgen? Scheint mir etwas lebensfremd.
Lukas_Mengestu
26.1.2023, 13:53:31
Lieber Benji, da für die rechtliche Bewertung dieses Falles die Geschlechterverteilung letztlich egal ist, haben wir uns die Freheit genommen, hier ein wenig von dem Originalsachverhalt abzuweichen. Mehr zu dem dahinterstehenden Konzept des Gendertrouble haben wir in unseren FAQ zusammengefasst (https://www.jurafuchs.de/faq/warum-sind-die-jurafuchs-lerninhalte-gender-und-diversitaetssensibel/). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
kerberos 🦦
31.1.2024, 10:52:52
Mir erscheint es gerade in Fällen, in denen die Geschlechterverteilung im realen Leben eben gerade statistisch ganz klar gegeben ist, ein wenig beschönigend, ausgerechnet hier im Namen von Diverstität und Gleichberechtigung die Geschlechter von Täter und Opfer zu vertauschen. Frauen hier zu Tätern zu ernennen (auch wenn dies natürlich im Einzelfall möglich ist, in diesem Fall aber gerade nicht – was statistisch eben auch eher gegeben ist: Frauen werden überwiegend durch Männer getötet), verschleiert real existierende Geschlechterungleichheiten. Inwiefern wird das dem Anspruch von Diversitätssensibiliät gerecht?
Linne_Karlotta_
20.8.2024, 09:49:16
Hallo @[kerberos 🦦](227264), vielen Dank für Deine Anmerkung. Ich stimme Dir zu, dass in diesen Fällen das Vertauschen der Geschlechterrollen im Sinne eines „Gendertroubles“ nicht funktioniert und unangebracht ist. Genau wie Du sagst, sollten wir in unseren Fällen real existierende geschlechtsspezifische Gewalt und patriarchale Gewaltverhältnisse nicht ausblenden. Ich habe den Fall daher entsprechend angepasst. Ich bin Dir und allen anderen dankbar für weitere Hinweise bei vergleichbaren Sachverhalten. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team
kerberos 🦦
20.8.2024, 09:58:01
Hallo @[Linne_Karlotta_](243622), vielen Dank! Es ist ja in Ordnung, bei fiktiven Fällen eine andere Geschlechterkonstellation darzustellen, um eine solche auch zu berücksichtigen (die, wie gesagt, durchaus existiert). Nur bei einem tatsächlich existierenden Fall kann man sich ja auch an dem Sachverhalt orientieren, so wie er stattfand.
Linne_Karlotta_
20.8.2024, 10:04:48
Hallo @[kerberos 🦦](227264), ja so habe ich Dich auch verstanden und wir werden natürlich weiterhin überall dort „gendertroubeln“, wo es angebracht ist. Und auch bei tatsächlich existierenden Fällen finde ich es häufig nicht schädlich, die Geschlechterrollen anders zu verteilen (z.B. wenn im Zivilrecht ansonsten mal wieder nur der Unternehmer U handelt würde). Es gibt aber eben Fälle – so wie diesen hier – wo das nicht funktioniert. Viele Grüße - Linne, für das Jurafuchs-Team
Linne_Karlotta_
20.8.2024, 10:05:24
Hallo @[kerberos 🦦](227264), ja so habe ich Dich auch verstanden und wir werden natürlich weiterhin überall dort „gendertroubeln“, wo es angebracht ist. Und auch bei tatsächlich existierenden Fällen finde ich es häufig nicht schädlich, die Geschlechterrollen anders zu verteilen (z.B. wenn im Zivilrecht ansonsten mal wieder nur der Unternehmer U handeln würde). Es gibt aber eben Fälle – so wie diesen hier – wo das nicht funktioniert. Viele Grüße - Linne, für das Jurafuchs-Team
StellaChiara
27.7.2023, 18:53:54
Lukas_Mengestu
29.7.2023, 18:11:27
Hallo StellaChiara, neben dem bedingten
Vorsatzgibt es noch den direkten
Vorsatz1. Grades (=Absicht) und direkten
Vorsatz2. Grades (=sicheres Wissen). Aus dem Begriff Verdeckungs"absicht" könnte man schließen, dass es hier gerade einer entsprechenden Absicht des Täters bedarf. Die Rechtsprechung lässt dagegen grundsätzlich bereits bedingten
Vorsatz(dolus eventualis) genügen, es sei denn, der Tod des Opfers ist zwingend notwendig. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
StellaChiara
1.8.2023, 23:00:22
Und wenn der Tod des Opfer zwingend notwendig ist, muss
dolus directus 1. Gradesoder 2. Grades bezüglich des Todes vorliegen ?
Dogu
6.12.2023, 18:52:31
der sexuellen Handlung ohne Entstehung einer werthaltigen Forderung auf Entgelt?
Leo Lee
10.12.2023, 13:01:29
Hallo Dogu, die Verfügung liegt darin, dass durch ein Tun (also Vornahme des Geschlechtsverkehrs) das Vermögen insofern gemindert wurde, als der Anspruch gem. dem ProstG entstand, was auch einen Vermögenswert hat, der Freier jedoch von vornherein nicht vorhatte, diesen Anspruch zu begleichen. Hierzu kann ich die Lektüre von Fischer StGB 70. Auflage § 263 Rn. 107 empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Dogu
10.12.2023, 20:02:29
Okay danke. Der strafrechtliche
Vermögensbegriffist sehr verwirrend, wenn man handelsrechtlich/kaufmännisch vorgeprägt ist. :)
juravulpes
17.3.2024, 22:34:41
Aus dem Fall ergibt sich, dass F den P durch das Würgen primär zur Ruhe bringen wollte, um zu verhindern, dass andere Menschen aufmerksam werden. Legt man dies zugrunde, war die Tötung gerade nicht zwingend erforderlich, um die zuvor begangene Straftat zu verdecken, vielmehr genügte dafür das Ruhigstellen des P. Wenn der Tötungserfolg aber nach der Tätervorstellung nicht zwingendes Verdeckungsmittel ist (so wie hier nach der Sachverhaltsschilderung anzunehmen), schließen sich
bedingter Tötungsvorsatzund
Verdeckungsabsichtauch nicht aus. Die entscheidenden Informationen, um die
Verdeckungsabsichthier ablehnen zu können (Vorstellung der F, dass P ihren Betrug im Nachhinein offenlegen wird), kommen erst in der Subsumtion nach Beantwortung der Frage.
Abi
28.4.2024, 10:41:53
Woher weiß man sicher, dass der Täter sein Opfer gewürgt hat, um den vorangegangenen Betrug zu verdecken und nicht um nicht entdeckt zu werden, mit einem Prostituierten Geschlechtsverkehr gehabt zu haben? Viele Grüße!
Captain Stupid
10.5.2024, 04:22:41
Das habe ich mich auch die ganze Zeit gefragt, aber in der letzten Subsumtion wird das ja schließlich genau so festgestellt. F wollte P primär zur Ruhe bringen, um zu vermeiden, dass andere Personen aufmerksam werden. Daher ist das Mordmerkmal der
Verdeckungsabsichthier auch nicht gegeben, da F bezüglich der Tötung nur bedingten
Vorsatzhatte. Da P den F jedoch hätte identifizieren können fehlt es insofern an der
VerdeckungsABSICHT.
Linne_Karlotta_
20.8.2024, 10:10:25
Hallo in die Runde, danke für die Anmerkungen. Ich habe den Sachverhalt jetzt noch etwas angepasst, damit deutlicher wird, was Fs Motive sind. Viele Grüße - Linne, für das Jurafuchs-Team