Zivilrecht

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Gewährleistung bei Verbrauchsgüterkauf durch Einzelkaufmann

Gewährleistung bei Verbrauchsgüterkauf durch Einzelkaufmann

9. Mai 2023

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs-Illustration zum Fall zur Gewährleistung bei Verbrauchsgüterkauf durch Einzelkaufmann (BGH v. 10.11.2021 - VIII ZR 187/20): Käufer kauft bei einem Autohändler einen Oldtimer. Dieser weist jedoch einen Schaden auf.

Kauffrau K kauft unter Privatnamen und auf ihre Privatadresse bei Händler V einen Oldtimer. Dieser zeigt sich 5 Monate nach Übergabe als mangelhaft. Es ist nicht aufklärbar, ob der Mangel schon bei Übergabe vorlag. K fragt sich, ob und wie sie Schadensersatz verlangen kann.

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Einordnung des Falls

Der BGH hatte zu entscheiden ob der Käufer eines mangelhaften Oldtimers einen Schadensersatzanspruch gegen den Verkäufer hatte oder nicht, nachdem nicht aufklärbar war, ob der Mangel schon bei Übergabe vorlag. Der BGH entschied, dass der Käufer nach erfolglosem Fristablauf einen Schadensersatzanspruch nach §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, 3, 281 BGB.

Dieser Fall lief bereits im 1./2. Juristischen Staatsexamen in folgenden Kampagnen
Examenstreffer BaWü 2023
Examenstreffer Hamburg 2023
Examenstreffer Sachsen 2023

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 13 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Könnte K einen Schadensersatzanspruch für die fiktiven Mängelbeseitigungskosten aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, 3, 281 BGB zustehen?

Ja, in der Tat!

Übergibt der Verkäufer der Käuferin eine mangelhafte Sache, wandelt sich der Erfüllungsanspruch des Käufers (§ 433 Abs. 1 S. 2 BGB) in einen Nacherfüllungsanspruch (§ 439 Abs. 1 BGB). Der Schadensersatz für die Kosten der Nacherfüllung tritt an die Stelle des ursprünglichen Nacherfüllungsanspruchs und ersetzt somit die Primärleistung, sodass § 281 BGB die einschlägige Anspruchsgrundlage ist.
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2. Kann bei § 281 BGB die Käuferin ihren Ersatzanspruch auf die Mangelbeseitigungskosten beschränken? Muss sie dann nicht die Sache zurückgeben?

Ja!

Beim großen Schadensersatz (statt der ganzen Leistung) gibt die Käuferin die Leistung zurück und verlangt Geldersatz in Höhe des Gesamtwerts der geschuldeten Leistung (§ 281 Abs. 1 S. 3 BGB). Beim kleinen Schadensersatz behält die Gläubigerin die Leistung und fordert Schadensersatz in Höhe der Wertdifferenz der erbrachten und der geschuldeten Leistung (in der Regel die Kosten der Mängelbeseitigung).

3. Setzen Mängelgewährleistungsansprüche wie § 439 BGB oder § 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, 3, 281 BGB voraus, dass der Mangel bei Abschluss des Kaufvertrages vorlag?

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Mängelgewährleistungsrechte setzen voraus, dass „die Sache mangelhaft“ ist (vgl. § 437 BGB). Nach § 434 Abs. 1 BGB ist eine Sache frei von Sachmängeln, wenn sie „bei Gefahrübergang“ den subjektiven Anforderungen, den objektiven Anforderungen und den Montageanforderungen dieser Vorschrift entspricht.Maßgeblicher Zeitpunkt ist also nicht der Vertragsschluss, sondern der Zeitpunkt des Gefahrübergangs (§§ 446, 447 BGB).

4. Trägt der Käufer grundsätzlich die Beweislast dafür, dass der Mangel bereits bei Gefahrübergang vorlag?

Ja, in der Tat!

Die Beweislast richtet sich primär nach dem materiellen Recht. Anspruchsbegründende Tatsachen hat der Kläger zu beweisen. Für anspruchsfeindliche Tatsachen, wie Einwendungen und Einreden, obliegt dem Beklagten die Beweislast, anspruchserhaltende Tatsachen, also vernichtungshindernde Einwendungen hat der Kläger zu beweisen. D.h. jede Partei hat die Voraussetzungen einer ihr günstigen Norm zu beweisen (Rosenbergsche Formel). Das Vorliegen des Mangels bei Gefahrübergang ist eine anspruchsbegründende Voraussetzung, für die der Käufer grundsätzlich die Beweislast trägt (vgl. § 363 BGB).

5. Findet im Rahmen eines Verbrauchsgüterkaufs für die Dauer von maximal 6 Monaten eine Beweislastumkehr für das Vorliegen des Mangels schon bei Gefahrübergang statt (§ 477 Abs. 1 S. 1 BGB)?

Nein!

Bei Verbrauchsgüterkäufen, d.h. bei Verträgen, durch die eine Verbraucherin von einem Unternehmer eine Ware kauft (§ 474 Abs. 1 S. 1 BGB), findet gemäß § 477 Abs. 1 S. 1 BGB eine Beweislastumkehr statt: Zeigt sich innerhalb eines Jahres seit Gefahrübergang ein von den Anforderungen nach § 434 BGB abweichender Zustand der Ware, so wird grundsätzlich vermutet, dass die Ware bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war. Der Verkäufer muss dann das Gegenteil beweisen (§ 292 ZPO), also dass die Ware bei Gefahrübergang nicht mangelhaft war. Die Käuferin muss nur beweisen, dass sich innerhalb eines Jahres ein mangelhafter Zustand gezeigt hat.Bis zum 31.12.2021 galt die Beweislastumkehr nur in den ersten sechs Monaten (§ 477 BGB a.F.)

6. Wird bei einer natürlichen Person in der Regel vermutet, dass er als Verbraucher handelt?

Genau, so ist das!

Verbraucher ist jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können (§ 13 BGB; Legaldefinition). Für die Abgrenzung ist die objektiv zu bestimmende Zweckrichtung des Rechtsgeschäfts entscheidend. BGH: Wegen der negativen Formulierung in § 13 Hs. 2 BGB („weder“) sei rechtsgeschäftliches Handeln einer natürlichen Person grundsätzlich Verbraucherhandeln, außer die bei Vertragsschluss erkennbaren Umstände weisen eindeutig und zweifelsfrei darauf hin, dass ein gewerblicher oder selbstständig-beruflicher Zweck verfolgt wird (RdNr. 46).

7. Wird bei Rechtsgeschäften von Kaufleuten vermutet, dass sie zu ihrem Handelsgewerbe gehören (§ 344 Abs. 1 HGB)?

Ja, in der Tat!

Die von einer Kauffrau vorgenommenen Rechtsgeschäfte gelten im Zweifel als zum Betriebe ihres Handelsgewerbes gehörig (§ 344 Abs. 1 HGB). Hierbei handelt es sich um eine beweisrechtliche Vermutung dafür, dass die von einer Kauffrau vorgenommenen Geschäfte zum Betrieb ihres Handelsgewerbes gehören, also Handelsgeschäfte iSd § 343 Abs. 1 HGB sind. Gehört ein Geschäft zum Handelsgewerbe, kann es umgekehrt auch nicht mehr Verbraucherhandeln iSv § 13 BGB sein.

8. Muss K die Vermutung des § 344 Abs. 1 HGB widerlegen, um einen Verbrauchsgüterkauf zu beweisen?

Nein!

In dieser Konstellationen stehen sich zwei einander widersprechende Vermutungen aus § 13 BGB und § 344 Abs. 1 HGB gegenüber. BGH: § 344 Abs. 1 HGB sei nicht anwendbar, wenn es sich bei dem Kaufmann um eine natürliche Person (Einzelkaufmann) handelt; § 13 BGB sei insoweit vorrangig. (1) Dies gebiete der Verbraucherschutz. (2) Zudem gehe bei der Kollision ranggleicher innerstaatlicher Normen grundsätzlich das jüngere (13 BGB) dem älteren Gesetz (§ 344 Abs. 1 HGB) vor (lex-posterior-Grundsatz) (RdNr. 52). Daher muss V beweisen, dass K nicht als Verbraucherin handelte.

9. Kann V vor Gericht beweisen, dass K zu gewerblichen Zwecken handelte?

Nein, das ist nicht der Fall!

Um die Vermutung des § 13 BGB zu widerlegen ist erforderlich, dass die bei Vertragsschluss erkennbaren Umstände eindeutig und zweifelsfrei darauf hinweisen, dass der Käufer einen gewerblicher oder selbstständig-beruflichen Zweck verfolgt. Da K unter ihrem Privatnamen handelte und ihre Privatadresse angab, handelte sie nicht eindeutig und zweifelsfrei für ihr Handelsgewerbe, sodass V den Beweis des unternehmerischen Handelns nicht führen können wird.

10. Kann die Käuferin im Kaufrecht grundsätzlich fiktive Mängelbeseitigungskosten geltend machen?

Ja, in der Tat!

Im Schadensersatzrecht ist grundsätzlich auch die Ersatzmöglichkeit für nur fiktive Schadensbeseitigungskosten anerkannt (Umkehrschluss zu § 249 Abs. 2 S. 2 BGB). Auch im Rahmen der kaufvertraglichen Mängelgewährleistung, die sich schadensrechtlich nach § 251 BGB richtet, ist eine fiktive Abrechnung weiterhin anerkannt. Denn es gibt im Unterschied zum Werkrecht im Kaufrecht keinen Vorschussanspruch (§ 637 Abs. 3 BGB). Ohne fiktive Abrechnung müsste der Käufer daher immer in Vorleistung treten, was nicht sachgerecht ist.

11. Hat K nach erfolglosem Fristablauf einen Schadensersatzanspruch nach §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, 3, 281 BGB?

Ja!

Aufgrund der Vermutung des § 477 BGB steht der Mangel bei Gefahrübergang fest. Soweit K dem V eine Frist zur Nacherfüllung setzt, die erfolglos verstreicht, kann sie die fiktiven Mängelbeseitigungskosten über § 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, 3, 281 BGB geltend machen.

12. Ist die Vermutung des § 477 Abs. 1 S. 1 BGB stets einschlägig, wenn sich innerhalb des Zwölfmonatszeitraums ein mangelhafter Zustand zeigt?

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine Mangelerscheinung muss nicht zwingend auf einem vertragswidrigen Verhalten des Verkäufers beruhen. Vielmehr kann beispielsweise auch üblicher Verschleiß oder ein sorgfaltswidriger Umgang des Käufers zu einer Verschlechterung führen. Hierfür haftet der Verkäufer nicht. Deshalb muss für die Anwendung der Vermutung des § 477 BGB feststehen, dass als Ursache für die festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen – zumindest auch – ein Umstand in Betracht kommt, der – sofern er dem Verkäufer zurechenbar wäre – dessen Haftung auslösen würde. Ist dies von vornherein ausgeschlossen, greift auch § 477 BGB nicht. Es muss also zumindest (auch) möglich sein, dass der Verkäufer für die Mangelerscheinung verantwortlich ist.

13. Trägt nach Ablauf der 12 Monate der Käufer wieder die volle Darlegungs- und Beweislast für das Fortbestehen eines vom Verkäufer verursachten mangelhaften Zustands, auch wenn er schon nach 11 Monaten auf Mängelbeseitigung geklagt hat?

Nein, das trifft nicht zu!

Nach dem Wortlaut des § 477 Abs. 1 S. 1 BGB bezieht sich die Beweislastumkehr allein auf den Zeitpunkt des Gefahrübergangs. Problematisch daran ist, dass nach dem BGH der Mangel zum Zeitpunkt der Ausübung der Mängelrechte fortbestehen muss (also ggfs. bis zur letzten mündlichen Verhandlung). Fraglich ist, ob hier auch die Vermutung greift, dass der Verkäufer den Mangel verursacht hat.BGH: Wenn der Käufer innerhalb der 12 Monate ab Gefahrübergang die Voraussetzungen für das geltend gemachte Gewährleistungsrecht schaffe und das Gewährleistungsrecht ausübe, gelte die Vermutung auch für den Zeitpunkt der Ausübung („Ausstrahlungswirkung“, RdNr. 88ff.). Selbst nach Ablauf der zwölf Monate müsse der Käufer bzgl. der bereits geltend gemachten Mängel nicht beweisen, dass diese vom Verkäufer verursacht worden wären. Die Ausstrahlungswirkung gelte vielmehr weiter („Fortwirkung“, RdNr. 94ff.). Sonst würde § 477 BGB durch Zeitablauf ausgehöhlt (Telos).
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