Eventualvorsatz vs. direkter Vorsatz: Reicht auch der bedingte Vorsatz für die Annahme einer Verdeckungsabsicht aus? - Jurafuchs


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Freierin F streitet mit dem Prostituierten P in Fs Auto.
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Klassisches Klausurproblem

Stammfreierin F zahlt nach dem Geschlechtsverkehr mit dem Prostituierten P, wie von Anfang an geplant, nicht das vereinbarte Entgelt. Als sie daraufhin lautstark von P beschimpft wird, befürchtet F, dass andere Menschen von der Situation erfahren könnten und würgt deswegen den P, wobei sie seinen Tod billigend in Kauf nimmt. P stirbt. ‌

Einordnung des Falls

Trotz des Wortlautes Verdeckungs“absicht“ entspricht es der ständigen Rechtsprechung des BGH, dass es im Hinblick auf den subjektiven Tatbestand grundsätzlich genügen soll, wenn der Täter hinsichtlich des Todes des Opfers lediglich mit bedingtem Vorsatz handelt. Im vorliegenden Fall hatte sich der BGH allerdings mit der besonderen Konstellation zu beschäftigen, dass nur der Tod des Opfers die Aufdeckung des Täters sicher verhindern konnte. Er bestätigte dabei seine Rechtsprechung, dass es in diesem besonders gelagerten Fall subjektiv der Tötungsabsicht und nicht bloß des Eventualvorsatzes bedürfe.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Hat F sich wegen Betruges gemäß § 263 Abs. 1 StGB strafbar gemacht, indem sie die sexuellen Dienstleistungen des P in Anspruch nahm, ohne dafür zu bezahlen?

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Ja, in der Tat!

Den Tatbestand des Betrugs erfüllt, wer mit Bereicherungsabsicht einen anderen durch Täuschung zu einer Vermögensverfügung veranlasst, die einen Vermögensschaden hervorruft. Taugliche Täuschungshandlung ist dabei jede intellektuelle Einwirkung auf das Vorstellungsbild eines anderen mit dem Ziel der bewussten Irreführung. Eine Vermögensverfügung ist jedes bewusste freiwillige Handeln, durch welches das Vermögen unmittelbar gemindert wird. Zum strafrechtlich geschützten Vermögen gehört dabei auch ein begründeter Anspruch auf Erfüllung einer Entgeltforderung. F führte P konkludent über ihre Zahlungsbereitschaft irre, um seine sexuellen Leistungen in Anspruch nehmen zu können, ohne die rechtswirksame Forderung (vgl. § 1 S. 1 ProstG) auf das vereinbarte Entgelt zu begleichen.

2. Könnte F sich ferner wegen Mordes gemäß § 211 StGB strafbar gemacht haben?

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Ja!

Der Tatbestand des § 211 StGB setzt voraus, dass der Täter vorsätzlich den Tod eines anderen Menschen herbeiführt. Zusätzlich muss (mindestens) ein Mordmerkmal erfüllt sein. Für ein vorsätzliches Handeln ist ausreichend, wenn der Täter mit einem sog. bedingten Vorsatz handelt. Dies ist der Fall, wenn er den als möglich erkannten Erfolg billigend in Kauf nimmt (Billigungstheorie der Rspr.).F erwürgte P und nahm dabei seinen Tod billigend in Kauf. Als Mordmerkmal kommt hier die Verdeckungsabsicht in Betracht, da S handelte, um den vorangegangen Betrug zu verdecken. Dieser Prüfungsaufbau folgt der Rechtsprechung, die den Mord als eigenständigen Tatbestand einstuft. Alternativ kannst Du mit der hL den Mord auch als Qualifikation des Totschlags prüfen.

3. Muss der Täter nach der Rspr. des BGH für die Annahme eines Verdeckungsmords i.S.d. § 211 Abs. 2 Gruppe 3 Var. 2 StGB mit direktem Vorsatz handeln, also zielgerichtet durch den Tod des Opfers eine Straftat verdecken wollen?

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Nein, das ist nicht der Fall!

In Verdeckungsabsicht handelt, wer ein Opfer tötet, um dadurch eine vorangegangene Straftat zu verdecken. Dabei kann nach der Rspr. grundsätzlich auch der mit bedingtem Tötungsvorsatz vorgehende Täter mit Verdeckungsabsicht handeln. Die Verdeckungsabsicht muss sich nämlich auf die Tathandlung beziehen (Verdeckung), nicht notwendigerweise auf den Todeserfolg. Bedingter Tötungsvorsatz und Verdeckungsabsicht können in einer Konstellation, in der die absichtliche Verdeckungshandlung nicht mit dem Todeserfolg identisch ist, zusammentreffen. Dies ist bspw. der Fall, wenn der Täter billigend in Kauf nimmt durch Vornahme seiner Verdeckungshandlung eine Person zu töten, von der ihm aber – wie er weiß – überhaupt keine Entdeckung droht.

4. Genügt in Fällen, in denen für eine erfolgreiche Verdeckung der vorangegangenen Tat der Tod des Opfers zwingend erforderlich ist, ein bedingter Tötungsvorsatz nach der Rspr. des BGH nicht aus?

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Ja, in der Tat!

Geht der Täter davon aus, den erstrebten Verdeckungserfolg nur durch den Tod des Opfers erreichen zu können, sind bedingter Tötungsvorsatz und Verdeckungsabsicht nicht miteinander in Einklang zu bringen. Denn der zielgerichtete Wille, eine Straftat gerade durch Herbeiführung eines Todeserfolgs zu verdecken, und die bloße Billigung einer nur als möglich erkannten Todesfolge schließen sich gegenseitig aus. Derjenige Täter, der zur Verdeckung eines Einbruchs ein Haus in Brand setzt, und hierbei damit rechnet, dass eine darin schlafende unwissende Person zu Tode kommen könnte, macht sich gem. § 211 StGB strafbar. Indes würde ein Handeln mit bedingtem Tötungsvorsatz nicht ausreichen, wenn das Opfer mit der Aufdeckung der Vortat etwa durch eine Anzeige droht.

5. F war bewusst, dass P sie kannte und im Falle seines Überlebens identifizieren könnte. Hat sie durch den mit bedingtem Tötungsvorsatz geführten Würgeangriff das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht verwirklicht?

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Nein!

Nach der Rspr. des BGH ist „in der Regel” davon auszugehen, dass die vom Täter erstrebte Verdeckung nach seinen Vorstellungen nur durch den Tod des Opfers erreicht werden kann, wenn das Opfer den Täter kennt und im Falle des Überlebens zu seiner Überführung wegen der Vortat beitragen kann. F wollte P durch das Würgen primär zur Ruhe bringen, um zu vermeiden, dass andere Personen aufmerksam werden. F und P kannten sich aus früheren Freierkontakten, und F war bewusst, dass P sie im Falle seines Überlebens identifizieren könnte. Nach den Vorstellungen der F wäre also der Tod des P zwingend für eine Verdeckung der Betrugstat erforderlich gewesen. Da sie diesbezüglich nur bedingten Vorsatz hatte, fehlt es an der notwendigen Verdeckungsabsicht.

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